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mus auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens un-
gebeugt, unbesiegt, fast bis in seine Todesstunde
bedacht auf die Rettung seines Volkes und Landes
durch ein System von Reformen, welche die Revo-
lution unmöglich gemacht haben würden. Als ihre
Stunde kam, gab es in Frankreich keine katholische
Kirche mehr, sondern nur noch ein verachtetes
Staatskirchentum, welches dem Jansenis-
mus das Leben fristete, jede bessere religiöse
Lebensregung im Lande tötete, gegen Unglaube
und alle Macht des Umsturzes ohnmächtig war.
Der Kampf um die soziale Regeneration des Lau-
des durch die selbständige Kirche, auf Grund einer
christlichen Staatsordnung, war mit dem Tode
Fenelons aufgegeben, der Umsturz unvermeidlich.
Fenelons politische Bedeutung, zu seinen
Lebzeiten infolge seiner Zurückhaltung und des
herrschenden Absolutismus weniger beachtet, wegen
der antigallikanischen Richtung oft verdächtigt, bei
der obsiegenden revolutionären Zeitströmung fast
vergessen, ist auch in Deutschland trotz des Auf-
schwungs der staatswissenschaftlichen Historik zu
wenig erkannt und erforscht, noch weniger für die
Geschichte des vorrevolutionären Absolutismus
gewürdigt. Und doch bleibt für die wahrheits-
getreue Charakteristik des Absolutismus Lud-
wigs XIV. und der anhebenden Revolution von
1789 wie auch für die Geschichte der christlichen
Welt= und Staatsanschauung in der Periode ihres
unheilvollsten Niedergangs Fénelon der vollgül-
tigste Zeuge ihrer unvergänglichen Kraft und Be-
deutung, zumal gegen Bossuets absolutistischen
Royalismus.
Hinsichtlich der Literatur sei außer den im
Text gemachten Angaben auf die eingehende kriti-
sche Besprechung der Entstehung und Zusammen-
setzung seiner gesammelten Werke in Wetzer u.
Weltes Kirchenlexikon IVI/21346 ff verwiesen. Wir
bemerken ferner, daß die oben erwähnten Schriften
in der großen Ausgabe der Oeuvres complétes von
Lerong u. Jouby (10 Bde, Par. u. Lille 1852 ff
enthalten und in Bd llI u. IV zusammengestellt
find, wozu der große kritische Apparat des 1. Ban-
des stets zu Rate zu ziehen ist. Auch für die
Kritik des biographischen Materials älterer Zeit
sowie die Spezialliteratur über F. sei auf das
—
Kirchenlexikon, als Ergänzungen für die oben be-
Fenier — Fichte.
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und Staatsphilosophie: 1. Recht. 2. Staat.
3. Der Rechtsstaat. 4. Gesellschaft. 5. Eigen-
tum. 6. Der soziale Staat. 7. Der Staat als
religiöses und Erziehungsinstitut.)
Lange Zeit (von vereinzelten Ausnahmen, wie
v. Helmholtz, abgesehen) als völlig überwunden
betrachtet, meist nur durch seltsam klingende Sätze
vom Ich und Nicht-Ich wie eine Kuriosität be-
kannt und von der landläufigen Darstellung so
töricht oder noch törichter aufgefaßt, wie in Goethes
Faust der Bakkalaureus vor Mephisto seine Lehre
wiedergibt, ist Fichte schon seit einer Reihe von
Jahren ein überaus wichtiger, mit dem Kantschen
Einfluß wetteifernder Faktor in der philosophi-
schen Bewegung der Gegenwart geworden. Frei-
lich tritt diese neufichtesche Bewegung außerhalb
der wissenschaftlich arbeitenden Kreise nicht so deut-
lich hervor, da meist nur die Resultate dieser Ar-
beit, nicht deren einzelne historische Faktoren,
allgemeiner bekannt werden. Auch in der Entwick-
lung der Soziologie ist die Bedeutung Fichtes
größer, als die übliche Darstellung erkennen läßt.
Von diesen Gesichtspunkten aus scheint es geboten,
Fichte eine ausführlichere Darstellung zu widmen,
als sonst nötig erscheinen würde.
I. Johann Gottlieb Fichte wurde geboren
am 19. Mai 1762 zu Rammenan in der Ober-
lausitzls Sohn eines armen Bandwirkers. Unter
Not und Entbehrung, die nur dazu beitrugen,
seinen Unabhängigkeitssinn und seine ausgeprägte
Willensnatur zu festigen, in Schulpforta sowie
(als Student der Theologie) an den Universitäten
Jena und Leipzig gebildet, dann in Hauslehrer-
stellungen und als freier Schriftsteller mühsam
sich durchschlagend, wird er, fast 30 Johre alt,
mit der Kanischen Philosophie, im Jahre 1791
auch mit Kant selbst bekannt. Mächtig ergreifen
ihn jetzt die Kantschen Gedanken und führen ihn
von Spinoza ab. Vor allem macht er sich den
„transzendentalen Idealismus“ Kants zu eigen,
den er später in seiner „Wissenschaftslehre“ zu
voller Konsequenz auszubilden und in streng ge-
schlossener Deduktion aus einem höchsten Prinzip
abzuleiten sucht; ferner die Lehre vom Primat
sprochene neueste Literatur sei besonders auf die ein-
gehenden und gerechteren Würdigungen in Fred.
Godefroy, Hist. de la litterature franç. (Par. 1879),
XVIle siecle, II 82 ff, u. P. G. Longhaye, Hist.
de la littérature franç. au XVIle siècke III (Par.
1895) 302 ff verwiesen. [Weinand.)
Fenier (irischer Geheimbund) s. Gesellschaf-
ten, geheime.
Fernsprechwesen s. Post und Telegraphie.
Festungen s. Heerwesen.
Festungshaft s. Gefängniswesen.
Feudalwesen s. Lehnswesen.
Feuerbestattung s. Begräbniswesen.
Feuerversicherung s. Versicherungswesen.
Fichte. lI. Leben, Schriften, philosophische
Grundanschauungen. II. Rechts-, Gesellschafts-
der praktischen Vernunft und die damit verbun-
dene Theorie der sittlichen Freiheit, d. h. der ur-
sprünglichen Freiheit des vernünftigen, sittlichen
Geistes gegenüber der mechanischen Gebundenheit
und Naturkausalität der Sinneswelt. Auch das
religionsphilosophische Problem, wie die Philo-
sophie seiner Zeit es stellte, an welchem Kant da-
mals arbeitete und welches Fichte zeitlebens in
steigendem Maße am Herzen lag, beschäftigte ihn:
das Verhältnis von moralischem Gesetz und Re-
ligion. Mit einer religionsphilosophischen Schrift,
dem „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“,
trat Fichte 1792 denn auch zuerst an die Offent-
lichkeit. Diese lenkte durch einen besondern Um-
stand die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn. Da
man nämlich wußte, daß Kant mit einer Reli-
gionsphilosophie beschäftigt sei, so wurde die vom