Full text: Staatslexikon. Fünfter Band: Staatsrat bis Zweikampf. (5)

145 
entweder vollständig kostenlos oder gegen ganz ge- 
ringes Entgelt erteilt. Um die Gesundheit schwäch- 
licher Kinder zu kräftigen, sind verschiedene Städte 
(Charlottenburg, Dortmund, München-Gladbach 
und Mülhausen i. E.) zur Errichtung von be- 
sondern Waldschulen geschritten, für deren Be- 
nutzung ebenfalls nur ein geringes Entgelt zu 
zahlen ist, soweit dieselbe nicht ohne weiteres un- 
entgeltlich ist. In einer ganzen Reihe von Städten 
sind ferner als hygienische Berater der Schul- 
behörden Schulärzte angestellt, welche den Schul- 
betrieb und den gesundheitlichen Zustand der 
Schüler dauernd zu beaufsichtigen haben. Dazu 
kommen in neuerer Zeit noch besondere Schul- 
zahnärzte und Schulzahnkliniken. Zur Gewinnung 
tüchtiger Lehrkräfte bieten die Städte alles auf und 
schrecken, wie die ständige Steigerung der Lehrer- 
gehälter beweist, vor keinem Geldopfer zurück. So 
wird nicht nur für das Wissen, sondern auch für 
die körperliche Gesundheit der minderbemittelten 
Jugend in jeder Beziehung Sorge getragen. Schul- 
geld wird in weitaus der Mehrzahl der Städte 
keines mehr erhoben und auch die nötigen Lern- 
mittel werden vielfach von der Schulverwaltung 
unentgeltlich verabfolgt. 
Daß dabei die übrigen Gebiete des Unterrichts- 
wesens nicht zu kurz gekommen sind, zeigt die 
große Zahl von höheren Lehranstalten, 
Realgymnasien, Reform= und Realschulen, welche 
in den letzten beiden Jahrzehnten von den Städten 
ins Leben gerufen worden sind. Behufs Erwei- 
terung und Vertiefung der Volksbildung wurden 
ferner Hoch= (Handels= und Musik-), Fach- 
(Handels= und Gewerbe-) und Fortbildungs- 
schulen, Volksbibliotheken und Lesehallen, Theater 
und Museen gegründet, Volksvorstellungen, Volks- 
konzerte und volkstümliche Vortragskurse ein- 
gerichtet. Es darf daher nicht wundernehmen, daß 
der Aufwand der deutschen Städte für Bildung 
und Kunst sich auf mehr als 250 Mill. M 
jährlich beziffert. 
Eine weitere wichtige Aufgabe der kommunal- 
wirtschaftlichen Tätigkeit bildet die Förderung des 
Gesundheitswesens. Auch auf diesem Ge- 
biet haben sich die deutschen Städte durch Ein- 
führung der Wasserversorgung und Kanalisation, 
durch geregelte Abfuhr des Hausmülls und der 
Fäkalien, durch Errichtung von Schlacht= und 
Viehhöfen, Schwimmhallen und sog. Volksbädern, 
Luft-, Licht= und Sonnen= sowie Brause= und 
Warmbadeanstalten hervorragende Verdienste er- 
worben. Von 2309 deutschen Stadtgemeinden 
aller Größenklassen, für die entsprechende Angaben 
vorliegen, haben heute 1238 eigne gemeindliche 
Wasserwerke, darunter 404 Städte mit 2000 
bis 5000 und 206 gar mit weniger als 2000 
Seelen. Haben alle diese Einrichtungen ebenso wie 
die städtischen Gesundheits- und Nahrungsmittel- 
untersuchungsämter die Vorbeugung gegen Krank- 
heiten zum Ziel, so reiht sich dem die Fülle jener 
Maßnahmen der städtischen Verwaltung an, die zur 
Städtewesen, modernes. 
  
146 
Unterbringung und Heilung der Kranken bestimmt 
sind: mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattete 
und vontüchtigen Arzten geleitete Krankenhäuser 
und Heilanstalten, welche nicht nur den 
Bewohnern der Städte, sondern auch den um- 
liegenden Dörfern als gute und billige Pflege- 
stätten dienen. Daß die Errichtung und Unter- 
haltung dieser Anstalten an den städtischen Geld- 
beutel ganz gewaltige Anforderungen stellen, zeigen 
die vielen Anleihen und erheblichen Betriebs- 
zuschüsse in den Budgets der größeren Städte. 
Als weitere Maßnahmen städtischer Gesundheits- 
pflege kommen in Betracht die Kommunalisierung 
des Abfuhrbetriebs und Begräbniswesens, die 
Einführung des Leichenhallenzwangs, die Errich- 
tung von Desinfektionsanstalten, Trinker= und 
Tuberkulosefürsorgestellen. In den letzteren wer- 
den lungenschwindsüchtige Kranke oder Krank- 
heitsverdächtige nicht nur unentgeltlich untersucht, 
sondern auch nötigenfalls mit Lebensmitteln, Betten, 
Mietszuschüssen unterstützt oder auf städtische Kosten 
in Heilstätten untergebracht. 
Mit großem Erfolg haben sodann die deutschen 
Städte die Bekämpfung der Säuglings- 
sterblichkeit, d. h. der Sterblichkeit der Kinder 
im ersten Lebensjahr, welche bis vor kurzer Zeit 
wegen ihrer unverhältnismäßig hohen Zahl eine 
der betrübendsten Begleiterscheinungen der groß- 
städtischen Entwicklung bildete, in die Hand ge- 
nommen. Es traf dies namentlich bei den un- 
ehelichen Kindern zu, denen es an der erforder- 
lichen Fürsorge ganz besonders zu mangeln pflegt. 
In den 1880er Jahren starben im Durchschnitt 
der Städte jährlich von je 1000 ehelichen Kindern 
im ersten Lebensjahr rund 210, von den unehe- 
lichen zwischen 395 und 400; die Ziffern auf dem 
Land waren dagegen erheblich niedriger, indem sie 
bei den ehelichen nur 185 bis 190 und bei den un- 
ehelichen Kindern 320 bis 330 betrugen. Seit 
der Mitte der 1890er Jahre sind aber die meisten 
Städte auf Veranlassung der Arzte und anderer 
interessierter Kreise mit einer Reihe von vor- 
beugenden Maßnahmen gegen diese schlimmen 
Zustände vorgegangen. Zur Behandlung kranker 
Säuglinge wurden an vielen Orten Kinderhospi- 
tale und Säuglingsheime errichtet; zwecks Ver- 
sorgung der Kinder mit einwandfreier Milch wur- 
den städtische Milchküchen eingerichtet, in denen 
meist unter ärztlicher Aufsicht die Milch sterilisiert, 
sachgemäß zubereitet und danach zu billigem Preis 
an die minder bemittelten Bevölkerungskreise ver- 
abfolgt wird. Daneben werden vielfach, um die 
Ernährung der Säuglinge mit Muttermilch zu 
fördern, aus städtischen oder Stiftungsmitteln 
Prämien in verschiedener Höhe an selbststillende 
Mütter gewährt; in besondern Mutterberatungs- 
und Fürsorgestellen wird allgemeine Belehrung 
über Säuglingspflege erteilt und unentgeltliche 
ärztliche Untersuchung geboten. Dank dieser weit- 
gehenden Fürsorgetätigkeit ist heute z. B. in Preußen 
die Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge im Durch-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.