Dort staute sich die Masse der russischen zweiten und der
zu ihrer Unterstützung von links herangeholten fünften
Armee, eine Lücke klaffte zur vierten Armee.
Mackensen drückte in festem Anpacken mit seiner Haupt-
macht die russische zweite und fünfte Armee über die
Linie Lask—Kasimierz—Zgierdz zurück, warf am 18. No-
vember den rechten russischen Flügel von Strykow gegen
die Straße Brzeziny—Lodz und umschloß in den nächsten
Tagen, über Tuszin mit XXV. Reservekorps, 3. Garde-
Infanteriedivision, 6. und 9. Kavalleriedivision südwestwärts
herumgreifend, die bei Lodz zusammengedrängte Masse der
zweiten und fünften russischen Armee, gegen welche gleich-
zeitig von Westen und Südwesten her schwächere deutsche
Kräfte, von Posen und Breslau rechtzeitig von Hindenburg
herangezogen, und deutsche Kavallerie vordrangen.
„Fast schien es jetzt, als ob die Verbündeten das zZiel
ihrer ursprünglich nur auf die Abwehr der feindlichen
Offensive gerichteten Operationen trotz der zrofen Über-
legenheit des Gegners höher stecken könnten, als ob die
Vernichtung des Feindes erreicht werden könnte. Da trat
unerwartet ein Rückschlag ein. Es gelang den Russen,
ihren umklammerten Heeren im letzten Augenblick von Osten
und Süden Hilfe zuzuführen.“ (Berichte aus dem Großen
Hauptquartier, Heft 3.)
Von Osten her wurden mit der Bahn beträchtliche Teile
der russischen ersten Armee von jenseits der Weichsel heran-
geholt. Von Süden her griff von der vierten Armee ein,
was heranzubringen war. (Skizze 36.)
Der deutsche Umfassungsflügel wurde durch diese russische
Verstärkungen zunächst vollständig eingewickelt, schlug sich
aber in der Nacht zum 25. November auf Brzeziny durch
und erreichte zwischen Lodz und Lowicz den Anschluß an
Mackensens übrige Truppen. Schon hatten die Russen
Eisenbahnzüge durch Funkspruch für Abtransport der er-
warteten Gefangenen „von 3 deutschen Korps“ bestellt.
Aber diese dachten nicht an Ergebung, durch die vierfache
lberlegenheit brachen die Tapferen durch, noch 12 000 Ge-
fangene, zahlreiches erbeutetes Material und die eigenen
Verwundeten mit sich führend. Nur tapfere Vor= und
Nachhuten, die sich an den Brückenstellen bis zum letzten
Mann für die Rettung ihrer Kameraden geschlagen hatten,
waren geopfert. Die ganze Armeeabteilung reihte sich am
26. November wieder in die deutsche Front ein. Diese
verlief nunmehr von Szadek über Kasimierz — nördlich
um Lodz herum — Glowono, bis in die Gegend nordwestlich
Lowicz. Die Deutschen wiesen die verzweifelten Gegen-
angriffe der um Lodz herum zusammengeballten russischen
Massen bis Ende November mit entsetzlichen Verlusten
für die Nussen zurück und gingen dann trotz der eige-
nen Erschöpfung nach dreiwöchigem ununterbrochenen
Kampfe zum Angriff über. Ihr rechtzeitig verstärkter rechter
Flügel brach durch die Lücke bei Lask durch und auf Pabianice
vor. Die Russen wichen, um ein Cannac-Tannenberg bei
Lodz zu vermeiden, nach der Miazga zurück. Auch der süd-
liche deutsche Stoßflügel war aus Richtung von Czen-
stochau auf Nowo-Radomsk zu in siegreichem Vordringen,
ebenso der äußerste linke Flügel Mackensens auf Lowicz
und gegen die Bzura. Auch die österreichisch-ungarische
Hauptarmee drang in derselben Zeit erfolgreich in Galizien
vor. So kam der russische Angriffsriese Mitte Dezember
1914 ins Wanken. Die NRussen wurden allmählich bis
hinter den Dunajec, die Nida, die Rawka und die untere
Bzura zurückgedrückt.
Dort kam für wenige Monate das Titanenringen zum
Stehen und ging in den Schützengrabenkrieg, wie auf der
Wesifront, allmählich über.
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Übermenschliches war erreicht worden. Die in Polen
eingesetzten 3o00o Mann der Hindenburg-Armee hatten
die gewaltigste Menschenmasse, die bisher in einem Heeres-
verband vereint worden war, nicht nur aufgehalten, son-
dern bis auf ihren Ausgangsraum zurückgedrängt. Mehr
als ½ Million Russen waren tot und verwundet (über
300 Ooo Menschen) oder gefangen (250 oo00). Der besie
Teil ihres mit französischem Gelde beschäfften Kriegs-
geräts war vernichtet oder verpufft. Hindenburg war es
bisher gelungen, mindestens die Hälfte der Russenmacht
auf sich zu ziehen und den Verbündeten dementsprechend
zu entlasten. Damit wird nicht im geringsten das Verdienst
der österreichisch-ungarischen Heeresleitung und des k. und k.
Feldheeres geschmälert, die sich in genialer Führung und
unerschütterlicher Tapferkeit mit der noch immerhin furcht-
baren Uberlegenheit abzufinden verstanden, bis die russische
unsinnige Menschenvergeudung vor Przemysl, bei Lima-
nowa (Mitte Dezember 1914 — Stkizze 34) und vor
den Karpathenstellungen nach und nach das Mißverhältnis
der Zahl herabdrückte.
Die Ahnlichkeit der Gruppierung des Joffre-Heeres vor
der Marneschlacht und der Hindenburg-Armee gegenüber
der Dampfwalze ist ins Auge fallend. Beide Feldherrn
versammelten ihre Hauptkraft auf einer zurückgebogenen
Front mit starken Stoßflügeln zum Gegenangriff. Aber
wie verschieden war die Ausführung. Während es Joffre
trotz seiner mehr als doppelt überlegenen Kräfte nicht gelang,
das Gesetz des Handelns dem Feinde vorzuschreiben, denn
der deutsche Ubergang zur Abwehr geschah völlig unbeein-
flußt durch den Feind, riß Hindenburg von Beginn des
Entscheidungskampfes an die Vorhand an sich. Er allein
schriek dem vielfach stärkeren Feinde vor, was er tun
und lassen durfte.
Hindenburgs Sieg in der Niesen= und Dauer-Feldschlacht
um Lodz, November—Dezember 1914, ist nicht nur der
unmittelbare Ausgangspunkt zur völligen Niederkämpfung
der russischen Feldmacht im folgenden Jahr geworden,
sondern Anlage und Durchführung dieser gewaltigsten
Kampfhandlung, die bis dahin die Kriegsgeschichte kannte,
sind vorbildlich geworden für die Vernichtungosschläge,
welche die Mittelmächte in den späteren Kriegsjahren, 1916
gegen die Rumänen und 1917 gegen die Italiener geführt
baben. Der Geist Hindenburgschen Feldherrntums über-
strahlt auch sie. Die Weite der Näume, die Schwierigkeiten
des Geländes sind noch gewachsen, aber weder Donau und
Karpathen haben 1916, noch die Alpen in Schnee und
deren überströmende Abflüsse haben 1917 der Kühnheit
des Feldherrnentschlusses und der unheimlichen Sicherheit
ihrer Durchführung Schranken zu bieten vermocht. Eine
geheimnisvolle Neukraft ging von dem Riesenschlachtfeld
in Polen aus, belebend und beruhigend zugleich für den
Herzschlag des deutschen Volkes in Waffen und im Heim-
krieg der Entbehrung, ein schleichendes Gift für die Über-
hebung unfrer Feinde, in schweren Stunden der Kriegönot
dem deutschen Volke der Quell der Zuversicht: Hinden-
burg-Ludendorff. Dieses Zweigestirn verbürgte fortab
den Endsieg. Sein dankerfüllter Kaiser hatte den Feld-
herrn Hindenburg noch auf dem Schlachtfelde von Lodz
zum Generalfeldmarschall ernannt, wie beim Abschluß der
Tannenbergschlacht zum Generalobersten. In seiner schlichten
Bescheidenheit aber wies der „Heros des deutschen Volkes“
immer wieder auf die Mitschöpfer seiner Taten hin: „Den
mir zum Auedruck gebrachten Dank nehme ich an, in erster
Linie für meinen Mitarbel#ter Ludendorff und für unsere sicg-
reichen Truppen.“ So handelte er 1014, so schrieb er 1917
nach der Vernichtung der Italiener am Tagliamento. —