Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

163 
mus auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens un- 
gebeugt, unbesiegt, fast bis in seine Todesstunde 
bedacht auf die Rettung seines Volkes und Landes 
durch ein System von Reformen, welche die Revo- 
lution unmöglich gemacht haben würden. Als ihre 
Stunde kam, gab es in Frankreich keine katholische 
Kirche mehr, sondern nur noch ein verachtetes 
Staatskirchentum, welches dem Jansenis- 
mus das Leben fristete, jede bessere religiöse 
Lebensregung im Lande tötete, gegen Unglaube 
und alle Macht des Umsturzes ohnmächtig war. 
Der Kampf um die soziale Regeneration des Lau- 
des durch die selbständige Kirche, auf Grund einer 
christlichen Staatsordnung, war mit dem Tode 
Fenelons aufgegeben, der Umsturz unvermeidlich. 
Fenelons politische Bedeutung, zu seinen 
Lebzeiten infolge seiner Zurückhaltung und des 
herrschenden Absolutismus weniger beachtet, wegen 
der antigallikanischen Richtung oft verdächtigt, bei 
der obsiegenden revolutionären Zeitströmung fast 
vergessen, ist auch in Deutschland trotz des Auf- 
schwungs der staatswissenschaftlichen Historik zu 
wenig erkannt und erforscht, noch weniger für die 
Geschichte des vorrevolutionären Absolutismus 
gewürdigt. Und doch bleibt für die wahrheits- 
getreue Charakteristik des Absolutismus Lud- 
wigs XIV. und der anhebenden Revolution von 
1789 wie auch für die Geschichte der christlichen 
Welt= und Staatsanschauung in der Periode ihres 
unheilvollsten Niedergangs Fénelon der vollgül- 
tigste Zeuge ihrer unvergänglichen Kraft und Be- 
deutung, zumal gegen Bossuets absolutistischen 
Royalismus. 
Hinsichtlich der Literatur sei außer den im 
Text gemachten Angaben auf die eingehende kriti- 
sche Besprechung der Entstehung und Zusammen- 
setzung seiner gesammelten Werke in Wetzer u. 
Weltes Kirchenlexikon IVI/21346 ff verwiesen. Wir 
bemerken ferner, daß die oben erwähnten Schriften 
in der großen Ausgabe der Oeuvres complétes von 
Lerong u. Jouby (10 Bde, Par. u. Lille 1852 ff 
enthalten und in Bd llI u. IV zusammengestellt 
find, wozu der große kritische Apparat des 1. Ban- 
des stets zu Rate zu ziehen ist. Auch für die 
Kritik des biographischen Materials älterer Zeit 
sowie die Spezialliteratur über F. sei auf das 
— 
Kirchenlexikon, als Ergänzungen für die oben be- 
Fenier — Fichte. 
  
164 
und Staatsphilosophie: 1. Recht. 2. Staat. 
3. Der Rechtsstaat. 4. Gesellschaft. 5. Eigen- 
tum. 6. Der soziale Staat. 7. Der Staat als 
religiöses und Erziehungsinstitut.) 
Lange Zeit (von vereinzelten Ausnahmen, wie 
v. Helmholtz, abgesehen) als völlig überwunden 
betrachtet, meist nur durch seltsam klingende Sätze 
vom Ich und Nicht-Ich wie eine Kuriosität be- 
kannt und von der landläufigen Darstellung so 
töricht oder noch törichter aufgefaßt, wie in Goethes 
Faust der Bakkalaureus vor Mephisto seine Lehre 
wiedergibt, ist Fichte schon seit einer Reihe von 
Jahren ein überaus wichtiger, mit dem Kantschen 
Einfluß wetteifernder Faktor in der philosophi- 
schen Bewegung der Gegenwart geworden. Frei- 
lich tritt diese neufichtesche Bewegung außerhalb 
der wissenschaftlich arbeitenden Kreise nicht so deut- 
lich hervor, da meist nur die Resultate dieser Ar- 
beit, nicht deren einzelne historische Faktoren, 
allgemeiner bekannt werden. Auch in der Entwick- 
lung der Soziologie ist die Bedeutung Fichtes 
größer, als die übliche Darstellung erkennen läßt. 
Von diesen Gesichtspunkten aus scheint es geboten, 
Fichte eine ausführlichere Darstellung zu widmen, 
als sonst nötig erscheinen würde. 
I. Johann Gottlieb Fichte wurde geboren 
am 19. Mai 1762 zu Rammenan in der Ober- 
lausitzls Sohn eines armen Bandwirkers. Unter 
Not und Entbehrung, die nur dazu beitrugen, 
seinen Unabhängigkeitssinn und seine ausgeprägte 
Willensnatur zu festigen, in Schulpforta sowie 
(als Student der Theologie) an den Universitäten 
Jena und Leipzig gebildet, dann in Hauslehrer- 
stellungen und als freier Schriftsteller mühsam 
sich durchschlagend, wird er, fast 30 Johre alt, 
mit der Kanischen Philosophie, im Jahre 1791 
auch mit Kant selbst bekannt. Mächtig ergreifen 
ihn jetzt die Kantschen Gedanken und führen ihn 
von Spinoza ab. Vor allem macht er sich den 
„transzendentalen Idealismus“ Kants zu eigen, 
den er später in seiner „Wissenschaftslehre“ zu 
voller Konsequenz auszubilden und in streng ge- 
schlossener Deduktion aus einem höchsten Prinzip 
abzuleiten sucht; ferner die Lehre vom Primat 
sprochene neueste Literatur sei besonders auf die ein- 
gehenden und gerechteren Würdigungen in Fred. 
Godefroy, Hist. de la litterature franç. (Par. 1879), 
XVIle siecle, II 82 ff, u. P. G. Longhaye, Hist. 
de la littérature franç. au XVIle siècke III (Par. 
1895) 302 ff verwiesen. [Weinand.) 
Fenier (irischer Geheimbund) s. Gesellschaf- 
ten, geheime. 
Fernsprechwesen s. Post und Telegraphie. 
Festungen s. Heerwesen. 
Festungshaft s. Gefängniswesen. 
Feudalwesen s. Lehnswesen. 
Feuerbestattung s. Begräbniswesen. 
Feuerversicherung s. Versicherungswesen. 
Fichte. lI. Leben, Schriften, philosophische 
Grundanschauungen. II. Rechts-, Gesellschafts- 
  
der praktischen Vernunft und die damit verbun- 
dene Theorie der sittlichen Freiheit, d. h. der ur- 
sprünglichen Freiheit des vernünftigen, sittlichen 
Geistes gegenüber der mechanischen Gebundenheit 
und Naturkausalität der Sinneswelt. Auch das 
religionsphilosophische Problem, wie die Philo- 
sophie seiner Zeit es stellte, an welchem Kant da- 
mals arbeitete und welches Fichte zeitlebens in 
steigendem Maße am Herzen lag, beschäftigte ihn: 
das Verhältnis von moralischem Gesetz und Re- 
ligion. Mit einer religionsphilosophischen Schrift, 
dem „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“, 
trat Fichte 1792 denn auch zuerst an die Offent- 
lichkeit. Diese lenkte durch einen besondern Um- 
stand die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn. Da 
man nämlich wußte, daß Kant mit einer Reli- 
gionsphilosophie beschäftigt sei, so wurde die vom
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.