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entweder vollständig kostenlos oder gegen ganz ge-
ringes Entgelt erteilt. Um die Gesundheit schwäch-
licher Kinder zu kräftigen, sind verschiedene Städte
(Charlottenburg, Dortmund, München-Gladbach
und Mülhausen i. E.) zur Errichtung von be-
sondern Waldschulen geschritten, für deren Be-
nutzung ebenfalls nur ein geringes Entgelt zu
zahlen ist, soweit dieselbe nicht ohne weiteres un-
entgeltlich ist. In einer ganzen Reihe von Städten
sind ferner als hygienische Berater der Schul-
behörden Schulärzte angestellt, welche den Schul-
betrieb und den gesundheitlichen Zustand der
Schüler dauernd zu beaufsichtigen haben. Dazu
kommen in neuerer Zeit noch besondere Schul-
zahnärzte und Schulzahnkliniken. Zur Gewinnung
tüchtiger Lehrkräfte bieten die Städte alles auf und
schrecken, wie die ständige Steigerung der Lehrer-
gehälter beweist, vor keinem Geldopfer zurück. So
wird nicht nur für das Wissen, sondern auch für
die körperliche Gesundheit der minderbemittelten
Jugend in jeder Beziehung Sorge getragen. Schul-
geld wird in weitaus der Mehrzahl der Städte
keines mehr erhoben und auch die nötigen Lern-
mittel werden vielfach von der Schulverwaltung
unentgeltlich verabfolgt.
Daß dabei die übrigen Gebiete des Unterrichts-
wesens nicht zu kurz gekommen sind, zeigt die
große Zahl von höheren Lehranstalten,
Realgymnasien, Reform= und Realschulen, welche
in den letzten beiden Jahrzehnten von den Städten
ins Leben gerufen worden sind. Behufs Erwei-
terung und Vertiefung der Volksbildung wurden
ferner Hoch= (Handels= und Musik-), Fach-
(Handels= und Gewerbe-) und Fortbildungs-
schulen, Volksbibliotheken und Lesehallen, Theater
und Museen gegründet, Volksvorstellungen, Volks-
konzerte und volkstümliche Vortragskurse ein-
gerichtet. Es darf daher nicht wundernehmen, daß
der Aufwand der deutschen Städte für Bildung
und Kunst sich auf mehr als 250 Mill. M
jährlich beziffert.
Eine weitere wichtige Aufgabe der kommunal-
wirtschaftlichen Tätigkeit bildet die Förderung des
Gesundheitswesens. Auch auf diesem Ge-
biet haben sich die deutschen Städte durch Ein-
führung der Wasserversorgung und Kanalisation,
durch geregelte Abfuhr des Hausmülls und der
Fäkalien, durch Errichtung von Schlacht= und
Viehhöfen, Schwimmhallen und sog. Volksbädern,
Luft-, Licht= und Sonnen= sowie Brause= und
Warmbadeanstalten hervorragende Verdienste er-
worben. Von 2309 deutschen Stadtgemeinden
aller Größenklassen, für die entsprechende Angaben
vorliegen, haben heute 1238 eigne gemeindliche
Wasserwerke, darunter 404 Städte mit 2000
bis 5000 und 206 gar mit weniger als 2000
Seelen. Haben alle diese Einrichtungen ebenso wie
die städtischen Gesundheits- und Nahrungsmittel-
untersuchungsämter die Vorbeugung gegen Krank-
heiten zum Ziel, so reiht sich dem die Fülle jener
Maßnahmen der städtischen Verwaltung an, die zur
Städtewesen, modernes.
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Unterbringung und Heilung der Kranken bestimmt
sind: mit allem Komfort der Neuzeit ausgestattete
und vontüchtigen Arzten geleitete Krankenhäuser
und Heilanstalten, welche nicht nur den
Bewohnern der Städte, sondern auch den um-
liegenden Dörfern als gute und billige Pflege-
stätten dienen. Daß die Errichtung und Unter-
haltung dieser Anstalten an den städtischen Geld-
beutel ganz gewaltige Anforderungen stellen, zeigen
die vielen Anleihen und erheblichen Betriebs-
zuschüsse in den Budgets der größeren Städte.
Als weitere Maßnahmen städtischer Gesundheits-
pflege kommen in Betracht die Kommunalisierung
des Abfuhrbetriebs und Begräbniswesens, die
Einführung des Leichenhallenzwangs, die Errich-
tung von Desinfektionsanstalten, Trinker= und
Tuberkulosefürsorgestellen. In den letzteren wer-
den lungenschwindsüchtige Kranke oder Krank-
heitsverdächtige nicht nur unentgeltlich untersucht,
sondern auch nötigenfalls mit Lebensmitteln, Betten,
Mietszuschüssen unterstützt oder auf städtische Kosten
in Heilstätten untergebracht.
Mit großem Erfolg haben sodann die deutschen
Städte die Bekämpfung der Säuglings-
sterblichkeit, d. h. der Sterblichkeit der Kinder
im ersten Lebensjahr, welche bis vor kurzer Zeit
wegen ihrer unverhältnismäßig hohen Zahl eine
der betrübendsten Begleiterscheinungen der groß-
städtischen Entwicklung bildete, in die Hand ge-
nommen. Es traf dies namentlich bei den un-
ehelichen Kindern zu, denen es an der erforder-
lichen Fürsorge ganz besonders zu mangeln pflegt.
In den 1880er Jahren starben im Durchschnitt
der Städte jährlich von je 1000 ehelichen Kindern
im ersten Lebensjahr rund 210, von den unehe-
lichen zwischen 395 und 400; die Ziffern auf dem
Land waren dagegen erheblich niedriger, indem sie
bei den ehelichen nur 185 bis 190 und bei den un-
ehelichen Kindern 320 bis 330 betrugen. Seit
der Mitte der 1890er Jahre sind aber die meisten
Städte auf Veranlassung der Arzte und anderer
interessierter Kreise mit einer Reihe von vor-
beugenden Maßnahmen gegen diese schlimmen
Zustände vorgegangen. Zur Behandlung kranker
Säuglinge wurden an vielen Orten Kinderhospi-
tale und Säuglingsheime errichtet; zwecks Ver-
sorgung der Kinder mit einwandfreier Milch wur-
den städtische Milchküchen eingerichtet, in denen
meist unter ärztlicher Aufsicht die Milch sterilisiert,
sachgemäß zubereitet und danach zu billigem Preis
an die minder bemittelten Bevölkerungskreise ver-
abfolgt wird. Daneben werden vielfach, um die
Ernährung der Säuglinge mit Muttermilch zu
fördern, aus städtischen oder Stiftungsmitteln
Prämien in verschiedener Höhe an selbststillende
Mütter gewährt; in besondern Mutterberatungs-
und Fürsorgestellen wird allgemeine Belehrung
über Säuglingspflege erteilt und unentgeltliche
ärztliche Untersuchung geboten. Dank dieser weit-
gehenden Fürsorgetätigkeit ist heute z. B. in Preußen
die Sterblichkeit der ehelichen Säuglinge im Durch-