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sondern daß der Reichskanzler trotz dem vom Kaiser bestellten
Generalstellvertreter sich noch gemäß Art. 15 im Bundesrate
durch einen anderen vertreten lassen kann. Praktisch wird es
natürlich nicht vorkommen, daß der Reichskanzler dem vom
Kaiser bestellten Generalstellvertreter seinen Substituten gegen-
über= und damit für die Leitung der Geschäfte im Bundesrat
voranstellt. Auch für den Generalstellvertreter als Bundesrats-
vorsitzenden bleibt das Erfordernis bestehen, daß er zugleich
Mitglied des Bundesrats sein muß.,)
b. Die Frage betr. den Generalstellvertreter als Bundes-
ratsvorsitzenden ist noch sehr umstritten und zweifelhaft. Die
meisten Schriftsteller stehen jedoch auf dem oben vertretenen
Standpunkt.52)
c. Voraussetzung für die Bestellung eines Stellvertreters
durch den Kaiser 58) ist ein dahingehender Antrag des Reichs-
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51) Im übrigen sind bisher alle Generalstellvertreter außer einem
(Graf Stolberg) Bundesratsbevollmächtigte gewesen, wo der Reichskanzler
demnach selbst gemäß Art. 15, Abs. 2 für sich einen Stellvertreter im
Bundesrate ernennen mußte. — Nicht beizutreten ist der Auffassung Joels,
der in Hirths Ann. 1878, S. 787 f. die Ansicht vertritt, daß die Minister
jedes Bundesstaates in die Stellung eines Vizekanzlers berufen werden
können. Schon mit Rücksicht auf Ziffer IX des bayerischen Schlußprotokolls
könnte außer einem preußischen nur ein bayerischer Bevollmächtigter in
Frage kommen. Acber auch letzterer wäre in seiner Existenz und in seinem
Wirken von seiner Regierung zu sehr abhängig, um als Generalstellvertreter
des Reichskanzlers geeignet zu sein. Es sind hier dieselben Gründe anzu-
ziehen, wie sie schon bei Erörterung der Persönlichkeit des Reichskanzlers
erwähnt worden sind. Daraus ergibt sich, daß der Vizekanzler zweckmäßig
zu den preußischen Bundesratsmitgliedern gehören muß.
52) Laband, Staatsr. I, S. 279f.; Reichsstaatsr., S. 70; Meyer,
Lehrb., S. 434; Dambitsch, S. 323 f., 374; Hensel, a. a. O., S. 593.
Vgl. auch die Außerung des Staatssekretärs des Innern Graf Posadowsky-
Wehner in der Sitzung des Reichstags am 14. März 1901, Sten. Ber.,
S. 1847: „Nach dem Stellvertretungsgesetz kann nur derjenige Beamte den
Reichskanzler vertreten, der zu seinem Stellvertreter ernannt wurde und
außerdem Bevollmächtigter zum Bundesrat ist.“ Durch die letzten Worte
ist ausgedrückt, daß die Generalstellvertretung sich auch auf die Geschäfts-
führung im Bundesrate bezieht.
53) Dieser ist bei der Ernennung eines Generalstellvertreters rechtlich
unbeschränkt. (Anders bei den Spezialstellvertretern, wo er sich an die
Vorstände der obersten Reichsämter halten muß. § 2 St. V. Ges.)
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