Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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wirtschaft gilt der Grundsatz der Leistung gegen 
Gegenleistung, das „Prinzip spezieller Entgelt- 
lichkeit“ (Ad. Wagner), in der Finanzwirtschaft 
ist nur eine allgemeine Gegenüberstellung von 
Leistung und Gegenleistung, die „generelle Ent- 
geltlichkeit“, zu finden. Die staatlichen Gegen- 
leistungen sind zum großen Teil immaterieller 
Natur und lassen sich einzeln schwer bewerten. Dem 
Staate und den öffentlichen Gemeinwesen als mit 
autoritativen Befugnissen ausgestatteten Zwangs- 
gemeinschaften steht das Recht der einseitigen Be- 
stimmung zu statt der vertragsmäßigen Reglung 
in der Privatwirtschaft; der Staat kann unent- 
geltliche Leistungen (an Gütern und persönlichen 
Diensten) fordern. — Trotz aller souveränen 
Machtstellung muß die Finanzwirtschaft aber ein 
den Opfern und Aufwendungen der Staatsbürger 
entsprechendes Korrelat in politischer, kultureller 
und wirtschaftlicher Hinsicht schaffen; sie muß eben- 
so, wie die Privatwirtschaft, auf gerechter und ra- 
tioneller Basis fußen. Der Grundsatz des kleinsten 
Kraftverzehrs, der geringsten Beeinträchtigung der 
Privatwirtschaften bei größter Leistung muß er- 
strebt, alle die kleinste zulässige Anstoßerregung 
überschreitenden Maßnahmen müssen vermieden 
und ein an den steigenden und fallenden Finanz- 
bedarf anpassungsfähiges Finanzsystem geschaffen 
werden. 
3. Geschichtlicher Überblick. Eine auf 
wissenschaftlichen Grundsätzen aufgebaute Lehre 
von den Finanzen kennen Altertum und Mittel- 
alter nicht. Nur vereinzelt finden sich Bemerkungen 
bei einzelnen Schriftstellern, im Altertum nameni- 
lich bei Aristoteles und Tenophon, im Mittelalter 
ganz besonders beim hl. Thomas von Aquin. Die 
Finanzwissenschaft kann sich auch erst mit der 
Ausbildung der modernen Finanzwirtschaft lang- 
sam entwickeln. Diese setzt mit Beginn der Neuzeit 
ein, mit dem Übergang von der Natural= zur 
Geldwirtschaft, mit dem Aufkommen des fürst- 
lichen Absolutismus und dem Entstehen des mo- 
dernen Staates. Der öffentliche Bedarf wächst 
durch die Einrichtung stehender Söldnerheere und 
die Schaffung eines Beamtenapparates. Auf 
merkantilistischen Grundsätzen baut sich ein ein- 
heitliches staatliches Wirtschaftssystem auf. Im 
mittelalterlichen Patrimonial= und Lehnsstaat 
hatten, abgesehen von den Leistungen an Natura- 
lien und persönlichen Diensten seitens der Unter- 
tanen, die Erträge der Domänen zur Deckung des 
Staatsbedarfs, der identisch ist mit den Ausgaben 
des Herrschers, gedient. Staatsrechtliche und pri- 
vate Bedürfnisse des Fürsten werden nicht aus- 
einander gehalten. Im 13. Jahrh. waren zu der 
Domanialwirtschaft die Regalien getreten, da die 
Erträgnisse der Domänen durch deren Verschenkung, 
eräußerung und Verpfändung, auch durch wider- 
rechtliche Aneignung seitens der Großen des Rei- 
ches sehr geschmälert worden waren. 
Mit dem Aufkommen der Geldwirtschaft ent- 
wickelt sich allmählich, zuerst in den Städten, das 
  
Finanzwissenschaft. 
  
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Steuerwesen. An die ersten Versuche, Steuern 
als ordentliche Leistungen zu erheben, knüpfen die 
ersten finanzwissenschaftlichen Arbeiten an. Man 
tritt dieser neuen Einnahmequelle mit einem in- 
folge der Mißbräuche der Fürsten bei der Er- 
hebung nicht ungerechtfertigten Mißtrauen ent- 
gegen. Die ersten bedeutenderen Finanztheoretiker 
sind in Frankreich J#an Bodin (Jakob Bodinus, 
Les six livres de la République, Paris 1576, 
lat. ebd. 1586), in Deutschland Jakob Bornitz 
(De aerario, Frankf. 1612), Christoph Besold 
(De aerario, Tübing. 1620) und Kaspar Klock 
(Tractatus oeconomico-politicus de contri- 
butionibus, Nürnb. 1634; De aerario, ebd. 
1651). Die Bedeutung der Domänen, die ja 
immer noch eine Hauptquelle der staatlichen Ein- 
nahme bildeten, wird betont, die weitgehende Re- 
galisierung bekämpft, den indirekten Steuern im 
allgemeinen der Vorzug vor den direkten gegeben. 
In den Arbeiten dieser Männer, die allerdings 
wissenschaftlichen Anforderungen noch wenig ge- 
nügen, finden sich schon viele Ideen, auf denen 
die folgenden Jahrhunderte, auch Ad. Smith, ihr 
System aufbauen. Im 17. Jahrh. greifen die 
Engländer Hobbes, Petty und Locke und die 
Niederländer Boxhorn und Delacourt mit ihren 
Finanzschriften in den damals die öffentliche Mei- 
nung beherrschenden Streit über die Vorzüge 
zwischen Akzisen (Verbrauchssteuern) und Kontri- 
butionen (Einkommen= und Vermögenssteuern)ein. 
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. wurde der 
Finanzwissenschaft in Deutschland schon eine me- 
thodische Behandlung und auch schon eine gewisse 
formelle Selbständigkeit zuteil dank der Ausbil- 
dung der Kameralwissenschaft. Diese sollte 
den künftigen Staatsbeamten mit den Eigenarten 
des staatlichen Finanzhaushalts vertraut machen. 
Sie umfaßte unter Ausschaltung aller nicht prak- 
tischen Wissenszweige (also z. B. der theoretischen 
Nationalökonomie)h die Gebiete der heutigen Volks- 
wirtschaftslehre, der Finanzwissenschaft, der Wohl- 
fahrtspflege (Polizeiwissenschaft), der Techno= 
logie u. dgl. Fiskalische Interessen und praktische 
Verwaltungszwecke stehen also im Vordergrund, 
volkswirtschaftliche Gesichtspunkte sind ausgeschal- 
tet. Neben dem bedeutendsten Vertreter der älteren 
(sog. naiven) Kameralisten, Veit Ludwigv. Secken- 
dorff (Der Teutsche Fürstenstaat, Frankf. a. M. 
1655), sind zu nennen Männer wie Wilh. v. Schrö- 
der, Becker, v. Hörnigk, auch die bekannten Namen 
eines Conring und Pufendorf, die dem Fürsten 
ein unbeschränktes Recht auf Steuern zuerkennen. 
Die beiden ersten Kameralisten des 18. Jahrh. 
sind v. Justi (Abhandlung von den Steuern und 
Abgaben. Königsberg 1762; System des Finanz- 
wesens, Halle 1766) und Sonnenfels (Grund- 
sätze der Polizei, Handlung und Finanz, 2 Tle, 
Wien 1763/67). Beide Männer erwarben sich 
um die Umbildung der Kameralistik in die Volks- 
wirtschaftslehre und Finanzwissenschaft große Ver- 
dienste, sowohl durch den Hinweis auf den Zu-
	        
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