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schen Fakultäten sind gegenwärtig bischöfliche oder
wenigstens unter bischöflicher Leitung stehende Kon-
vikte für die Theologiestudierenden verbunden, die
hinsichtlich der moralisch-aszetischen Erziehung nach
dem Muster der tridentinischen Seminare organi-
siert sind. Außerdem besitzen alle Diözesen für die
praktische Ausbildung der Geistlichen die sog.
Priesterseminare. Niemand kann daher gegen die
deutschen Bischöfe, in deren Diözesen theologische
Fakultäten errichtet sind, den Vorwurf erheben,
daß sie für die moralisch-aszetische und praktische
Ausbildung ihrer zukünftigen Geistlichen weniger
eifrig besorgt seien als ihre Amtsgenossen, die ein
Klerikalseminar unterhalten. Anderseits muß man
aber auch den Professoren der bischöflichen Semi-
narien zum Ruhm nachsagen, daß sie ihre Tätig-
keit bei weitem nicht ausschließlich auf die Doktion
beschränkt haben, sondern daß sie mit ihren Fa-
kullätskollegen in einen regen literarischen Wett-
eifer auf rein wissenschaftlichem Gebiet getreten sind.
Außer den wesentlichen Unterscheidungsmerk-
malen kommen noch einige nebensächliche, rein
äußerliche Differenzpunkte in Betracht, die bis
heute in praktischer Geltung geblieben sind. 1) Die
Seminarien unterstehen als bloße Diözesananstal-
ten der Oberleitung der Congregatio consisto-
rialis; die theologischen Fakultäten sind dagegen,
soweit es sich um kirchliche Institute handelt,
der Oberaufsicht der Congregatio studiorum
unterstellt. 2) Die Verleihung der akademischen
Grade ist den Fakultäten vorbehalten. 3) Die
Fakultäten besitzen in der Regel eine korporative
Organisation, während die Seminarien unmittel-
bar vom Bischof geleitet werden. 4) Für die Er-
richtung der theologischen Fakultäten wird endlich
nach der vigens ecclesiae disciplina die Mit-
wirkung des Papstes erfordert.
2. Kirchliche und staatliche Fakul-
täten; statistische Ubersicht über die
beiden Klassen. Die weitaus größte Mehr-
zahl der jetzt existierenden theologischen Fakultäten
ist von der Kirche gegründet und daher ausschließ-
lich von der kirchlichen Leitung abhängig. Einzelne
kirchliche Fakultäten (für Theologie, Philosophie
und kanonisches Recht) sind besonders zahlreich
in Rom (Seminarium Romanum oder Apol-
linare, Collegium Romanum oder Gregoriana,
Collegium S. Thomae oder Ilinerva und Col-
legium Urbanum oder Propaganda) und in
andern Städten Italiens, z. B. in Benevent, Bo-
logna, Fermo, Florenz, Genua, Mailand, Padua,
Parma, Turin, Venedig usw. vertreten. In Frank-
reich existieren die theologischen Fakultäten zu
Angers, Lille (freie katholische Universität mit sämt-
lichen Fakultäten), Lyon, Paris und Toulouse.
Für Spanien bat die Congregatio studiorum
am 80. Juni 1896 gestattet, daß an sämtlichen
neun Metropolitanseminarien und zu Salamanca
Fakultäten für Theologie, Philosophie und kano-
nisches Recht errichtet würden. Im Jahr 1898
hat Leo XIII. das bischöfliche Seminar zu Luxem-
Theologische Fakultäten.
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burg zum Rang einer Fakultät mit dem Recht der
Gradenverleihung erhoben. Vollständige katholische
Universitäten sind auf Grund der Unterrichts-
freiheit errichtet in Löwen (1835), Lille (1876),
Quebek (1876), Washington (1889). An Stelle
der katholischen Universität zu Dublin ist am
1. Aug. 1908 eine staatliche Universität (jedoch
ohne theologische Fakultät) für die irischen Katho-
liken gegründet worden. Die Universität Freiburg
in der Schweiz (errichtet 1889) ist eine Staats-
anstalt in demselben Sinn wie die übrigen schwei-
zerischen Universitäten.
Nachdem die Regierungen von Italien am
26. Jan. 1873 und von Frankreich am 27. Juni
1885 die theologischen Fakultäten an den Staats-
universitäten, die allerdings bis dahin aus Mangel
an Zuhörern nur eine Scheinexistenz fristeten, auf-
gehoben haben, kommen Staatsfakultäten für die
theologische Forschung und die Heranbildung der
katholischen Geistlichen fast nur noch in Deutschland
und Osterreich-Ungarn in Betracht. Katholisch-theo-
logische Fakultäten sind augenblicklich vertreten an
den Universitäten Bonn, Breslau, Freiburg i. Br.,
München, Münster, Straßburg, Tübingen und
Würzburg (im Deutschen Reich); ferner Graz,
Prag (2), Wien und Innsbruck (In Osterreich).
Ihnen schließen sich als einzelne Fakultäten an die
fünf bayrischen Lyzeen zu Bamberg, Dillingen,
Freising, Passau, Regensburg (das sechste bayri-
sche Lyzeum in Eichstätt ist bischöflich), die als
Reste der ehemaligen Universitäten bestehen ge-
bliebenen Fakultäten zu Olmütz und Salzburg
und das Lyceum Hosianum in Braunsberg.
Den 14 staatlichen Fakultäten im Deutschen Reich
stehen 8 bischöfliche Klerikalseminarien (philo-
sophisch-theologische Lehranstalten, Priestersemi-
nare) gegenüber: Fulda, Paderborn, Pelplin,
Posen, Trier (für Preußen), das bischöfliche Ly-
zeum in Eichstätt und die beiden Priesterseminare
zu Mainz und Metz. Während des Wintersemesters
1907/08 bzw. des Sommersemesters 1907 betrug
die Zahl der Studierenden an den staatlichen Fa-
kultäten 2556, die der bischöflichen Lehranstalten
754. Unter den 654 Studierenden der bayrischen
Lyzeen befinden sich allerdings einige Studenten
der weltlichen Fakultäten; trotzdem ist die Zahl
der an den Staatsfakultäten studierenden Theo-
logen mehr als dreimal so groß wie die Anzahl der
Studierenden der Klerikalseminarien. Vgl. Krose,
Kirchl. Handb. I (1908) 180 u. II (1909) 261.
3. Uberblick über die äußere Geschichte
der deutschen Fakultäten im 19. Jahrh.
Mit einigen Ausnahmen (z. B. Freiburg i. Br.,
Münster und Würzburg) sind die jetzt bestehenden
theologischen Fakultäten des Deutschen Reichs im
Anfang des 19. Jahrh. gegründet worden. Die
betreffenden Landesregierungen riefen dieselben ins
Leben, teils um den katholischen Untertanen einen
Ersatz für die aufgehobenen katholischen Universi-
lälen zu bieten, deren Anzahl beim Untergang des
alten Reichs 18 betrug, teils auch in der besondern