Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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brauch ist er berechtigt, ihn zeitweilig zurückzuhalten 
(Art. 32/34). Ahnliches gilt von den Militär- 
kurieren, welche die Korrespondenz bei Ver- 
handlungen der Streitteile vermitteln. Soweit sie 
aber, und das ist das Regelmäßige, nur die Kor- 
respondenz zwischen den Befehlshabern und deren 
Untergebenen vermitteln, sind sie vor feindlichen 
Handlungen, besonders der Kriegsgefangenschaft, 
nicht geschützt, ihre Depeschen usw. unterliegen der 
Aneignung durch den Gegner. 
VIII.Die Mittel der Kriegführung. 1. Im 
allgemeinen ist für den Kriegführenden jedes 
Mittel erlaubt, das zur Erreichung des Kriegs- 
zweckes, d. h. der Schädigung und Unterwerfung 
der feindlichen Kriegsmacht, dient. Damit findet 
aber zugleich die Gewaltanwendung ihre Grenze. 
Jedes Mittel — und gerade dies ist eine be- 
deutende Errungenschaft des modernen Völker- 
rechts —, das über die Erreichung des Kriegs- 
zweckes hinausgeht, ist somit unerlaubt und völker- 
rechtswidrig. Dies erkennt denn auch das Haager 
Reglement ausdrücklich an, wenn es in Art. 22 
sagt: „Die Kriegführenden haben kein unbeschränk- 
tes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung 
des Feindes.“ Den Maßstab hierfür bilden Kriegs- 
sitte und recht, Verträge, die Gebote der Religion 
und Sittlichkeit sowie die militärische Ehre. 
2. In Fortbildung des bisherigen Rechts hat 
das erwähnte Reglement eine Reihe von Kriegs- 
mitteln für den Landkrieg ausdrücklich verboten. 
Hierher gehören, abgesehen von den durch Sonder- 
verträge aufgestellten Verboten: die Verwendung 
von Gift oder vergifteten Waffen; die meuch- 
lerische Tötung oder Verwundung von Angehö- 
rigen des feindlichen Volkes oder Heeres; die 
Tötung oder Verwundung eines die Waffen strek- 
kenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf Gnade 
oder Ungnade ergeben hat; die Erklärung, daß 
kein Pardon gegeben wird; der Gebrauch von 
Waffen, Geschossen oder Stoffen, die geeignet 
sind, unnötig Leiden zu verursachen; der Miß- 
brauch der Parlamentärflagge, der Nationalflagge 
oder der militärischen Abzeichen oder der Uniform 
des Feindes sowie des besondern Abzeichens des 
Genfer Abkommens; die Zerstörung oder Weg- 
nahme feindlichen Eigentums außer in den Fällen, 
wo diese Zerstörung oder Wegnahme durch die 
Ereignisse des Krieges dringend erheischt wird; 
die Aufhebung oder zeitweilige Außerkraftsetzung 
der Rechte und Forderungen von Angehörigen der 
Gegenpartei oder die Ausschließung der Klagbar- 
keit. Ferner wird verboten, Angehörige der Gegen- 
partei zur Teilnahme anden Kriegsunternehmungen 
gegen ihr Land zu zwingen, selbst wenn sie schon 
vor Ausbruch des Krieges angeworben waren 
(Art. 23). Desgleichen ist der Angriff oder die 
Beschießung von unverteidigten Städten, Dörfern, 
Wohnstätten oder Gebäuden, „mit welchen Mitteln 
es auch sei“, also auch aus Luftschiffen oder auf 
sonstigen neuen Wegen, untersagt (Art. 25). Wei- 
tere Beschränkungen ergeben sich aus den oben 
Krieg ufw. 
  
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unter IV angeführten drei Deklarationen der ersten 
Haager Konferenz, welche die Bestimmungen der 
Petersburger Konvention weiter ausgebaut haben. 
Die erste Deklaration ist zwar von der zweiten 
Konferenz erneuert, aber nicht von allen Mächten, 
z. B. Deutschland, wiederum ratifiziert worden, 
so daß für diese Staaten augenblicklich der Ge- 
brauch von Explosivstoffen unter 400 g Gewicht 
nicht zu den verbotenen Mitteln gehört. 
3. Zu den erlaubten Mitteln gehört, ab- 
gesehen von der selbstverständlichen Anwendung 
offener Gewalt, 
a) die List, d. h. die Anwendung versteckter 
Mittel, so um den Feinb über den Zweck mili- 
tärischer Operationen zu täuschen, ihn durch 
falsche Nachrichten irre zu führen usw. Insbeson- 
dere sind diejenigen Mittel erlaubt, welche not- 
wendig sind, um sich Nachrichten über den Gegner 
und das Gelände zu verschaffen (Art. 24 des 
Haager Reglements), d. h. die Verwendung von 
Spionen und Kundschaftern. Die völker- 
rechtliche Stellung derselben ist eine verschiedene. 
Als Spion gilt nach Art. 29 nur, wer heimlich 
oder unter falschem Vorwand in dem Operations= 
gebiet eines Kriegführenden Nachrichten einzieht 
oder einzuziehen sucht in der Absicht, sie der Gegen- 
partei mitzuteilen. Wenn demnach eines der beiden 
Momente: Heimlichkeit oder Täuschung einerseits, 
Absicht anderseits, fehlt, ist der Begriff der Spio- 
nage nicht gegeben. Infolgedessen sind nicht als 
Spione, sondern als Kundschafter zu be- 
trachten: Militärpersonen in Uniform, die in 
das Operationsgebiet des feindlichen Heeres ein- 
gedrungen sind, um sich Nachrichten zu verschaffen; 
desgleichen Militär= und Zivilpersonen, die den 
ihnen erteilten Auftrag, Mitteilungen an ihr 
eignes oder an das feindliche Heer zu über- 
bringen, offen ausführen; endlich Personen, die 
in Luftschiffen befördert werden, um Mit- 
teilungen zu überbringen oder um überhaupt Ver- 
bindungen zwischen den verschiedenen Teilen eines 
Heeres oder eines Gebietes aufrecht zu erhalten; 
denn hier fehlt das Merkmal der Heimlichkeit 
(Art. 29). — Der auf frischer Tat ergrif- 
sene Spion konnte nach dem bisherigen Kriegs- 
gebrauch ohne weiteres sofort getötet werden. Im 
Interesse der Humanität hat jetzt aber das Haager 
Reglement wegen der schweren Folgen, die den 
Spion treffen, bestimmt, daß auch der auf der Tat 
ertappte Spion nicht ohne vorausgegangenes Ur- 
teil bestraft werden kann (Art. 30). Es muß dem- 
nach in jedem einzelnen Falle, soweit der Gang 
des Krieges dies zuläßt, nach materiellem und 
formellem Strafrecht genau festgestellt werden, ob 
der Tatbestand der Spionage wirklich gegeben ist 
oder nicht. Damit hat die Behandlung des Spions 
den bisherigen Charakter eines unmittelbar wir- 
kenden Sicherungs= und Abschreckungsmittels ab- 
gelegt und den der wirklichen Bestrafung an- 
genommen. Für den Tatbestand der Spionage 
ist es völlig unerheblich, ob die Einziehung von
	        
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