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tags gemäßigt. Als Schweden 1809 von Ruß-
land bedrängt wurde, setzten die Stände den halb
unzurechnungsfähigen König Gustav IV. ab und
gaben 6. Juni 1809 eine neue „Regierungsform“,
die noch jetzt geltende konstitutionelle Verfassung.
Darauf wählten sie Gustavs IV. Oheim Karl XIII.
zum König, den französischen General Bernadotte
zum Kronprinzen.
Dieser kam 1818 als Karl XIV. Johann
auf den Thron. Unter ihm wurde der Staatsrat
reorganisiert, 1840 die Departementseinteilung,
1842 der Schulzwang eingeführt. Dem konstitu-
tionellen Leben und einer Anderung der Verfassung
zeigte er sich abgeneigt, nahm aber wie alle seine
Nachfolger lebhaften Anteil am wirtschaftlichen und
geistigen Fortschritt seines Volks. Unter seinem
Sohn Oskar I. (1844/59) wurden zahlreiche
Kanal-- und Bahnbauten geschaffen und 1846 die
Gewerbefreiheit eingeführt. Unter dem Einfluß
des Revolutionsjahrs 1848 wurde ein Entwurf
vorgelegt, wonach das Zweikammersystem an die
Stelle des bisherigen Reichstags treten sollte.
Dieser setzte sich wie schon im Mittelalter aus vier
Ständen: Adel, Geistlichkeit, Bürgern und Bauern,
zusammen, und die Verfassung von 1809 hatte
nichts daran geändert. Im Krimkrieg stellte sich
Schweden auf die Seite der Westmächte und er-
reichte im Pariser Frieden 1856 das Verbot der
Befestigung der Alandsinseln durch Rußland.
Unter Oskars Sohn Karl XV. (1859/72) kam
1860 das Gesetz über Selbstverwaltung der Ge-
meinden, 1863 die Strafrechtsreform und 22. Juni
1865 die Verfassungsreform zustande (Zweikam-
mersystem, beide Kammern gewählt, niedriger
Zensus). Die Folge davon war, daß in der Zweiten
Kammer fortan bis in die 1890er Jahre die seit
1867 von Graf Posse in der Landmannpartei
organisierten Bauern die Mehrheit besaßen, die
vor allem Sparsamkeit und Herabsetzung der
Grundsteuer verlangten. So kam die dringend
notwendige Heeresreform erst unter Karls Bruder
Oskar II. (1872/1907) 1885 zustande, und
auch jetzt nur in beschränktem Umfang; die beab-
sichtigte Abschaffung der Indelta erfolgte erst durch
das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht von
1901. Seit den 1880er Jahren traten die han-
delspolitischen Fragen in den Vordergrund (1888
wurde ein schutzzöllnerischer Tarif erlassen, 1908
letztmals erhöht), und bald noch mehr das Ver-
hältnis zu Norwegen (s. d. Art.), das 1905 ge-
löst wurde. Seit der Einführung der allgemeinen
Wehrpflicht und mit dem Anwachsen der Liberalen
und Sozialdemokraten wurde immer dringender
die Forderung des allgemeinen gleichen Wahl-
rechts erhoben. 1902 legte die Regierung einen
Entwurf vor, der aber scheiterte. Lindman, seit
1906 an der Spitze eines aus Konservativen und
Gemäßigt-Liberalen gemischten Ministeriums,
setzte 14. Mai 1907 und (da verfassungsmäßig
die Sanktion durch einen neuen Reichstag not-
wendig ist) 10. Febr. 1909 einen neuen Entwurf
Staatslexikon. TV. 3. u. 4. Aufl.
Schweden.
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durch, der außer dem allgemeinen gleichen Wahl-
recht für die Zweite Kammer zugleich das Pro-
portionalwahlrecht für diese und die Gemeinde-
wahlen und eine Reform der Ersten Kammer (6.4
statt 9jähriger Wahlperiode, Herabsetzung des
Zensus, Diäten) enthielt. Weiter gehende Forde-
rungen der äußersten Linken (Frauenstimmrecht,
suspensives Veto für die Erste Kammer) wurden
abgelehnt. Die bisher fast rein konservative Erste
Kammer geht nun gleichfalls einer Demokrati-
sierung entgegen. Oskar II. starb 1907; ihm
folgte sein Sohn Gustav V. (geb. 1858). Einen
schweren Schlag erlitt das wirtschaftliche Leben
durch den Generalstreik 1909, in dem fast 300000
Arbeiter streikten oder ausgesperrt waren. Eine
Verstärkung der Marine und Steuerreform (Ein-
kommen= und Vermögensteuer) stehen bevor. —
In die auswärtige Politik hat Schweden seit dem
Krimkrieg nicht mehr eingegriffen; das Nordsee-
und das Ostseeabkommen vom 23. April 1908
garantierten ihm seinen Besitzstand, nachdem es
eine Neutralisierung abgelehnt hatte.
II. Die Fläche des Landes beträgt 447864qkm
(davon 8,2 % Seen). Die Einwohnerzahl be-
lief sich 1800 auf 2347303, 1870 auf 4168 525,
1900 auf 5 136 441 Seelen; für Anfang 1909
wurde sie auf 5 429 600 berechnet. Die mittlere
Dichte (12 auf 1 qkm) wird in den südlichen
Läns bedeutend überschritten (Malmöhus 93,
Göteborg und Bohus 74, Blekinge 49); nach
Norden hin nimmt sie immer mehr ab (Koppar-
berg 7, Vesterbotten 3, Jemtland 2, Norrbotten 1).
Die jährliche Volkszunahme betrug von 1800 bis
1840: 1,07 %, von 1840 bis 1880: 0,95, von
1880 bis 1900: 0,71% ; dem Geburtenüberschuß
(seit 1894 durchschnittlich 1,1 % der Bevölkerung)
steht bei mäßiger Einwanderung (1903: 7623,
1906: 9581, 1908: 9818 Personen) ein ver-
hältnismäßig großer, doch ständig geringer wer-
dender Verlust durch Auswanderung gegenüber
(1903: 39 525, 1906: 24704, 1907:22978,
1908: 12 499 Personen). Nach der Zählung
1900 waren 5 100 814 Einheimische (5 071 693
Schweden, 22138 Finnen, 6983 Lappen), 35 627
Ausländer (7978 Norweger, 6874 Dänen, 6644
Finländer, 5107 Deutsche, 1506 Russen, 5130
aus den Vereinigten Staaten usw.), nach dem
Religionsbekenntnis 5072773 Lutheraner, 41 530
Baptisten, 7041 Methodisten, 2378 Römisch-
Katholische, 8750 andere Christen, 3912 Juden.
Beruflich beschäftigten sich (einschließlich der Fa-
milienmitglieder und sonstigen Angehörigen)
2378556 Personen mit Landwirtschaft und Fi-
scherei, 1209 900 mit Bergbau und Industrie,
414 143 mit Handel und Verkehr, 272 295 waren
in öffentlichen Diensten oder freien Berufsarten
tätig, 861 547 ohne Beruf oder unbekannten Be-
rufs. Anfang 1909 zählte das Land 26 Städte
mit mehr als 10 000 Einwohnern; die bedeu-
tendsten sind die Hauptstadt Stockholm (339 582),
Göteborg (162 417), Malmö (81 120), Norr-
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