Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

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bündeten Regierungen sowohl wie im Reichstag 
wurde den Bestimmungen betr. das Heilverfahren 
eine ganz besondere Bedeutung beigemessen. Ein- 
mal bezweckt es, dem Versicherten die Gesundheit 
zu erhalten bzw. wiederzugeben und ihn damit zu 
befähigen, in ausreichender Weise für seine Fa- 
milie zu sorgen und seine ganze Kraft für seinen 
Beruf und damit für die Allgemeinheit einzusetzen, 
anderseits bedeutet das Heilverfahren eine Lei- 
stung, welche der Angestelltenschaft nicht erst nach 
kürzerer oder längerer Wartezeit, sondern schon 
im ersten Jahr von seiten der Versicherungsanstalt 
zugute kommen wird. Zunächst sind für diesen 
Zweck 7,5 Mill. M ausgeworfen. Diese Summe 
kann aber aus andern zur Verfügung des Ver- 
waltungsrats stehenden Mitteln bis auf etwa 
20 Mill. Ak erhöht werden. Das ist eine Summe, 
mit der sich nach den bei der Invaliden- und Hin- 
terbliebenenversicherung gemachten Erfahrungen 
Außerordentliches leisten läßt. 
An Stelle der Barleistungen an Ruhegeld= und 
Rentenberechtigte können auch Sachleistungen 
treten (§§ 44 ff). Darunter ist die Unterbringung 
der Berechtigten in einem Invaliden= oder Waisen- 
haus zu verstehen. Die Aufnahme, welche auf 
Antrag der Rentenberechtigten erfolgt, verpflichtet 
ihn auf ein Vierteljahr. Trunksüchtigen können 
ebenfalls Sachleistungen gewährt werden. Das 
muß geschehen auf Antrag des beteiligten Armen- 
verbands oder der zuständigen Gemeindebehörde. 
Bei entmündigten Trunksüchtigen ist die Zustim- 
mung des Vormunds erforderlich. Die Sach- 
leistung kann auch durch Aufnahme in eine Trinker- 
heilanstalt oder mit Zustimmung der Gemeinde 
durch Vermittlung einer Trinkerfürsorgestelle ge- 
währt werden. 
4) Als weitere Leistungen des Gesetzes sind zu 
erwähnen die Erstattung von Beiträgen 
(§§ 60 f) bzw. die Gewährung einer 
Leibrente (§ 62). Stirbt eine weibliche Ver- 
sicherte nach Ablauf der Wartezeit von 60 Bei- 
tragsmonaten vor Eintritt in den Genuß eines 
Ruhegelds oder einer Leibrente, und besteht kein 
Anspruch auf Hinterbliebenenrenten, so ist auf 
Verlangen die Hälfte der für die Versicherte bis 
zu ihrem Tod eingezahlten Beiträge als Abfin- 
dung zurückzugewähren. In diesem Fall sind 
nacheinander anspruchsberechtigt der Ehegatte, die 
Kinder, der Vater, die Mutter, die Geschwister, 
wenn sie mit der Versicherten zur Zeit ihres Todes 
in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder von 
der Versicherten wesentlich aus ihrem Arbeitsver- 
dienst unterhalten worden sind. Der Anspruch 
muß innerhalb eines Jahrs nach dem Tod geltend 
gemacht werden. Statt der Abfindung kann dem 
Berechtigten eine lebenslängliche Rente 
gewährt werden. Scheidet eine weibliche Ver- 
sicherte nach Ablauf der Wartezeit für das Ruhe- 
geld infolge Verheiratung aus einer versicherungs- 
pflichtigen Tätigkeit aus, so steht ihr ein Anspruch 
Privatbeamtenversicherung. 
  
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Beiträge zu. Damit sind weitere Ansprüche an 
die Versicherung ausgeschlossen. Den weiblichen 
Versicherten kann aber auch auf Antrag an Stelle 
der freiwilligen Fortsetzung der Versicherung oder 
der Aufrechterhaltung der erworbenen Anwart- 
schaft oder der Erstattung von Beiträgen eine 
Leibrente gewährt werden, deren Höhe sich 
nach dem Wert der erworbenen Anwartschaft auf 
Ruhegeld und nach dem Alter der Antragstellerin 
richtet. — Die Leistungen nach diesem Gesetz sind 
keine öffentlichen Armenunterstützungen (8 92). 
III. Fräger der Persicherung ist die in 
Berlin zu errichtende Reichsversicherungsanstalt, 
welche eine öffentliche Behörde darstellt. Ihre 
Organe sind das Direktorium, der Verwaltungs- 
rat, die Rentenausschüsse, die Vertrauensmänner. 
In allen Organen ist die Mitwirkung der Ver- 
sicherten vorgesehen und durch das Gesetz bestimmt. 
Das Direktorium vertritt die Reichsversiche- 
rungsanstalt gerichtlich und außergerichtlich und 
hat die Stelle eines gesetzlichen Vertreters. Es 
besteht aus einem Präsidenten und der erforder- 
lichen Anzahl von beamteten Mitgliedern, sowie 
aus je zwei Vertretern der versicherten Angestellten 
und ihrer Arbeitgeber. Präsident und beamtete 
Mitglieder sowie die höheren etatsmäßigen Be- 
amten werden auf den Vorschlag des Bundesrats 
vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt. Der Ver- 
waltungsrat besteht aus dem Präsidenten des 
Direktoriums oder seinem Stellvertreter als Vor- 
sitzenden und mindestens je zwölf Vertretern der 
versicherten Angestellten und ihrer Arbeitgeber. 
Nach Bedarf kann der Reichskanzler deren Zahl 
erhöhen. Die Vertreter der Arbeitgeber werden 
von den Arbeitgebervertretern unter den Ver- 
trauensmännern, die übrigen von den Angestellten- 
vertretern unter den Vertrauensmännern gewählt. 
Der Rentenausschuß hat Nuhegeld, Rente 
und Abfindung festzustellen und anzuweisen, Ruhe- 
geld und Rente zu entziehen und einzustellen, 
Anträge auf Einleitung des Heilverfahrens ent- 
gegenzunehmen und dieses vorzubereiten, in An- 
gelegenheiten der Angestelltenversicherung Auskunft 
zu erteilen. Bei richterlichen Entscheidungen dürfen 
als Beisitzer nur Männer mitwirken. Die Ver- 
trauensmänner wählen die Beisitzer für die 
Rentenausschüsse, für die Schiedsgerichte, für das 
Oberschiedsgericht und für den Verwaltungsrat. 
Sie selbst werden je zur Hälfte aus den Ver- 
sicherten —. auch den weiblichen —, die nicht 
Arbeitgeber sind, und aus den Arbeitgebern der 
versicherten Angestellten gewählt. Wahlberechtigt 
sind volljährige Deutsche. Gewählt wird nach den 
Grundsätzen der Verhältniswahl. Die Ver- 
trauensmänner verwalten ihr Amt ebenso wie die 
Versicherungsvertreter im Verwaltungsrat und im 
Rentenausschuß unentgeltlich als Ehrenamt. 
IV. Organe der Riechtsprechung. Recht- 
sprechende Organe sind in höherer Instanz die 
Schiedsgerichte und das Oberschiedsgericht. Die 
auf Erstattung der Hälfte der für sie geleisteten Schiedsgerichte nehmen nach den Vorschriften
	        
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