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englischen Gesetzgebung, die Anklage wider Glad-
stone wegen der sog. Grocers Licences, den
Kampf gegen die sog. Permissive Bill und die
Parlamentsmehrheit wegen Förderung des „Na-
tionallasters“ aus fiskalischen Gründen.
Derselben humanitär-charitativen Sorge um
die Armen entstammte seine hervorragende Stel-
lung im sog. Londoner Auswanderungskomitee,
wo er für die Unterstützung, Leitung und Förde-
rung des Auswanderungswesens unter Oberauf-
sicht des Staates eintrat, ebenso die Leitung der
Antisklavereibewegung in England (mit Earl de
Granville), die Unterstützung der Sogzialbestre-
bungen des Führers der Salutisten, General
Booth (10. Okt. 1890); die Bestrebungen für
Besserung des Gefängniswesens (seit 1868), für
Kinderschutz (mit Benj. Waugh, 1885), gegen den
Mädchenhandel (mit Stead, 1885), gegen die
Wohltätigkeitsbasare u. a. Zu solchen Anstren-
gungen bewog ihn die christliche Liebespflicht des
Bischofs und Priesters; dieser entstammte auch
sein hoher Gerechtigkeitssinn, das mannhafte Ein-
treten für soziale Gerechtigkeit, vorab für Irland.
„Ich werde nie zugeben“, erklärte er, „daß ein
Volk in den Bann der Zivilisation getan wird,
weil es arm und katholisch ist, daß man stets nur
von seinen Fehlern und Sünden spricht.“ Sein
Eintreten für Homerule und Landleague geschah
im Namen der sozialen Gerechtigkeit; in der Ver-
weigerung dieser Forderungen sah er staats-
männische Unfähigkeit, religiöse Abneigung, so-
ziales Vorurteil, weil die systematische Verkennung
der Rechte Irlands ein schwerer Verstoß gegen
die britische Verfassung, eine Suspension des ge-
meinen Rechts sei, das ganz und gar auf der An-
erkennung der lokalen und privaten Rechte, auf
dem Schutz der Selbstregierung beruhe.
Als 1883 die Enthüllungen von Sims: „Wie
die Armen in London leben“, erfolgten und Octavia
Hill, Marquis von Salisbury, J. Chamberlain
und R. A. Croß die Greuel des Armenwohnungs-
elends aufdeckten, trat Manning sofort an ihre
Seite. In der 1885 einberufenen Parlaments-
kommission für Armenwohnungen verteidigte er
seine Uberzeugung, eine eigne Wohnung sei die
Grundlage jeder gesunden Sozialverfassung, und
die Kommission sei im Recht, wenn sie beschließe,
ein der Billigkeit entsprechendes Lohnminimum
schließe den Unterhalt einer bescheidenen Armen-
wohnung in sich. Demgemäf forderte er die Ver-
minderung der Mietwohnungen, die Unterstützung
der building societies (freien Baugesellschaften),
die Herstellung gesunder Familienwohnungen mit
isolierten großen Zimmern für die ärmsten Klassen,
die Uberwachung der Gesundheit und Reinlichkeit,
die Unterdrückung aller gefährlichen Wirts-,
Spiel= und sittenwidrigen Häuser in den Armen-
und Arbeitervierteln und die Versorgung dieser
Viertel mit gesundheitfördernden Einrichtungen.
Manning.
Der gleiche Beweggrund sozialer Gerechtigkeit für
die Armen ließ ihn 1886 in das Parlaments-
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komitee für öffentliche Erziehung eintreten, wo er
den seit 1870 unter Gladstones erstem Ministerium
aufgenommenen Kampf für die Freiheit der christ-
lichen Armenerziehung mit aller Energie aufnahm
und fortsetzte. Vor 1870 war die öffentliche (na-
tional) Erziehung eine freie undrchristliche; 1870
wurde sie weltliche und Zwangserziehung (secular
and compulsory) in den sog. board-schools,
Staatsschulen mit Ausschluß aller christlichen Er-
ziehung, ein soziales Unrecht namentlich gegen die
Armen, die Katholiken und Nonkonformisten. Die
Erhaltung der freien katholischen Schulen neben
den Staatsschulen, die mit allen Mitteln aufs beste
ausgestattet waren, blieb der größte Kampf seines
Lebens, für den er alles zum Opfer brachte, frei-
lich nicht mit dem gewünschten Erfolg; aber er
arbeitete für die Hebung der öffentlichen Erziehung
auf christlicher Grundlage unentwegt weiter, in
der Überzeugung, daß er damit das höchste Sozial-
recht des Kindes wie der Eltern verteidige.
Wie weitreichend und groß das Ansehen Man-
nings durch seine soziale Vertretung der Armen-
interessen geworden war, sollte bei einem ungewöhn-
lich ernsten und verantwortungsschweren Konflikte
offenbar werden. Im Aug. 1889 brach in den
Londoner Docks jener riesige Ausstand aus, der
Europa wochenlang in Aufregung hielt und den
Londoner Handel 37 Mill. Pfund kosten sollte.
Die Lage war, weil es sich um vollständig un-
organisierte (unskilled) Arbeiter und um die Be-
seitigung des schreiend ungerechten sweating
S#stem (Ausbeutung durch Agenten der Dock-
gesellschaften) handelte, verzweifelter Art. Am
13. Aug. begann unter Leitung des damaligen
Sozialisten, späteren Ministers John Burns der
Ausstand; am 23. Aug. zogen über 60 000 Mann
durch ganz London nach dem Hyde-Park. Die
Tausende von Iren, welche in der steigenden Not
den Kardinal um Hilfe angingen, bewogen ihn,
auf die an ihn gerichtete Einladung, einem Komitee
von Männern aus der Regierung, der Stadt-
verwaltung, den höchsten weltlichen und geistlichen
Behörden beizutreten, welches angesichts der un-
geheuern, der ganzen Stadt drohenden Gefahren
den Dockgesellschaften seine Vermittlung anbot.
Umsonst. Weder auf eine Lohnerhöhung noch auf
eine geregeltere Arbeitsordnung wollten die Dock-
gesellschaften vor Wiederaufnahme der Arbeit ein-
gehen. Der anglikanische Bischof von London, die
Stadt= und Regierungsbehörden verzagten und
traten aus dem Komitee aus; Manning blieb.
Er kannte als Sohn eines Vorsitzenden der alten
Londoner Docks und als Bruder eines der Di-
rektoren die Lage und die Geschäfte wie kein
anderer. Alles, was er erreichte, war eine Lohn-
erhöhung, die Reglung der Arbeitszeit und die
Abschaffung des sweating system, aber erst vom
4. Nov. an. Wie waren nun die Massen zur An-
nahme dieser Bedingungen — man stand erst
Mitte September — zu bringen? Im Augenblick,
wo die Führer des Ausstandes durch ihre Zurück-