Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Nach der 23. Infanteriedivision zu bestand noch immer 
eine Lücke von etwa 3 Kilometer Breite. Sie schien aber 
unbedenblich, da eine Fliegerabteilung 11,30 Uhr vormittags 
feststellte, daß das Puits-Tal bei Humbauville vom Feinde 
frei sei. So wurde nur die Nadfahrerkompagnie des Jäger- 
bataillons 13 rechts von der 88. Infanteriebrigade noch 
eingesetzt. 
Die Verfügungstruppen des Korps — die Jäger- 
bataillone 12 und 13 sowie das II. Bataillon Infanterie- 
regiments 179 — wurden bei Punkt 230 nordwestlich von 
Perthe-Ferme noch zurückgehalten. 
Zwischen 1 und 3 Uhr nachmittags stellte sich beim 
XIX. Armeekorps das Kampfbild etwa wie folgt dar: 
Die rechte Nachbardivision und der eigene rechte Flügel 
bei Grenoble-Ferme kamen unter schwerem feindlichen Ar- 
tilleriekreuzfeuer nicht weiter vorwärts. Der linke Flügel 
des Korps hatte beim Vorgehen in Richtung auf Chätel- 
Raould zwar beträchtliche Verluste durch Artilleriefeuer 
erlitten, aber alle Gegenangriffe der feindlichen Infanterie 
an dem Weg= und Bachabschnitt westlich von Courdemanges 
abgewiesen. 
Für das weitere Vordringen des Armeekorps war der 
Besitz der Certine-Ferme entscheidend. Nur nach deren 
Wegnahme war das Vorbringen der eigenen Artillerie 
auf die Höhen nordöstlich der Certine= Ferme möglich. Der 
Versuch, den die 24. Infanterjedivision in den Nachmittags- 
stunden unternahm, glückte zunächst. Eine Kompagnie des 
Infanterieregiments 130 unter Hauptmann Kirchhoff drang 
sogar bis in eine schwere französische Batterie südlich 
des Gehöftes ein. Desgleichen vertrieben Teile der Re- 
gimenter 139 und 179 unter Hauptmann Facilides dort 
eine französische Feldkanonenbatterie. Das überlegene feind- 
liche Artilleriefeuer zwang aber die Sturmtrupps, sich 
in dem Gelände südlich der Bahnlinie Sompuis—Vitry-#le= 
Frangois einzugraben und die Wirkung der eigenen Ar- 
tillerie zunächst abzuwarten. Diese vermochte aber, durch 
das unübersichtliche Waldgelände zu unerwünscht weitem 
Jurückbleiben und zersplittertem Einsatz gezwungen, wäh- 
rend des ganzen Tages nicht die Oberhand über die feind- 
liche Artillerie zu erlangen. Vielmehr lastete deren gut- 
geleitetes Feuer dauernd auf der Infanterie des 
XIX. Armeekorps. 
Truppe und Führung erwarteten die Nacht, um dann 
weniger belästigt von der feindlichen Artillerie in nächtlichem 
Bajonettangriff die feindliche Stellung zu durchstoßen. 
Aber nach dem erntsetzlich heißen Tage und angesichts 
der Ermattung, welche Mensch und Tier zu überwältigen 
drohte, wurde nach Verständigung der höheren Führer 
auf der ganzen Kampffront von einem Nachtangriff ab- 
gesehen. 
Das XIX. Armeekorps hatte beabsichtigt, während der 
Nacht die vor seiner Front liegenden und am Tage schwer 
zu fassenden Batterien bei Leo Nividres durch Uberfall zu 
nehmen. Das Oberkommando der dritten Armee entsandte 
deshalb einen Generalstabsoffizier zur vierten Armee nach 
Courtisols, da es erforderlich schien, daß auch das 
VIII. Armeekorps diese ihm gegenüberstehende schwere 
Artillerie stürme. Der Offizier kehrte unverrichteter Sache 
nach Chälons zurück, weil das VIII. Korps sich bei der 
Entfernung von ven französischen Batterien (d Kilometer) 
und der Ungewißheit über die Lage derselben keinen Erfolg 
versprach. Infolgedessen und weil das VIII. Korps am 
#8. September mit seinem rechten Flügel nicht wesentlich 
über Huiron südwärts vorgedrungen war, unterblieb auch 
beim XIX. Korps der Sturm auf Les Nivières und es wurde 
endgültig von einem Nachtangriff Abstand genommen. 
Der Verlauf des Kampftages war ein schweres, aber 
ununterbrochenes Vorwärtsringen von Waldstück zu Wald- 
stück, von Gehöft zu Gehöft, von einer Bodenwelle zur 
Sachsen in großer Jeit Band II 
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nächsten und erwies die völlige Uberlegenheit des deutschen 
Soldaten im Feuerkampf und Angriffsdrang ebenso wie 
die Unvergleichlich bessere Schulung der deutschen Führer 
im Begegnungskampfe. Dieser schuf von Stunde zu Stunde 
ganz neue Lagen, in denen sich trotz des völlig unübersicht- 
lichen Geländes, das ein Eingreifen der höheren Führer 
meist ausschloß, unsere prächtigen Unterführer als Meister 
erwiesen. Einzelheiten sind hier vollbracht worden, welche 
allein die ganze Friedensarbeit von mehr als 40 Jahren 
gelohnt hätten. — 
Die Kampflage bei den übrigen deutschen 
Armeen 
Die erste Armee 
Die deutsche erste Armee behauptete sich am 8. September 
in schwerem Kampfe gegen überlegene Kräfte westlich des 
Ourcq in Linie Antilly—Congis. Die Armeekorps III und 
IX trafen auf dem rechten Flügel der Armee ein, um am 
nächsten Morgen umfassend einzugreifen. Die Marnelinie 
Lizy—Nogent wurde durch das Heereskavalleriekorps 2 
und eine verstärkte Infanteriebrigade gegen Angriffe aus 
Richtung Coulommiers verteidigt. Das Oberkommando 
der ersten Armee ging nach La Ferté-Milon. 
Beim Gegner griff am 8. September das IV. Armee- 
korps, von der dritten Armee entlehnt und mit der Bahn 
direkt auf das Schlachtfeld herangeführt, zunächst auf 
beiden Flügeln, dann vereint auf dem Nordflügel Mau- 
nourys ein. Vergebens. Der Nordflügel wankte nach 
schweren Verlusten. 
Südlich der Marne kamen die Engländer nicht recht 
vorwärts. French verlangte und erhielt sogar eine fran- 
zösische Division zur Unterstützung. Die den Engländern 
vorgeschriebene Linksschwenkung gegen den Marne-Abschnitt 
Lizy—Nogent kam erst bio zum Abend zur Durchführung. 
Es gelang dem General v. d. Marwitz, seine Nachhuten 
fast unversehrt auf das Nordufer der Marne zurückzu- 
führen und dort standzuhalten. 
Kluck beherrschte voll die Lage, des Sieges für den 
nächsten Tag sicher. Maunoury kämpfte am 8. September 
nicht mehr um den Sieg, nur noch für die Abwehr der 
eignen Niederlage. Das Stärkeverhältnis stellte sich hier 
auf 7—8 französische gegen 6 preußische Divisionen, hinter 
denen aber bereits 3½ Divisionen für den nächsten Morgen 
bereitstanden. 
Die zweite Armee 
Für den rechten Flügel Bülows war der 8. September 
ein schwerer Tag. Der Feind setzte einen mächtigen Stoß- 
keil von 9 Infanterie= und 3 Kavalleriedioisionen gegen 
4 Infanterie= und 2 Kavalleriedivisionen des rechten Flügels 
der zweiten Armee an, gegen die Linie Fontenelle—Mont- 
mirail—Vauchamp mit weiten Zielen bis zum Surmelin- 
bach (La Ville—Orbais). Die Franzosen nahmen bis zum 
Abend Marchais, 3 Kilometer südlich Fontenelle, Mont- 
mirail und Vauchamp. 
Auch das rechte Flügelkorps des General Franchet 
d'Esperey, dav X. Armeekorps, kämpfte sich gegen das 
preußische X. Reservekorps über den Petit-Morin bis Ban- 
nay westlich des Gondsumpfes vorwärts und verhalf auch 
dem linken Flügel Fochs (42. Infanterie= und Marokko= 
division), der schwer unter dem Ansturm der Garde litt, 
zur Wiedernahme von St.-Prix am Westrande des Gond- 
sumpfe. Das südöstlich anschließende französische IX. Armee= 
korps hielt sich mit Mühe etwa in Linie Allemant —Con- 
nantre gegen die Garde. 
Danach war die Lage der Armee Bülows, besonders 
auf dem rechten Flügel, am 8. September zweifellos schwie- 
rig, aber durchaus nicht hoffnungslos.
	        
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