Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Der sich verschärfende Gegensatz in der Auffassung der leitenden Instan- 
zen und meiner Gesinnungsgenossen in Berlin veranlaßte damals den 
Versuch, einen gelinden öffentlichen Druck hervorzurufen. 
Die nachfolgenden Glossen waren für die Zeitschrift „Deutsche Politik“ 
geschrieben. Sie geben ein lebhaftes Stimmungsbild. 
„Man braucht nicht ein Üüberzeugter Anhänger der Neuorien- 
tierung zu sein, um heute die schleunige Durchführung der Wahl- 
reform zu fordern. Diejenige Nation hat den Krieg verloren, deren Krieg 
zuerst aufhört, ein Volkskrieg zu sein. Die konservativen Herren müssen gewarnt 
sein: Wer die loyale Erfüllung des königlichen Versprechens verhindern will, 
rührt an die Wurzeln unserer nationalen Kraft; aber seltsamerweise taumeln 
auch die Datrioten unter den Konservativen in diese Gefahr hinein. Man möchte 
es fast tragisch nennen, wie in den führenden Kreisen Deutschlands der staats- 
männische Instinkt erloschen ist. Was gäbe England heute darum, könnte es für 
den Entscheidungskampf Arbeitermassen zur Verfügung haben, die so treu, die 
so leidensfähig und opferfreudig sind wie Deutschlands Arbeiter — unter der 
Voraussetzung, daß die Regierung ihr Vertrauen erwirbt. Die englischen Kon- 
servativen machten seinerzeit verzweifelte und zum Glück vergebliche Anstren- 
gungen, die Arbeiterführer ins Ministerium zurückzuberufen. In Deutschland aber 
ging ein Aufatmen durch die Reihen der Konservativen, als im Ministerium 
Hertling—Hayer—Friedberg der Sozialdemokrat fehlte. 
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ersten Gespräche, das ich mit Ihnen haben durfte. Wir sprachen vom Aufschub des 
U. Bootkrieges, der drohenden russischen Desorganisation usw. Herr Oberstleutnant 
waren damals sichtlich beeindruckt durch die Noeggerathschen Argumente, faßten 
jedoch dann den Entschluß, die so gut wie unvermeidlich gewordene militärische 
Operation nicht für die Heeresleitung dadurch zu erschweren, daß Herr Oberst- 
leutnant in letzter Stunde warnten.“ 
Dann fährt der Brief fort: „Die damalige Entscheidung hat die Entente vor 
dem Zusammenbruch gerettet. Ohne Aussicht auf amerikanische Hilfe, nach der 
russischen Revolution war die Entente besiegt. 
Diese kaum erträgliche Erkenntnis gibt mir den Mut, heute noch einmal meine 
berzeugung Herrn Oberstleutnant darzulegen. Ich sehe das Baterland ins Ver- 
derben gehen und Herrn Oberstleutnant in der Lage, es zu retten. Der heutige 
Wendepunkt wird sich später in der Geschichte genau herausheben .. Ist Deutsch- 
land jemals in der Lage, ein Abhängigkeitsverhältnis Belgiens durchzusetzen? 
Die Antwort lautet: Nur unter der Bedingung, daß wir eine solche Zwangslage für 
die Feinde schaffen, daß wir den Frieden diktieren können. Mit der Wiederher- 
stellung Belgiens steht und fällt die englische Selbstachtung. Zu glauben, daß die 
Engländer sich mit uns über Belgien verständigen werden, heißt den Gegner ver- 
achten. Das geschieht aus derselben Stimmung heraus, aus der man sagt: Die 
Engländer werden bis zum letzten Franzosen kämpfen. Der größte englische Pazifist, 
der augenblicklichen Waffenstillstand und Verhandlungen forderte, erklärte: freilich, 
sollten die Deutschen Belgien behalten Wollen, so zöge er selbst Khaki an.“. 
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