415
beobachten soll; ebenso wichtig ist aber die andere
Lehre, daß das Ziel der Genossenschaft ethisch-
sozialer Natur ist und in der Bildung von volks-
wirtschaftlichen Arbeitsgruppen nach der Idee eines
auf christlicher Grundlage beruhenden Gemein-
schaftslebens bestehen soll.
Literatur. Faßbender, R. in seinem Leben,
Denken u. Wirken im Zusammenhang mit der Ge-
samtentwicklung des neuzeitlichen Genossenschafts-
wesens in Deutschland (1902). In diesem Buch
findet sich auch ein ausführliches Verzeichnis von
genossenschaftlicher Literatur. Wygodzinski, R.=
Notizen zur Gesch. des landwirtschaftl. Genossen-
schaftswesens, in Schmollers Jahrbuch für Gesetz-
gebung usw., Jahrg. 1899; Crüger, Art. Darlehns-
kassenvereine, im Handwörterbuch der Staats-
wissenschaften III (/1909). Faßbender.)
Reallasten s. Grundlasten.
Recht auf Arbeit. Diese hauptsächlich
sozialistische Forderung wird von deren Anhängern
definiert als das Recht des unbemittelten, arbeits-
fähigen, aber arbeitslosen Staatsbürgers, vom
Staat oder andern kommunalen Verbänden
(hauptsächlich der Gemeinde) Arbeitsgelegenheit
und dadurch einen der geleisteten Arbeit angemes-
senen, eine auskömmliche Existenz sichernden Lohn
zu erhalten, wenn solche Arbeit bei Privatunter-
nehmern nicht gefunden werden kann. Ihren Ur-
sprung hat diese Auffassung in der Rousseauschen
Staatstheorie, nach welcher der Staat dem ein-
zelnen Staatsangehörigen das zum Leben unbe-
dingt Erforderliche garantieren mußte. Die For-
derung des Rechts auf Arbeit erscheint also ge-
wissermaßen als eine besondere Formulierung des
Rechts auf Existenz. Die konsequente Durchfüh-
rung dieser Forderung führte dann dazu, daß man
vielfach nicht nur Zuweisung einer beliebigen Ar-
beit, sondern Gewährung von Arbeit in dem von
dem Arbeitslosen erlernten Beruf verlangte (droit
au travail — droit au travail professionnel).
Wissenschaftlich vertreten wurde die Forderung
des Rechts auf Arbeit zuerst in Frankreich durch
Fourier in seinen Schriften Théorie des quatre
mouvements et destinées générales (1808)Z
und Traité de I’Association domestique-
agricole (1822). Er hat das Schlagwort droit
au travail (Recht auf Arbeit) zuerst geprägt und
es als das Grundrecht des durch den modernen
Staat seiner früheren natürlichen Rechte (Jagd,
Fischfang, Früchtesammeln, Weide, Bestehlung
fremder Horden, Unterstützung durch die eigne
Horde und Sorglosigkeit) beraubten Individuums
erklärt, dem es gewissermaßen als Gegenleistung
für den Verlust der früheren Rechte zustehe.
Weiter fortgeführt wurde die Fouriersche Lehre
durch Viktor Considerant, der seine Auffassung
hauptsächlich auf die Theorie stützte, daß der Grund
und Boden, weil nicht durch Arbeit der Menschen
geschaffen, auch nicht im Sonderbesitz einzelner,
sondern nur im Gesamtbesitz des Menschen-
geschlechts stehen dürfe. Nun sei aber durch die
gegenwärtige Eigentumsordnung dennoch Privat-
Reallasten — Recht auf Arbeit.
416
eigentum einzelner an dem Grund und Boden
entstanden, während andere davon ausgeschlossen
seien. Diese letzteren seien dadurch beeinträchtigt
und könnten als Aquivalent das Recht auf Arbeit
verlangen.
Weitere Verfechter dieser Auffassung waren
Paget, Saint-Simon, Bazard, Louis Blanc.
Als heftiger Gegner bekämpfte diese Theorien
P. J. Proudhon, weniger aus Prinzip als wegen
der Unvereinbarkeit derselben mit seinem System
der Wirtschaftsordnung. Er formulierte die For-
derung des Rechts auf Arbeit dahin, daß dem Ar-
beiter nicht Arbeit, sondern das zur Arbeit Er-
forderliche, insbesondere Kapital und Material zur
Verfügung gestellt werde.
In Deutschland hat zuerst Fichte (Naturrecht,
1797) die Forderung aufgestellt, daß jedermann
von seiner Arbeit müsse leben können und daß der
Staat Anstalten zu diesem Zweck zu treffen habe,
damit jeder stets Arbeit oder Absatz für seine Ware
finden könne. Die Fichteschen Ideen fanden je-
doch keinen Anklang, und erst in den 1830er und
1840er Jahren traten Ludwig Gall und Franz
Stromeyer in Anlehnung an Fourier als eifrige
Verfechter des Rechts auf Arbeit auf. Ihnen folgte
Karl Marlo (Winkelblech) und in neuerer Zeit
G. Adler, Anton Menger, Heinrich Herkner und
Franz Stöpel. Herkner fordert in seinen Studien
zur Fortbildung des Arbeitsverhältnisses, daß ar-
beitslosen Arbeitern von seiten des Staats oder
der Selbstverwaltung in Staatswerkstätten Be-
schäftigung gewährt werden müsse, damit diese
kauffähig würden und den sonst nicht kauffähigen
Bedarf der Arbeitslosen in eine kauffähige Nach-
frage verwandelten. Die Verwirklichung des Rechts
auf Arbeit bedeute die Bildung neuer Einkommen
und habe unmittelbar nicht nur eine Vermehrung
des Angebots von Waren, sondern auch eine Stei-
gerung des kaufmännischen Bedarfs zur Folge.
Zur Verwirklichung des Rechts auf Arbeit sind
mehrfache Ansätze gemacht worden. Schon im
Mittelalter gab es insofern ein gewisses Recht auf
Arbeit, als durch die Zunftordnungen die Zahl der
Gewerbetreibenden eingeschränkt und diesen ein
besonderes Gebiet (Bannmeile) zugewiesen war,
innerhalb dessen sie ihr Gewerbe unter Ausschluß
auswärtiger Konkurrenten ausüben und ihre ge-
werblichen Erzeugnisse absetzen konnten. Eine An-
erkennung des Rechts auf Arbeit will man dann
schon in dem „Allgemeinen Gesetzbuch für die
preußischen Staaten“ (2. Tl, 19. Abschn.) finden,
wo in § 2 bestimmt ist: „Denjenigen, welchen es
nur an Mitteln und Gelegenheit, ihren und der
Ihrigen Unterhalt selbst zu verdienen, ermangelt,
sollen Arbeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten
gemäß sind, angewiesen werden.“ Irgend welche
praktische Folgerungen hat man jedoch aus dieser
Bestimmung in Preußen nicht gezogen; sie hatte
offenbar nur eine Art Armenunterstützung im Auge.
Ernstlicher hat man die Verwirklichung des Rechts
auf Arbeit in Frankreich versucht. Die franzö-