Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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Kartellierung, die Steigerung des Gewinnes, 
erreicht wird, hängt natürlich hauptsächlich von 
der Preisgestaltung ab, welche von allen Kartellen 
direkt oder indirekt beeinflußt wird. Hier halten 
nun zwar manche retardierenden Momente von 
einer „Überspannung des Bogens"“ zurück, doch 
kann über den durchweg preissteigernden Einfluß 
der Kartelle kein Zweifel bestehen. Jedenfalls lassen 
die immer lebhafter gewordenen Klagen z. B. über 
die bedrängte Lage anderer Industriezweige in- 
folge Verteuerung kartellierter Rohstoffe und Halb- 
fabrikate, die Entstehung erfolgreicher Konkurrenz= 
unternehmungen usw. darauf schließen. Und wenn 
sich auch zuverlässige Berechnungen über die Preis- 
gestaltung unter dem Einfluß der Kartelle nicht 
aufstellen lassen, da man nicht beurteilen kann, 
wie die Preisbildung ohne Kartell verlaufen sein 
würde, so kann doch als feststehend gelten, daß 
die Kartelle günstige Konjunkturen ausnutzen, so 
sehr es irgend möglich ist und sich mit ihren 
eigenen Interessen verträgt, während sie in schlechten 
Zeiten den durch die Marktlage bedingten Preis- 
fall wenigstens teilweise aufhalten. Mag auch 
zeitweilig der Preisstand einzelner kartellierter 
Artikel vielleicht niedriger sein, als er bei freier 
Konkurrenz sein würde, ein Umstand, der von aus- 
gesprochenen Kartellfreunden als ein besonderes 
Verdienst bezeichnet zu werden pflegt, so schlägt 
auch das gewiß nicht zum Schaden der kartellierten 
Unternehmungen aus und dürfte nichts an der 
Tatsache ändern, daß der Unternehmer- 
gewinn unter dem Einfluß der Kartelle im 
allgemeinen erheblich steigt, das Haupteziel 
der Kartellierung also erreicht wird. 
Die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Tat- 
sache liegt darin, daß sie die Einkommensverteilung 
ungünstig beeinflußt, nämlich zugunsten des sog. 
Besitzeinkommens, die in der Volkswirtschaft vor- 
waltende Tendenz einer Steigerung des Arbeits- 
einkommens hemmt. Auch an ethischer Rechtferti- 
gung fehlt es dieser künstlichen Steigerung des 
Unternehmergewinnes. „Bei den Kartellen wird 
ein sehr erheblicher Teil der eigentlichen Unter- 
nehmertätigkeit nicht von den Unternehmern selbst, 
sondern von Personen, welche besoldete Beauf- 
tragte derselben sind, ausgeführt; für Funktionen, 
die man gar nicht selbst wahrnimmt, kann man 
aber nicht gut auch noch eine besondere Vergütung 
beanspruchen. Weiter schrumpft bei den Kartellen, 
insbesondere bei denen höherer Ordnung, das 
Risiko, welches in der gegenwärtigen Wirtschafts- 
verfassung der Einzelunternehmer mit der Grün- 
dung seines Geschäftes auf sich nimmt, und das 
von der Theorie ebenfalls als Grund der Recht- 
fertigung eines besondern Unternehmergewinnes 
angeführt wird, auf ein Minimum zusammen. 
Wird sich aber der Widerspruch: vermindertes 
Kapitalrisiko — erhöhter Unternehmergewinn, 
dauernd aufrecht erhalten lassen? Ist nicht viel- 
mehr zu erwarten, daß an diesem Punkte eine 
sehr berechtigte Kritik einsetzen wird, die noch gar 
Kartelle. 
  
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nicht einmal von dem sozialistischen Dogma aus- 
zugehen braucht, daß das Kapital für die Dienste, 
die es der Produktion leistet, keine besondere Ver- 
gütung beanspruchen könne?"“ (Pohle a. a. O. 
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Es fragt sich sodann, ob anderseits auch die 
wirtschaftliche Lage der Arbeiter durch die 
Kartellierung einer Industrie verbessert wird, wig 
man vielfach annimmt. Teilweise mag das richtis 
sein, wenigstens insofern, als die Erhöhung der 
Unternehmergewinnes auch eine Aufbesserung de- 
Löhne und sonstigen Arbeitsbedingungen ermög- 
licht oder erleichtert. Anderseits spricht die all- 
gemeine Erfahrung jedenfalls dafür, daß die kar- 
tellierten Unternehmer nicht freiwillig, sondern nur 
auf fortgesetztes Drängen der organisierten Arbeiter 
von ihrem höheren Gewinne zur Erhöhung der 
Arbeitslöhne abgeben. Die Chancen der Arbeiter- 
organisationen werden aber gerade dadurch, daß 
sie es mit einem geschlossenen Kartell, nicht mit 
konkurrierenden Unternehmern zu tun haben, offen- 
bar nicht verbessert. Das Rheinisch-Westfälische 
Kohlensyndikat hat in seinen Lieferungsverträgen 
eine Streikklausel, in der es heißt: „Arbeiteraus- 
stände, gleichviel ob solche durch Vertragsbruch 
oder vorausgegangene Kündigung eintreten, ent- 
binden für die Dauer und den Umfang der da- 
durch notwendig werdenden Einschränkung von 
der Lieferung und Abnahme im Verhältnis der 
Verringerung der Herstellung in einzelnen Sor- 
ten.“ Daß hierdurch die Stellung der Syndikats- 
leiter gegenüber den Arbeiterorganisationen sehr 
gestärkt und die Hervorkehrung des Herrenstand- 
punktes erleichtert wird, liegt auf der Dand. Dazu 
kommt, daß auch die kartellierte Industrie ihren 
Arbeitern keineswegs eine gesicherte Beschäftigung 
gewährleistet; gehören doch Betriebseinschrän- 
kungen und damit verbundene Arbeiterentlassungen 
auch bei kartellierten Unternehmungen nicht zu den 
Seltenheiten. Was das Verhältnis des Unter- 
nehmergewinnes zum Arbeitslohn betrifft, so 
haben die Forschungen z. B. über das Kohlen- 
syndikat ergeben, daß zwar die Syndizierung im 
allgemeinen eine Lohnerhöhung zur Folge hatte, 
daß diese aber nicht im Verhältmis zu der erhöhten 
Rentabilität der Gruben stand. Die ungünstigen 
Geschäftsjahre trafen die Arbeiter stärker als die 
Arbeitgeber. Das Syndikat erwarb sich nicht nur 
keine Verdienste um das Beständigwerden der 
Löhne, sondern setzte im Gegenteil die Höhe der- 
selben größeren Schwankungen aus. Bei Ver- 
ringerung des Gewinnes wurde der Rückgang 
zuerst durch Ersparnisse an den Löhnen wettzu- 
machen versucht (vgl. Baumgarten und Meszleny, 
Kartelle und Trusts 203 ff). 
Für die Abnehmer eines Kartells, insbeson- 
dere die auf kartellierte Rohstoffe oder Halbfabrikate 
angewiesenen Industriezweige, wird es als Haupt- 
vorteil bezeichnet, daß die Preise durch das Kartell 
vor allzuhäufigen Schwankungen bewahrt würden. 
Soweit das zutrifft — und es ist durchaus nicht
	        
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