Full text: Prinz Max von Baden. Erinnerungen und Dokumente.

Am 14. Oktober kamen die Prinzen Adalbert und August Wilhelm in 
großer Erregung zu mir und erzählten mir, in Berlin schwirrten die wil- 
desten Gerüchte über die Abdankung des Kaisers herum. Prinz Adalbert 
fragte mich geradezu: Soll ich zu Papa gehen und ihm die Notwendig- 
keit vorstellen? Prinz August Wilhelm machte dabei eine abwehrende 
Bewegung. Ich sagte, daß ich einen solchen Schritt nicht für geboten 
hielte, ich hoffte, daß es mir gelingen würde, solange ich Kanzler wäre, 
eine Situation zu vermeiden, die die Abdankung des Kaisers notwendig 
mache. 
In der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober schrieb ich an meinen 
Vetter, den Großherzog von Baden. Ich setze wesentliche Stellen aus 
diesem Privatbrief her, weil er bezeichnend ist für die von trügerischen 
Hoffnungen und bangen Ahnungen erfüllte Stimmung dieser Tage. 
„Verlin, 15. Oktober 1918. 
„Mein lieber Fricl 
„In einer schlaflosen Stunde nach Mitternacht schreibe ich Dir diese 
Zeilen, damit der gute Düringer sie für Dich mitnimmt. 
„Mir ist der völlige Zusammenbruch des alten preußischen Systems erst 
klar geworden, als ich hier ankam. Erschreckt wollte ich zurückweichen, da 
ich erkannte, daß keine militärische Macht mehr hinter meiner Politik stehen 
würde, und wir auf dem Schlachtfeld bankerott waren. Ich tat es nicht, 
weil alle maßgebenden Faktoren mich als den einzigen bezeichneten, der 
die große Liquidation noch mit Anstand durchzuführen geeignet sei...Ich 
glaubte, fünf Minuten vor zwölf zu kommen, und bin nun fünf Minuten 
nach zwölf gerufen worden. 
„Wir stehen mitten in einer Revolution. Gelingt es mir, diese friedlich 
zu gestalten, so können wir noch als Staat nach Friedensschluß weiter be- 
steben. Gelingt das nicht, so kommt die Revolution der Gewalt und der 
Untergang. Heute noch hoffe ich, den Kaiser und die Dynastie Hohenzollern 
zu retten; aber dies allein erfordert einen Aufwand an Geist und Seelen- 
stärke, die einen ganzen Mann in Anspruch nimmt. Die Konservativent 
sprechen ganz offen von seiner Abdankung. Gottlob, daß ich in den Sozial- 
demokraten Männer auf meiner Seite habe, auf deren Loyalität wenig- 
stens gegen mich ich mich vollkommen verlassen kann. Mit ihrer Hilfe werde 
1 Natürlich beziehen sich meine Worte nicht auf eine offizielle Stellungnahme 
der konservativen Partei, sondern auf Stimmungen, wie sie während jener Zeit in 
zahlreichen Unterhaltungen laut wurden. Vgl. die Außerung Payers in der ge- 
heimen Sitzung vom 31. Oktober unten S. 548. 
405
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.