Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Der Geburtstag des Königs am 25. Mai verlief ohne 
Störung durch den Gegner. Des Königs Dank an „seine 
Helden draußen für ihre herzlichen Wünsche, die Se. Ma- 
jestät tief gerührt haben“, wurde bei den schlichten Feiern 
an der ganzen Front bekanntgegeben. 
Anläßlich der einige Tage zuvor erfolgten italienischen 
Kriegserklärung an Osterreich herrschte in den französischen 
Schützengräben um diese Zeit die übermütigste Stimmung. 
„Hoch Italien!“ und „Deutschland kaput!“ wurden fast 
täglich herübergerufen. Am 29. Mai erfolgte zum ersten 
Male wieder ein schwächlicher Vorstoß gegen Infanterie- 
regiment 177 auf Höhe 108. 
An demselben Tage bewältigte ein neues deutsches 
Kampfflugzeug zum ersten Male einen Farman-Doppel- 
decker im Luftkampf. Auch wurde der feindliche Flieger= 
hafen erfolgreich mit 20 Brandbomben belegt. 
Auf Höhe los hatte sich inzwischen ein erbitterter 
Minenkrieg entwickelt. Auch auf diesem bisher fremden 
Kampfgebiet errangen und behaupteten die sächsischen 
Truppen die Oberhand. 
Am 7. Juni wiederholte der Feind seinen Angriff gegen 
Grenadierregiment 101 mit demselben Mißerfolg wie 
früher. Das Regiment verlor dabei 18 Mann tot, 54 ver- 
wundet. 
An Stelle der abgerückten französischen Regimenter 45 
und 148 erschienen Schwarze vor der ganzen Front. 
Am 23. Juni sprengte der Feind eine riesige Mine 
auf Höhe los und griff dann, wiederum vergeblich, an. 
Im Juli fanden wieder Neubildungen statt. Das XII. Ar- 
meekorps stellte das Infanterieregiment 192 auf. Den 
Stamm bildeten kriegserfahrene ÖOffiziere und Mann- 
schaften aus der Front, so daß das neue Regiment sofort 
voll verwendungsfähig war. Sein l. Bataillon konnte be- 
reits am 19. Juli eingesetzt werden. 
Nachdem der Kronprinz dem Leibgrenadierregiment 100 
am 7. Juli für dessen alte Regimentsfahne (I. Bataillon) 
ein Jahrhundertfahnenband überreicht hatte, traf Se. Ma- 
jestät der König am 26. Juli wiederum beim Korps ein 
und besichtigte das neu errichtete Infanterieregiment 192, 
das zunächst zur 23. Infanteriedivision kam, dann zur 
Division Müller (47. gemischte Landwehrbrigade), welche 
damals der Armeegruppe v. Haenisch angehörte. 
Auch die 123. Infanteriedivision schied am 3. August 
völlig aus dem Korpsverband aus. Ihre Schicksale werden 
in einem besonderen Abschnitte dargestellt werden. — 
Ende August erwiesen die deutschen Fliegerbilder, daß 
der Feind vor den Kampfgräben des XII. Armeekorps 
zwei neue lange Laufgrabenverbindungen angelegt hatte. 
Anfang September wurden dann neue Sappen und Ver- 
bindungsgräben vor der Front festgestellt. Die voranstehen- 
den Fliegeraufnahmen bestätigen die rastlose Vervollkbomm- 
nung des Kriegsrüstzeugs auch beim Flugwesen, in dem 
unsere Gegner bei Kriegsbeginn uns muchft erheblich über- 
legen waren. 
Die allgemeine politische und militärische Lage, ins- 
besondere die Verhältnisse auf dem russischen Kriegsschau- 
platz und auf der Balkanhalbinsel, drängten im Sep- 
tember lols unsere Westgegner zu einem großen An- 
griffounternehmen. Frühzeitig wurde beim XII. Armeekorps 
erbannt, daß sich dasselbe mit dem Hauptnachdruck höchst- 
wahrscheinlich gegen die deutsche sechsie Armee (Lille— 
Arras) und gegen die deutsche dritte Armee in der Cham- 
pagne richten würde. Die Aufgabe des XII. Armeekorps 
blieb dabei die bisherige: Halten der vordersten Stellung 
auf jeden Fall, und zwar mit möglichst geringen Kräften. 
Seit Anfang September traten aber Anzeichen auf, die 
auf eine Ausdehnung der feindlichen Angriffsabsichten auch 
gegen die Front der deutschen siebenten Armee hindeuteten. 
Dabei kam hauptsächlich ein Angriff gegen den rechten 
Divisionsabschnitt des XII. Armeekorps und gegen den 
linken Flügel seines rechten Nachbarkorps (VII. Reserve- 
korps, zunächst 25. Landwehrbrigade) in Betracht. Zweifel- 
los konnte ein französischer Durchbruch zwischen Aisne 
und den Höhen von Craonne, nachdem der französische 
Durchbruch in der Champagne und im Artois gelungen 
war, große Erfolge zeitigen. 
Das hat ja dann auch im Frühjahr 1917 die französische 
Heeresleitung dazu geführt, gerade hier den Hauptstoß des 
Riesendurchbruchsversuchs anzusetzen. — 
Die französischen Annäherungsarbeiten vor der Front 
des XII. Armeekorps wurden im September l915 mit 
großer Tatkraft fortgesetzt. Unsere Störungsversuche koste- 
ten dem Feinde zwar erhebliche Verluste, aber verhinderten 
sie nicht. 
Bis zum 21. September hatte der Feind mit seinen 
Laufgräben fast durchweg die Sturmentfernung erreicht. 
An einzelnen Stellen hatten sich die Franzosen 1000 bis 
3800 Meter weit unter Aufgebot einer ganz gewaltigen 
Arbeitsleistung mit Hacke und Spaten vorgearbeitet. 
Die der wahrscheinlichen Angriffsfront bei dem XII. 
Armeekorps und VIl. Reservekorps gegenüber angehäuften 
feindlichen Kräfte wurden zutreffend auf mindestens s Diri- 
ionen angesprochen. Man mußte also auf dem Angriffs- 
feld mit doppelter Infanterie= und noch gröherer Artillerie= 
überlegenheit rechnen. Außer den bisherigen fünf Brücken 
über die Aisne waren plötzlich elf neue im Abschnitt Ponta- 
vert—Berry-au-Bac entstanden. Die feindlichen Flieger stei- 
gerten ihre Leistung, französische Fesselballons stiegen auf, 
zahlreiche neue schwere Batterien schossen sich auf die Bahn 
binter der deutschen Front, die Standorte der Reserven und 
unsere Batteriestellungen ein. 
Vom 14. September ab machten die Franzosen unter 
gleichzeitiger starker Beschießung der Höhen los und 91 
wiederholte Versuche, das weit vor der deutschen Stellung 
liegende und nur schwach besetzte Schleusenhaus bei Sapig- 
neul zu nehmen. Alle Angriffe wurden zurückgeschlagen, die 
Reste des völlig zerschossenen Schleusenhauses selbst wur- 
den am 20. September planmäßig geräumt und gesprengt, 
um unnötige Verluste zu vermeiden. 
Seit dem 23. September hielten schwere französische 
Schiffsgeschütze die Eisenbahn hinter der sächsischen Front 
Tag und Nacht unter Feuer. Der Bahnbetrieb mußte ein- 
gestellt werden. Ein feindliches Luftschiff beschädigte die 
Aisnebrücke bei Guignicourt. Die französische Bevölkerung 
mußte aus mehreren Ortschaften zurückgeschafft werden, 
da alle Dörfer hinter der Front, insbesondere die Stabs- 
qduartiere, dauernd unter Artilleriefeuer lagen. Das Be- 
kämpfen der über 15 Kilometer entfernten feindlichen 
schweren Schiffsgeschütze war mit den hier vorhandenen 
Mitteln nicht möglich. 
Vom 24. September ab richtete sich das feindliche mäch- 
tige Feuer aller Kaliber gegen die Kampfstellung und 
deren Zugangslinien. Die schwersten Torpedominen kamen 
dabei in verschwenderischer Zahl zur Verwendung. 
Am 26. September erreichte das feindliche Artillerie= 
feuer mit etwa 25 000 Schuß seinen Höhepunkt, zeit- 
weilig steigerte es sich zum Trommelfeuer. Vor der franzö- 
sischen Sturmstellung waren die Drahthindernisse entfernt, 
die Gräben sehr stark besetzt, zahlreiche Reserven im An- 
marsch festgestellt. Doch zum größten Schmerz des XII. 
Armeekorps kam es nur am 26. September zu verein- 
zelten, schwächlichen Angriffsversuchen, die bereits in unse- 
rem Artillerie-Sperrfeuer zusammenbrachen. Das feindliche 
Feuer ließ am 27. September plötzlich nach und flaute 
bis 30. September mehr und mehr ab. Allem Anschein nach 
sahen die Franzosen nach ihrem Mißerfolg in der Cham- 
pagne von einem Angriff an der Aisne ganz ab, dessen 
 
	        
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