Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Filangieri trug noch den Plan zweier weiteren 
großen Werke in sich: Nuova scienza delle 
scienze und Istoria civile universale e per- 
enne, beide offenbar aus Vicos Ideenkreis her- 
vorgehend. Eine kleine Erstlingsschrift: Rifles- 
sioni politiche sull’ ultima legge del Re, che 
riguarda la riforma nell’ administrazione 
della giustizia (Neapel 1774), verteidigte ein 
Gesetz Tanuccis, des neapolitanischen Ministers 
der Aufklärung. Danach sollten die Richter nur 
nach ausdrücklichen Gesetzen urteilen, mangels 
solcher aber sich an den Gesetzgeber selbst um Er- 
gänzung der Gesetze wenden — die Ausführung 
eines Vorschlages von Beccaria, die richterliche 
Willkür bei Festsetzung der Strafen zu beschränken. 
Von seinem Hauptwerk erschienen die beiden ersten 
Bände 1780, zwei 1783. drei 1785, endlich der 
achte (das Bruchstück des fünften Buches) nach 
seinem Tode zu Neapel. Rasch erschienen zahlreiche 
andere Ausgaben in Italien, Ubersetzungen ins 
Französische, Spanische, Deutsche (von Link, mit 
einer Vorrede von Siebenkees, 8 Bde, Ansbach 
1784/93). 
Literatur. Donato Tommasi, Elosio storico 
del cav. Gaetano F. (Neapel 1788; deutsch von 
F. Münter, Ansbach 1790); Biogr. univers. XIV 
117ff; Mittermaier in Bluntschli, Deutsches Staats- 
wörterb. III 520; Sclopis, Storia della legislazione 
italiana 11 572 ff; v. Mohl, Geschichte u. Literatur 
der Staatswissenschaften III 387, 472. 
Gramich, rev. Weinand.) 
Finanzen, Finanzbehörden, Fi- 
nanzverwaltung s. Staatshaushalt. 
Finanzwissenschaft. 1. Begriff und 
Aufgabe. Die Aufgaben des Staates und der 
übrigen öffentlichen Gemeinwesen mögen je nach 
dem Grad der kulturellen Entwicklung mehr oder 
weniger umfassend sein, sie werden nicht ohne Auf- 
wand materieller Mittel erfüllt werden können. 
Zur Lösung dieser Aufgaben, zur Beschaffung der 
notwendigen Mittel bedürfen Staat und sonstige 
Gemeinwesen einer nach einheitlichen festen Grund- 
sätzen geleiteten Wirtschaftsform, der sog. Finanz- 
wirtschaft. Der Wissenszweig, der die Negeln 
für die Führung der Finanzwirtschaft darlegt, 
heißt Finanzwissenschaft. Man versteht 
unter dieser somit die systematische Darstellung der 
Grundsätze, welche der Staat und die übrigen 
öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen bei Beschaffung, 
Verwaltung und Verwendung der für die Durch- 
führung ihrer Aufgaben benötigten wirtschaftlichen 
Mittel zu beachten und zu befolgen haben, also 
die Lehre von der Wirtschaft des Staates und 
der übrigen politischen Gemeinschaften, oder kurz 
die Lehre vom öffentlichen Haushalt. Die Finanz- 
wissenschaft bildet einen Teil der Staatswissen- 
schaften, sie steht in sehr engen Beziehungen so- 
wohl zur Volkswirtschaftslehre wie zum Staats- 
und Verwaltungsrecht. Ihre Hilfslehren sind vor 
allem die Finanzgeschichte, die Finanzstatistik und 
das Finanzrecht. 
Finanzen usw. — Finanzwissenschaft. 
  
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Die Finanzwissenschaft hat einen praktisch-po- 
litischen Charakter, sie ist aber doch zu unterscheiden 
von der Finanzpolitikjz erstere soll die durch 
Beobachtung und Vergleichung nach Zeit und 
Raum gewonnenen Ergebnisse sammeln (historisch- 
statistische Aufgabe) und aus ihnen allgemeine 
Folgerungen und Forderungen ziehen, während 
der Finanzpolitik und der Gesetzgebung die Lö- 
sung der einzelnen praktischen Finanzprobleme zu- 
fallen. Die Finanzwissenschaft erstreckt sich im be- 
sondern auf drei Hauptuntersuchungen; sie hat zu 
behandeln 1) die Lehre von den Ausgaben, vom 
Bedarf des Staates, 2) die Lehre von den Ein- 
nahmen, den Deckungsmitteln, 3) die Lehre von 
dem Finanzgleichgewicht, den Beziehungen zwi- 
schen den öffentlichen Einnahmen und Ausgaben, 
und vom Schuldenwesen. Die Behandlung der 
Finanzwirtschaft des Staates bildet den wesent- 
lichsten Teil der Finanzwissenschaft. Die andern 
Gesamtwirtschaften (Gemeinde, Kreis, Provinz) 
haben aber gleichfalls wichtige Aufgaben zu er- 
füllen. Besondere Bedeutung hat namentlich in 
den letzten Jahrzehnten die Finanzwirtschaft der 
Gemeinden, vor allem der Städte, erlangt. Der 
Haushalt großer Städte übertrifft heute hinsicht- 
lich seiner zahlenmäßigen Höhe und der Vielseitig- 
keit seiner Aufgaben den Haushalt der Klein= und 
vieler Mittelstaaten. Aber auch die Finanzwirt- 
schaft des Staates hat heute nicht nur infolge der 
erweiterten Aufgaben der staatlichen Organe auf 
politischem und wirtschaftlichem, sozialem und 
kulturellem Gebiete, sondern auch infolge der Aus- 
bildung der Kreditwirtschaft und des Anleihewesens 
und des Anwachsens des Kapitalismus eine un- 
geahnte Bedeutung erlangt. Mit Recht wies der 
deutsche Reichskanzler Fürst Bülow in seiner 
Reichstagsrede zur Reichsfinanzreformvorlage 
(19. Nov. 1908) darauf hin, daß die Weltge- 
schichte immer mehr zu einer Geschichte der finan- 
ziellen Beziehungen und Transaktionen wird, daß 
die Macht eines Staates immer mehr durch seine 
finanzielle Leistungsfähigkeit bedingt wird. Vgl. 
die Art. Staatshaushalt, Gemeindelasten. 
2. Finanz= und Privatwirtschaft. 
Die Grundsätze und Methoden der Finanz= und 
der Privatwirtschaft sind an sich die gleichen. 
Abgesehen von Größe und Dauer bestehen aber 
immerhin wesentliche Unterschiede zwischen beiden. 
Die Finanzwirtschaft findet ihre Grenzen in den 
Bedürfnissen des Staates; in der Privatwirtschaft 
tritt der Erwerb eines möglichst großen und sichern 
Einkommens, das Streben nach Uberschüssen, nach 
Vermehrung des Kapitals, nach Rücklagen für 
ungünstige Zeiten in den Vordergrund. Im pri- 
vaten Haushalte müssen sich der Bedarf den vor- 
handenen Mitteln, die Ausgaben den Einnahmen 
anpassen; im Haushalt der öffentlichen Körper 
wird zuerst die Menge der Bedürfnisse festgestellt 
und nach ihr die Menge der aufzubringenden 
Mittel fixiert, die „Ausgabenwirtschaft beherrscht 
die Einnahmewirtschaft" (v. Heckel). In der Privat- 
 
	        
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