Full text: Staatslexikon. Vierter Band: Patentrecht bis Staatsprüfungen. (4)

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Bei den angeführten Maßregeln ist das Interesse 
der landwirtschaftlichen Bevölkerung ganz eben 
beteiligt wie das der Produktion; das Interesse 
ist dagegen ein verschiedenes, wo die Ausdehnung 
des Betriebs in Frage kommt. Das einseitige 
Interesse der Produktion geht auf die Ausbildung 
des Großbetriebs bei intensiver Wirtschaft unter 
zentraler Leitung, mit allen Hilfsmitteln der 
modernen Technik und des modernen Verkehrs. 
Das Interesse der landwirtschaftlichen Bevölkerung 
geht auf Erhaltung des mittleren und kleinen 
Grundbesitzes. Hier liegen die Probleme, an die 
man zunächst zu denken pflegt, wo von Agrar- 
politik die Rede ist. Hat man eine Zeitlang ge- 
glaubt, der allgemeinen Wohlfahrt dadurch zu 
dienen, daß man mit allen Mitteln der Gesetz- 
gebung und Verwaltung die Mobilisierung des 
Grundbesitzes förderte, so drängt sich zurzeit die 
entgegengesetzte, auf Befestigung abzielende Rich- 
tung mit großem Nachdruck hervor: Ausbildung 
eines besondern bäuerlichen Erbrechts, Einführung 
von Heimstätten und in Verbindung damit eine 
möglichst günstige Reglung der landwirtschaft- 
lichen Kreditverhältnisse sind die hauptsächlichsten 
Forderungen, die erhoben werden; die einen ver- 
langen geradezu Verstaatlichung des ländlichen 
Hypothekenwesens, die andern zum mindesten Um- 
wandlung der jetzigen Form der Verschuldung in 
die einer unkündbaren Rentenschuld und Schaffung 
korporativer Verbände nach dem Vorbild der 
sog. Landschaften. Hierzu tritt als eine weitere 
Aufgabe der Schutz gegen besondere, die Land- 
wirtschaft bedrohende Gefahren, wie die Verluste 
durch Hagelschlag, Viehseuchen usw., und auch 
mit Rücksicht hierauf ergibt sich wiederum die 
Wahl zwischen direkter Staatshilfe oder Heran- 
ziehung der Beteiligten, und in letzterem Fall 
abermals zwischen Versicherungszwang und frei- 
williger Versicherung, staatlichen und genossen- 
schaftlichen Versicherungsanstalten oder Übertra- 
gung der Versicherung an selbständige Erwerbs- 
vereine (Aktiengesellschaften). Das Gesagte genügt, 
um ein Bild von den überaus mannigfaltigen 
und weitreichenden Aufgaben zu gewähren, welche 
der staatlichen Wohlfahrtspolitik allein schon gegen- 
über der Landwirtschaft und der ländlichen Be- 
völkerung gesteckt sind, und läßt bereits hinreichend 
erkennen, welches Maß sorgfältigster Ergründung 
der tatsächlichen Verhältnisse und gewissenhafter 
Abwägung der verschiedenartigsten Interessen er- 
forderlich ist, um die nach Ort und Zeit angemes- 
senen Maßregeln zu ergreifen. 
Es liegt in der Natur der Sache, daß die ge- 
werbliche Produktion in noch weit höherem 
Grad durch die Stellungnahme von Gesetzgebung 
und staatlicher oder gemeindlicher Verwaltung be- 
einflußt wird als die Landwirtschaft. Der ge- 
werbliche Produzent kann die von ihm gefertigten 
Erzeugnisse nur zum kleinsten Teil selbst in Ge- 
brauch nehmen, er ist vielmehr auf den Absatz 
derselben, auf Tausch und Verkauf angewiesen; 
S 
  
Politik. 
  
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dies aber setzt nicht nur bestimmte wirtschaftliche 
und gesellschaftliche Verhältnisse voraus, sondern 
es kann auch durch autoritative Einrichtungen der 
Absatz und damit die Produktion in verschieden- 
artiger Weise geregelt werden, wobei bald das 
Interesse der Produzenten bald das der Konfu- 
menten maßgebend sein kann. Die mittelalterliche 
Zunftverfassung war ein Versuch, beiden gerecht 
zu werden; denn wenn der Verkauf von Hand- 
werkserzeugnissen nur den Zunftgenossen ge- 
stattet war, so bedeutete dies für die letzteren 
die Beseitigung einer den lohnenden Erwerb schä- 
digenden Konkurrenz, aber es verbürgte doch auch, 
sofern die Zugehörigkeit zur Zunft an bestimmte 
Bedingungen geknüpft war, die Güte der gelieferten 
Waren. Mit dem Absterben des Zunftwesens 
kam das System staatlicher Konzessionierung auf, 
in dessen Durchführung sich leicht fiskalische Neben- 
absichten einmischen konnten. Die französische Re- 
volution proklamierte den Grundsatz der Gewerbe- 
freiheit. Die Aushebung aller Privilegien und 
Schranken sollte einem jeden die Möglichkeit er- 
öffnen, durch Geschicklichkeit und Fleiß zu lohnen- 
dem Erwerb zu gelangen; zugleich aber hielt man 
das Interesse der Konsumenten gerade durch den 
freien Wettbewerb der Produzenten für gewahrt, 
da nur die Lieferung guter Ware dauernden Absatz 
verbürge. In Wirklichkeit bestanden hat indessen 
absolute Gewerbefreiheit wohl nirgends und nie- 
mals; schon allein die Gefährlichkeit einzelner Be- 
triebe für Leben und Gesundheit Dritter nötigte zu 
polizeilichen Maßregeln. Demnächst aber ließ 
das Aufkommen der maschinellen Großindustrie, 
welche dank der Entwicklung der Verkehrsmittel 
für den Weltmarkt arbeitet, in steigendem Maß 
Zweifel an der Richtigkeit des Grundsatzes ent- 
stehen und brachte damit neue politische Aufgaben. 
Es genügt, an die Arbeiterfrage und die Hand- 
werkerfrage zu erinnern und die wachsende Bedeu- 
tung, welche dieselben in den letzten Jahrzehnten 
gewonnen haben. Hier ist der Boden, auf dem 
die gewaltigste und für unsere gesamte Kultur be- 
drohlichste Parteibildung sich entwickelt hat. Nach 
manchen Richtungen ist es der Gesetzgebung ge- 
lungen, Mittel zu finden, um die arbeitende Be- 
völkerung gegen die besondern Gefahren zuschützen, 
welche die moderne Produktionsweise mit sich 
bringt; darüber hinaus aber erhebt sich die un- 
ermeßlich wichtige Aufgabe der Erhaltung des 
Mittelstands. Was soll und was kann der Staat 
dafür tun? Ist es möglich, das Handwerk vor 
gänzlichem Untergang und die darin beschäftigten 
selbständigen Existenzen vor der Verwandlung in 
abhängige Lohnarbeiter zu schützen? Die Aufgabe 
ist keineswegs auf das Bereich des Handwerks 
eingeschränkt. Wie dieses durch die Entwicklung 
des maschinellen Großbetriebs, so sieht sich der 
kleine Kaufmann durch das Aufkommen der großen 
Warenhäuser und Versandgeschäfte bedroht. Es 
ist nicht nötig, ins einzelne zu gehen. Die hier 
einschlagenden Wünsche, Befürchtungen und Vor- 
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