Nach der 23. Infanteriedivision zu bestand noch immer
eine Lücke von etwa 3 Kilometer Breite. Sie schien aber
unbedenblich, da eine Fliegerabteilung 11,30 Uhr vormittags
feststellte, daß das Puits-Tal bei Humbauville vom Feinde
frei sei. So wurde nur die Nadfahrerkompagnie des Jäger-
bataillons 13 rechts von der 88. Infanteriebrigade noch
eingesetzt.
Die Verfügungstruppen des Korps — die Jäger-
bataillone 12 und 13 sowie das II. Bataillon Infanterie-
regiments 179 — wurden bei Punkt 230 nordwestlich von
Perthe-Ferme noch zurückgehalten.
Zwischen 1 und 3 Uhr nachmittags stellte sich beim
XIX. Armeekorps das Kampfbild etwa wie folgt dar:
Die rechte Nachbardivision und der eigene rechte Flügel
bei Grenoble-Ferme kamen unter schwerem feindlichen Ar-
tilleriekreuzfeuer nicht weiter vorwärts. Der linke Flügel
des Korps hatte beim Vorgehen in Richtung auf Chätel-
Raould zwar beträchtliche Verluste durch Artilleriefeuer
erlitten, aber alle Gegenangriffe der feindlichen Infanterie
an dem Weg= und Bachabschnitt westlich von Courdemanges
abgewiesen.
Für das weitere Vordringen des Armeekorps war der
Besitz der Certine-Ferme entscheidend. Nur nach deren
Wegnahme war das Vorbringen der eigenen Artillerie
auf die Höhen nordöstlich der Certine= Ferme möglich. Der
Versuch, den die 24. Infanterjedivision in den Nachmittags-
stunden unternahm, glückte zunächst. Eine Kompagnie des
Infanterieregiments 130 unter Hauptmann Kirchhoff drang
sogar bis in eine schwere französische Batterie südlich
des Gehöftes ein. Desgleichen vertrieben Teile der Re-
gimenter 139 und 179 unter Hauptmann Facilides dort
eine französische Feldkanonenbatterie. Das überlegene feind-
liche Artilleriefeuer zwang aber die Sturmtrupps, sich
in dem Gelände südlich der Bahnlinie Sompuis—Vitry-#le=
Frangois einzugraben und die Wirkung der eigenen Ar-
tillerie zunächst abzuwarten. Diese vermochte aber, durch
das unübersichtliche Waldgelände zu unerwünscht weitem
Jurückbleiben und zersplittertem Einsatz gezwungen, wäh-
rend des ganzen Tages nicht die Oberhand über die feind-
liche Artillerie zu erlangen. Vielmehr lastete deren gut-
geleitetes Feuer dauernd auf der Infanterie des
XIX. Armeekorps.
Truppe und Führung erwarteten die Nacht, um dann
weniger belästigt von der feindlichen Artillerie in nächtlichem
Bajonettangriff die feindliche Stellung zu durchstoßen.
Aber nach dem erntsetzlich heißen Tage und angesichts
der Ermattung, welche Mensch und Tier zu überwältigen
drohte, wurde nach Verständigung der höheren Führer
auf der ganzen Kampffront von einem Nachtangriff ab-
gesehen.
Das XIX. Armeekorps hatte beabsichtigt, während der
Nacht die vor seiner Front liegenden und am Tage schwer
zu fassenden Batterien bei Leo Nividres durch Uberfall zu
nehmen. Das Oberkommando der dritten Armee entsandte
deshalb einen Generalstabsoffizier zur vierten Armee nach
Courtisols, da es erforderlich schien, daß auch das
VIII. Armeekorps diese ihm gegenüberstehende schwere
Artillerie stürme. Der Offizier kehrte unverrichteter Sache
nach Chälons zurück, weil das VIII. Korps sich bei der
Entfernung von ven französischen Batterien (d Kilometer)
und der Ungewißheit über die Lage derselben keinen Erfolg
versprach. Infolgedessen und weil das VIII. Korps am
#8. September mit seinem rechten Flügel nicht wesentlich
über Huiron südwärts vorgedrungen war, unterblieb auch
beim XIX. Korps der Sturm auf Les Nivières und es wurde
endgültig von einem Nachtangriff Abstand genommen.
Der Verlauf des Kampftages war ein schweres, aber
ununterbrochenes Vorwärtsringen von Waldstück zu Wald-
stück, von Gehöft zu Gehöft, von einer Bodenwelle zur
Sachsen in großer Jeit Band II
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nächsten und erwies die völlige Uberlegenheit des deutschen
Soldaten im Feuerkampf und Angriffsdrang ebenso wie
die Unvergleichlich bessere Schulung der deutschen Führer
im Begegnungskampfe. Dieser schuf von Stunde zu Stunde
ganz neue Lagen, in denen sich trotz des völlig unübersicht-
lichen Geländes, das ein Eingreifen der höheren Führer
meist ausschloß, unsere prächtigen Unterführer als Meister
erwiesen. Einzelheiten sind hier vollbracht worden, welche
allein die ganze Friedensarbeit von mehr als 40 Jahren
gelohnt hätten. —
Die Kampflage bei den übrigen deutschen
Armeen
Die erste Armee
Die deutsche erste Armee behauptete sich am 8. September
in schwerem Kampfe gegen überlegene Kräfte westlich des
Ourcq in Linie Antilly—Congis. Die Armeekorps III und
IX trafen auf dem rechten Flügel der Armee ein, um am
nächsten Morgen umfassend einzugreifen. Die Marnelinie
Lizy—Nogent wurde durch das Heereskavalleriekorps 2
und eine verstärkte Infanteriebrigade gegen Angriffe aus
Richtung Coulommiers verteidigt. Das Oberkommando
der ersten Armee ging nach La Ferté-Milon.
Beim Gegner griff am 8. September das IV. Armee-
korps, von der dritten Armee entlehnt und mit der Bahn
direkt auf das Schlachtfeld herangeführt, zunächst auf
beiden Flügeln, dann vereint auf dem Nordflügel Mau-
nourys ein. Vergebens. Der Nordflügel wankte nach
schweren Verlusten.
Südlich der Marne kamen die Engländer nicht recht
vorwärts. French verlangte und erhielt sogar eine fran-
zösische Division zur Unterstützung. Die den Engländern
vorgeschriebene Linksschwenkung gegen den Marne-Abschnitt
Lizy—Nogent kam erst bio zum Abend zur Durchführung.
Es gelang dem General v. d. Marwitz, seine Nachhuten
fast unversehrt auf das Nordufer der Marne zurückzu-
führen und dort standzuhalten.
Kluck beherrschte voll die Lage, des Sieges für den
nächsten Tag sicher. Maunoury kämpfte am 8. September
nicht mehr um den Sieg, nur noch für die Abwehr der
eignen Niederlage. Das Stärkeverhältnis stellte sich hier
auf 7—8 französische gegen 6 preußische Divisionen, hinter
denen aber bereits 3½ Divisionen für den nächsten Morgen
bereitstanden.
Die zweite Armee
Für den rechten Flügel Bülows war der 8. September
ein schwerer Tag. Der Feind setzte einen mächtigen Stoß-
keil von 9 Infanterie= und 3 Kavalleriedioisionen gegen
4 Infanterie= und 2 Kavalleriedivisionen des rechten Flügels
der zweiten Armee an, gegen die Linie Fontenelle—Mont-
mirail—Vauchamp mit weiten Zielen bis zum Surmelin-
bach (La Ville—Orbais). Die Franzosen nahmen bis zum
Abend Marchais, 3 Kilometer südlich Fontenelle, Mont-
mirail und Vauchamp.
Auch das rechte Flügelkorps des General Franchet
d'Esperey, dav X. Armeekorps, kämpfte sich gegen das
preußische X. Reservekorps über den Petit-Morin bis Ban-
nay westlich des Gondsumpfes vorwärts und verhalf auch
dem linken Flügel Fochs (42. Infanterie= und Marokko=
division), der schwer unter dem Ansturm der Garde litt,
zur Wiedernahme von St.-Prix am Westrande des Gond-
sumpfe. Das südöstlich anschließende französische IX. Armee=
korps hielt sich mit Mühe etwa in Linie Allemant —Con-
nantre gegen die Garde.
Danach war die Lage der Armee Bülows, besonders
auf dem rechten Flügel, am 8. September zweifellos schwie-
rig, aber durchaus nicht hoffnungslos.