Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Die Sachsen an der Westfront 
Die Dreiverbandsmächte England, Frankreich und Ruß- 
land gingen, nachdem Nußland seit Mai 1914 die Haupt- 
kräfte seines gewaltigen Heeres in aller Stille an seiner 
Westgrenze versammelt hatte, Ende Juli 1914 von der 
politischen Einkreisung Deutschlands zum sirategischen 
UÜberfall über. Der Streit Osterreich-Ungarns mit Serbien, 
infolge der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thron- 
folgers, bildete dazu den willkommenen Anlaß. Rußland 
erklärte Ende Juli offen die Mobilmachung und zwang 
so den deutschen Kaiser, der seine überragende Kraft 
25 Jahre lang in selbstverleugnender Tätigkeit für die 
Wahrung deo Weltfriedens eingesetzt hatte, auch seinerseits 
die Mobilmachung des deutschen Heeres — 2. August erster 
Mobilmachungstag — zu verfügen. 
Die Kriegserklärung an Rußland war die selbstverständ- 
lich unvermeidliche Folge. Frankreich und England traten 
in den nächsten Tagen offen auf Seite Nußlands, ebenso 
Belgien, das sich trotz seiner Neutralität seit Jahren den 
Dreiverbandsmächten heimlich angeschlossen hatte. 
Der seit Jahren vorausgesehene Weltkrieg, der nach- 
einander die Türkei und Bulgarien auf seiten der Mittel- 
mächte, Montenegro, Japan, Italien, Portugal, Rumänien, 
1917 sogar noch fast ganz Amerika und Ostasien auf seiten 
der Dreiverbandsmächte in den Kampf hinein#og — zuletzt 
standen 23 allüerte Mächte im Kampfe mit Deutschland! — 
gestaltete sich von Beginn an für das deutsche Volk als 
ein Ringen um sein Dasein. Das wurde von dem gesamten 
deutschen Volke sofort erkannt, und in einer Einmütigkeit, 
Opferfreude und Tatkraft, welche in der Geschichte des 
Menschengeschlechts ohne gleichen dastehen, hat das deutsche 
Volk diesen Daseinskampf durchgehalten. 
Das räumlich kleine Königreich Sachsen hat bei einer 
Bevölkerung von etwa 4½ Mi.lionen bei Kriegebeginn nach- 
einander etwa dreiviertel Million Krieger ins Feld gestellt, 
bewaffnet, ausgerüstet und bis zum Kriegsende auf voller 
Leistungshöhe erhalten. Das klingt märchenhaft, verglichen 
mit den 22 000 Mann, die Sachsen 50 Jahre zuvor zum 
deutschen Kriege aufzubringen vermocht hatte. — 
Der König Friedrich August III., 
der begeisterte Soldat, dessen ganze Liebe die sächsische 
Armee seit seiner frühesten Jugend war, wie er bei seiner 
Thronbesteigung verkündet hatte, empfand es als schwerstes 
Opfer, daß er nicht in den Kampf als streitbarer Sproß 
deß streitbaren Wettinergeschlechts mit hinausziehen konnte. 
Für ihn als das Staatsoberhaupt deo dichtbevölkerten, ver- 
hältnismäßig bedeutendsten deutschen Ausfuhrlandes, das 
der unbarmherzige Wirtschaftokrieg Englands voraussichtlich 
in seinen Grundfesten erschüttern mußte, war das Kampf- 
gebiet daheim die Abwehr des tückischen Feindes, der erst 
Deutschlands Handel und Industrie zu vernichten, schlies- 
lich sogar das ganze deutsche Volk dem Hungertode zu 
überliefern trachtete. Naturgemäß litt unter dem Hunger- 
krieg das dichtbevötkerte Sachsen mit seinen 321 Bewohnern 
auf einem Geviertkilomez#er gegenüber von 120 im Reichs- 
durchschnitt ganz besonders. — 
Wie 1870 der König Johann seine beiden Söhne mit 
seinen Sachsen hinaussandte, so hat auch König Friedrich 
August III. zunächst seine beiden älteren Söyne, den Kron- 
prinz Georg und den Prinzen Friedrich Christian, dann im 
Herbst 1914 auch noch seinen dritten Sohn, den Prinzen 
Ernst Heinrich, mit seinen Sachsen ins Feld geschickt. Die 
Prinzen fanden, ihrem Lebensalter entsprechend, zunächst im 
Bereiche der dritten Armee und bei den drei sächsischen 
Armeekorps Verwendung nacheinander in allen Berufs- 
zweigen und machten im Zusammenarbeiten mit auverlesen 
tüchtigen Männern und in den wechselvollsten Kriegolagen 
eine gute Schule des Krieges durch. 
Der Kronprinz Georg hat nach gründlicher Schulung 
im Armee-Oberkommando der dritten Armee, der eigent- 
lichen Sachsenarmee der ersten Kriegszeit, im Truppen- 
dienst mit der ihm eignen unerschütterlichen Pflichttreue 
das III. Bataillon Land 101, 
später eine Abteilung des Feld- Trtillerie Regiments 48 und 
schließlich an der Ost= und Westfront sein sturmbewährtes 
Regiment „Kronprinz“ 104 zu Sieg und Ruhm geführt. 
Der Prinz Friedrich Christian, der mit dem General- 
kommando XII. Armeekorps hinausgezogen war, hat später 
bei der 123. Infanteriedivision und beim Generalkom= 
mando XIX als Ordonnanzoffizier sowie als Führer einer 
Kompagnie des Infanterie-Regiments 182 Proben von 
Tapferkeit und mi.itärischer Begabung abgelegt. 
Der Prinz Ernst Heinrich, zunächst dem XlIX. Armee- 
korps überwiesen, hat bei fast allen sächsischen Truppen- 
verbänden sein Sehnen und Drängen, in vorderster Reihe 
seiner sächsischen Kriegokameraden kämpfen zu dürfen, ge- 
stillt. Die Tapferen des Reserve-Infanterie-Regiments 104 
und des Feld-Artillerie-Regiments 115, wo er als Kom- 
pagnie= bzw. Batterieführer tätig war, gedenken auch seiner 
bei der Erinnerung an die Kämpfe der letzten Kriegsjahre. 
Das untrennbare Band gemeinsamer Kriegstat verbindet 
unsere Prinzen mit den Helden des Sachsenvolkes in 
großer Zeit. 
Daß auch die übrigen Glieder unseres Königshauses mit 
jeder Faser ihres Herzens und mit aller Tatkraft sich in 
den Dienst des Vaterlandes stellten, ist selbstverskändlich. 
Des Königs Bruder, der Prinz Johann Georg, übernahm 
die Leitung deo großzügigen Liebeswerkes hinter der Kampf- 
front, der freiwilligen Krankenpflege und der Kriegofür- 
sorge daheim. 
Dabei haben ihm in unermüdlicher Liebestätigkeit treu 
zur Seite gestanden seine hochgemute Gemahlin, die Prin- 
zessim Maria Immaculata, bald der verklärende Sonnen- 
schein in den Lazaretten an den Betten der schlichten Helden, 
die ihr Blut fürs Vaterland dahingegeben, und seine 
Schwester, die Prinzessin Mathilde, in uncermüdlichem Wohl- 
tun und stillem Helfen an den Vater, den edlen, selbstlosen 
König Georg erinnernd. Auch des andern Bruders unseres 
letzten Königs sei gedacht, des Prinzen Max, des frommen 
Priesters, der als Seelsorger mit den Truppen ins Feld 
zog. In der Marneschlacht werden wir iyhn wiederfinden, wie 
er im schwersten Feuer den Verwundeten Trost spendet und 
Sterbenden den Heldentod fürs Vaterland leicht macht. — 
Ein glückverheißendes Vorzeichen schien es, daß die 
 
	        
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