Geltung zu bringen. Irrtümlich behauptet der französische
Bericht, das XIX. Korps sei am Nachmittag zum Rück-
zug gezwungen und die Marne südlich von Chälons
von den Franzosen erreicht worden. Tatsächlich ist das
XIX. Armeekorps erst am Morgen des 11. September vor
Hellwerden abgerückt, völlig unbehelligt von den erst viel
später behutsam nachfühlenden Franzosen.
Die vierte Armee
Die vierte Armee begann am Morgen des 10. September
den geplanten Angriff ihres rechten Flügels. Er ging zu-
nächst gut vorwärts. Gegen Mittag aber zog der Feind
starke Kräfte vor dem linken Flügel des XIX. Armeekorps
zusammen und ging am Nachmittag zum Gegenstoß über.
Er wurde aber allenthalben abgewiesen.
Die fünfte Armee
Auch die fünfte Armee hielt am 10. September ihre
Stellungen, unternahm auf der ganzen Front wirksame
Teilangriffe und verwandte im übrigen den Tag zur Ord-
nung der Verbände und des Nachschubs. Der Angriff auf
die Höhen östlich der Maas schritt gut vorwärts. Der
Feind zeigte vor der fünften Armee wenig Angriffslust.
Rückblick auf die Schlacht
Das Oberkommando der dritten Armee war sich bewußt,
daß die Armee in den Kampftagen vom 6. bis zum 10. Sep-
tember in Sturm und Abwehr, in immer erneutem An-
reifen und zäher Verteidigung nicht nur gleichstarke Kräfte
gesigehalren, sondern auch sehr erhebliche feindliche Uber-
legenheit auf sich gezogen hatte. Am 9. September stand
sie sogar im Begriff, einen Durchstoß durch die Mitte der
feindlichen Armeen zu erstreiten, der vielleicht geeignet ge-
wesen wäre, den weiteren Verlauf der Gesamtoperationen
auf eine veränderte Grundlage zu stellen. Mit welchem
Empfinden sich daher das Oberkommando der dritten Armee
anschickte, den nordwärtsgerichteten Abmarsch anzutreten, be-
darf keiner Erklärung. Dennoch erfüllte es das Ober-
kommando mit stolzer Befriedigung, daß die dritte Armee
weder vom Feinde gezwungen, noch aus eigner Entschlie-
ßung ihre Siegesfelder süblich der Marne räumte, sondern
erst, als Rücksichten auf das Gesamtheer dies geboten und
damit festgestellt war, daß
es nicht an dem Oberkommando oder den Trup-
pen der dritten Armee gelegen hatte,
wenn es erforderlich wurde, über die Marne zurückzugehen.
Zweifellos hatte die dritte Armee südlich der Marne Außer-
ordentliches geleistet. Erst auf Allerhöchsten Befehl hatte
sie ruhig und fest kehrtgemacht, um in eine angewiesene
rückwärtige Stellung einzurücken. Diese Leistungen der
Armee fanden vollste Anerkennung in dem am 11. Sep-
tember eingetroffenen, am 10. September 2,70 Uhr nach-
mittags ergangenen Erlaß Sr. M. des Kaisers:
„An Generaloberst Freiherrn von Hausen. Chälons
an der Marne.
Ich beglückwünsche die dritte Armee zu ihren neuen, nach
heißem Kampf errungenen Erfolgen. Die Armee hat sich
unter besonders schwierigen Verhältnissen stets mustergültig
geschlagen. Ich spreche ihr meine warme Anerkennung auc.
Übermitteln Sie allen Angehörigen der Armee meinen
Kaiserlichen Dank. Ich hatte neulich die Absicht, die Armee
zu besuchen, um Ihnen Vorstehendes persönlich aus-
zusprechen. Wilhelm I. R.“
Diesen Dank des Kaisers brachte der Oberbefehlöhaber
durch folgenden Armeebefehl zur Kenntnio der Truppe:
111
„Armeehauptquartier Suippes, 11.9. 1914.
Sr. M. der Kaiser hat der Armee in Anerkennung des
siegreichen Vorschreitens, der außerordentlichen Leistungen
an Tapferkeit und Ausdauer eine Anzahl eiserner Kreuze
überwiesen, die den Armeekorps heute zugegangen sind.
Wenn die allgemeine Lage des Heeres es notwendig
machte, die siegreiche dritte Armee zurückzunehmen, um
sie zunächst zur hartnäckigen Verteidigung einzusetzen, so
spreche ich die Erwartung aus und habe das Vertrauen
zur Armee, daß sie sich dieser Aufgabe ebenso gewachsen
zeigen wird, wie bisher allen anderen an sie herangetretenen
Anforderungen. Freiherr von Hausen.“
Die Frage, die sich dem Leser zweifellos aufdrängt,
wieviel durchgreifender wäre der Erfolg geworden, wenn
das XI. Armeekorps und eine Kavalleriedivision der dritten
Armee zur Verfügung gestanden hätten, möchte ich erst
am Schlusse der Darstellung ausführlich behandeln.
Nach der Uberzeugung des Oberbefehlshabers der dritten
Armee würde eine vor der Front der Armee tätige Ka-
valleriedivision am 6. September mit der bei Mailly an-
getroffenen Kavalleriedivision des Feindes sicherlich auf-
geräumt, einen weitgehenden Einblick in die feindliche Lage
gewonnen und die über Troyes laufenden Eisenbahnverbin-
dungen unterbrochen haben, zum mindesten hätte sie dazu
beigetragen, den Vormarsch der feindlichen Truppen zu ver-
zögern, die der Gegner über Arcis an der Aube und über
Brienne-le-Chäteau auf Vitry-le-Frangois heranführte.
Und ohne allen Zweifel hätte das XI. Armeekorps die
Stoß= und Kampfkraft der dritten Armee derart vermehrt,
daß eo schon am 8. September der durch das XI. Armee-
korps verstärkten rechten Armeegruppe gelungen wäre, die
französische Armeefront zu durchstoßen und dadurch nicht
nur den deutschen rechten Heeresflügel in seiner Bedräng-
nis zu entlasten, sondern die Gesamtoperationen auf eine
neue Grundlage zu stellen.
Der 11. September
Das Oberkommando der dritten Armee
Der Abmarsch der Armee vollzog sich während der Nacht
und am 11. September im allgemeinen in glatter Weise,
obwohl die Erschöpfung von Mensch und Pferd in den letzten
Tagen eine bedrohliche geworden war.
Das Oberkommando der dritten Armee verließ 4 Uhr
früh Chälons, um sich nach Besichtigung der anbefohlenen
Abwehrstellung und der im Rückmarsch befindlichen Ko-
lonnen und Truppen nach Suippes zu begeben.
Dort wurde der Oberbefehlshaber von dem Chef des
Generalstabes des Feldheeres, Generaloberst von Moltke,
erwartet, 12,30 Uhr nachmittags. Letßiterer erteilte den
mündlichen Befehl, daß die dritte Armee sich unbedingt
in der ihr zugewiesenen Stellung zu halten habe, und nahm
eine Neuregelung der rückwärtigen Verbindungen vor.
Es bestand die Absicht, der Armee im Schutze der
Abwehrstellung eine mehrtägige Ruhe — von etwa acht
Tagen — zu geben, um Nachersatz, Verpflegung und Muni-
tion nachzuziehen.
3 Uhr nachmittags kehrte der Chef des Generalstabes des
Feldheeres von der zweiten Armee her in das Armeehaupt-
quartier zurück und änderte den ursprünglichen Befehl für
die auszubauende Stellung auf Grund einer von der zweiten
Armee bei ihm eingegangenen Beurteilung der Lage und
nach einer vom Oberkommando der vierten Armee ein-
gelaufenen Meldung über den Anmarsch starker feindlicher
Kräfte bei Vitry-le-Frangois dahin ab, daß nunmehr die
dritte Armee eine Stellung „als Festung“ in der Linie
Thuizy—Suippes (beide Orte ausschließlich) aunzubauen habe