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Noch verheißungsvoller begann der Hindenburgsche Vor-
marsch am 28. September aus dem Raume von Beuthen
auf Opatow. (Skizze 35.) Kaum 12 Tage hatte die Um-
gruppierung der Hindenburg-Armee von Ostpreußen bis an
die Südspitze Schlesiens in Anspruch genommen, eine
Rekordleistung von Truppe, Generalstab, Bahn und Heeres-
verwaltung.
In Ostpreußen waren nur die nötigsten Deckungstruppen
zurückgelassen worden, ebenso an der polnischen Grenze
zwischen der Weichsel und der Warta.
Für den Vormarsch aus Oberschlesien standen dem Gene-
ralfeldmarschall zur Verfügung: das Garde-Reservekorpo,
das Xl., XVII. und XX. Armeekorps, sowie etwa 6 Reserve-
bzw. Landwehrdivisionen, die durch Landsturm, Artillerie,
technische Truppen und Kavallerie auf die Gesamtstärke
von fast 300 Ooo Mann gebracht wurden.
Bis zur Weichsel ging es rasch vorwärts. Die Russen
warfen, sobald sie Hindenburgs Vormarsch erkannten, starke
Kräfte aus Galizien nach Südpolen. Damit war der
unmittelbare Zweck der Hindenburgschen Offensive —
Entlastung des österreichisch-ungarischen He#r#e## — bereits
Ende September erreicht. Hindenburg schlug starke russische
Kräfte am 4. Oktober östlich Opatow über die Weichsel
zurück.
Schon schien den Russen im Naume bei der San-Mün-
dung die Einkreisung zwischen dem von Süden her vor-
dringenden österreichisch-ungarischen Feldheer und der plötz-
lich von Westen her erschienenen Hindenburg-Armee zu
drohen. Da griff das russische Hauptheer ein, das hinter
der Weichsel in Mittelpolen nunmehr seine Versammlung
beendet hatte. Zunächst brachen starke russische Massen
über Iwangorod gegen die linke Flanke Hindenburgs vor.
Sofort warf sich die Hindenburg-Armee auf diese, in
Rücken und rechter Flanke von den herbeigeeilten Öster-
reich-Ungarn gedeckt. Schon aber quollen weitere über-
mächtige russische Streitkräfte beiderseits von Warschau
über die Weichsel vor. Auch diese wurden in kühnem
Ansturm von der schnell nach links herumgeworfenen Armee
Hindenburgs gefaßt, zerzaust und beinahe von der Weichsel
abgedrückt, während das österreichisch-ungarische Hilfsheer
gegen Iwangorod deckte. Aber immer neue russische Massen
brachen unterhalb von Warschau über die Weichsel vor,
um die Hindenburg-Armee zu umwickeln. Gleichzeitig wur-
den die Osterreich-Ungarn vor Iwangorod von erdrückender
Übermacht angegriffen.
Wie dereinst der junge Bonaparte auf der Höhe seiner
hatte der 67 jährige deutsche Feldherr
Entschlüssen die täglich wechselnde Kriegslage
dabei immer den Gedanken, die Russen in offener
zu fassen und vernichtend zu schlagen, als Leit-
aber entschwand die Möglichkeit zu einer
dicht vor der feindlichen Festungsfront
und der Stromsperre der Weichsel, hinter welcher
die Feindes selbst nach echt Hindenburgschen
Schlägen sofort Schutz gefunden hätten.
Auf die Vernichtungsschlacht aber kam es Hindenburg
allein an. So mußte die Entscheidung in einen Raum fern
ab von den russischen Festungsschranken verlegt werden,
wo der Sieg wirklich voll ausgenützt werden konnte. Mit
kühnen, vollständig neuen Gedanken zerriß der deutsche
Feldherr dem tüchtigen Gegner seinen sorgfältig vorberei-
teten und mit Geschick ins Werk gesetzten Kriegsplan.
Voll harter Entschlossenheit schuf er ganz neue Verhält-
nisse, indem er den Kampfplatz um mehr als 150 Kilometer
wesiwärts verlegte, unbekümmert um die Preisgabe des
bereits eroberten Bodens.
Hindenburg führte sein unbesiegtes Heer in breiter Front
zunächst auf Oberschlesien zurück, dem Feinde dabei die
Richtung zuweisend, in der er seinen Vormarsch zu halten
hatte.
Alle Straßen, Bahnen und Flußübergänge wurden nach-
haltig zerstört, der feindliche Vormarsch verzögerte sich
dadurch empfindlich. Völlig im unklaren über Hindenburgs
Absichten, tastete sich der Feind behutsam vorwärts und
machte schließlich an der Warta Anfang November einen
längeren Halt.
Für den Fachmann wird dieser Oktoberfeldzug mit seiner
täglich wechselnden Gesamtkriegslage, welche fortgesetzt dem
Feldherrn Entschlüsse von höchster Tragweite aufzwang,
später die Quelle strategischer Belehrung bilden, die Feld-
herrnschule der Zukunft.
Die Leistungen der Truppe in Marsch und Schlacht
entsprachen der Führerleistung des Feldherrn.
Die Entfernung, welche die Hindenburg-Armee in den
* Wochen des ersten Polenfeldzugs zurückgelegt hat, beträgt
etwa 560 Kilometer Luftlinie, also 16 Kilometer auf den
Einzeltag. Für den Mann in der Front erhöht sich die
Leistung durch die täglichen An= und Abmärsche, die fast
täglichen Gefechte usw. auf weit über das Doppelte. Es liegt
also hier eine der größten Marschleistungen der Geschichte vor.
2. Der November-Dezemberfeldzug in Polen
Die allgemeine Kriegslage Anfang November 1914 war
kurz die folgende:
Im Westen war nach ungeheuren Ersterfolgen die Heeres-
leitung zur Abwehr übergegangen und hatte bis Ende
Oktober alle Versuche der Westmächte, die schnell geschaffene
deutsche Abwehrlinie zu durchbrechen, zurückgewiesen. Nur
an der Front in beiden Flandern waren noch schwere Kämpfe
im Gange. Trotzdem gelang es, Verstärkungen für die Ost-
front freizumachen, insbesondere das XXV. Reservekorps
und zahlreiche Landwehr= und Landsturmformationen, die
zu Divisionen und Korps (Breslau und Posen) dem Bedarf
entsprechend sehnell zusammengefügt wurden.
Der russische Kriegsplan hatte sich inzwischen vollkommen
enthüllt. Schon vor Herbeiführung des Kriegsfalls waren
in aller Stille 2 geschlossene Heeresgruppen an der West-
grenze versammelt worden. Sie sollten die in Ostpreußen
und Galizien erwarteten deutschen und österreichisch-unga-
rischen Deckungsheere sofort vernichten, Preußen östlich
der Weichsel und Galizien schnell erobern und so die Flügel-
freiheit für das russische Hauptheer schaffen, das innerhalb
von 2 Monaten hinter dem polnischen Weichselbogen ver-
sammelt werden sollte, um dann die kriegoentscheidende
Offensive ins Herz des Deutschen Reiches vorzutragen.
Wider Erwarten war weder das preußische Deckungsheer,
das richtig auf 150 000 Mann veranschlagt war, den
dagegen aufgebotenen 610 000 Russen, hinter denen noch
etwa 200 000 Mann zum Auffüllen verfügbar gehalten
wurden, erlegen, noch auch durch die Ubermacht von
1½ Millionen Russen das österreichisch-ungarische Feldheer
in Galizien umklammert und vernichtet worden. Trotz
dieser Fehlschläge auf den Flügeln war die Kriegslage
Mitte Ooktober 1914 für die russische Heeresleitung durch-
aus günstig. Hindenburg war durch die Offensive gegen
die Mittelweichsel dem Versammlungsgebiet der russischen
Hauptmacht griffgerecht nahegekommen. Seine Vernichtung
im Weichselbogen schien faßbar nahe, die endgültige Ab-
rechnung mit den Osterreich-Ungarn die demnächst sichere
Folge.
Mit kühnem Entschluß hatte Hindenburg blitzschnell ganz
neue Verhältnisse geschaffen, indem er Ende Oktober den
Kampfplatz westwärto verlegte. Die russische Hauptmacht
mußte sich nunmehr aufmachen, um ihrerseits den Gegner
aufzusuchen, der hinter einer Wüste von Trümmern ohne