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der Keil zwischen die französische vierte und fünfte Armee.
Das ganze Gefüge des französischen linken Heeresflügels
drohte auseinander gesprengt zu werden.
Denn auch die deutsche vierte Armee warf gleichzeitig
(22.—24. August) die französische vierte Armee, die bereits
durch die wegearmen Ardennen bis über den Semois vor-
gedrungen war, im Raume von Neußchateau und drängte
sie bis auf die Maas beiderseits Sedan zurück. Endlich
überrannte die deutsche fünfte Armee, in gewaltigem
Schwung sich auf die französische dritte Armee stürzend,
die französische Schlachtlinie von Audun bis Montmédy.
Auch hier war der französische Vormarsch im Beginn
aufgehalten worden. Der Schlachterfolg war auch hier
ein durchschlagender. Erst die Höhenstellungen am linken
Maasufer und die dort eintreffenden Verstärkungen er-
möglichten der französischen dritten Armee neuen Wider-
stand stromabwärts von Verdun, bei Dun und Stenay.
So sehen wir auf der Front aller deutschen Armeen
da# gleiche Bild des jauchzend sich in den Schlachtentod
stürzenden Jungdeutschlands, ein Erleben ohnegleichen in
der Geschichte der Menschheit.
In wenigen Tagen seit Kampfbeginn waren die Feld-
heere der Westmächte entschieden geschlagen, der Haupt-
teil von Belgien und ein wichtiger Teil des nordfranzö-
sischen Wirtschaftsgebietes erobert, das deutsche Land bis
auf einen kleinen Teil des Elsaß vom Feinde gesäubert,
die Uberlegenheit des deutschen Soldaten und der deutschen
Führung glänzend erwiesen.
Das ist in Kürze der Rahmen, innerhalb dessen sich die
Augusttätigkeit der deutschen dritten Armee vollzog, ein
Bild von gewaltigem August-Sonnenglanz, hinter dem aber,
biöher noch ungesehen, bereits ein tiefer Schlagschatten
aus fernem Osten emportauchte. Der deutsche Kriegoplan,
von dem genialen Grafen Schlieffen, dem früheren preußi-
schen Generalstabschef, entworfen, war auf der damals zu-
treffenden Tatsache aufgebaut, daß das gewaltige russische
Feldheer nicht gleich schnell wie das französische vormarsch-
bereit sein bonnte.
Deshalb war zur Verteidigung der gemeinsamen Ost-
front der Mittelmächte, außer dem ösierreichisch-ungarischen
Feldheer, nur ein verhältnismäßig schwaches Deckungs-
heer in Ostpreußen, die achte Armee unter Generaloberst
v. Prittwitz (I., XVII. und XX. Armeekorps, I. Reserve-
korps, 3. Reservedivision und 1. Kavalleriedivision) bereit-
gestellt worden.
Aber die Russen waren nicht in 40, sondern bereits in
20 Tagen vormarschfertig und standen mit zwei Heeren
von zusammen sod 0O00 Mann bereito am 20. August vor
Königoberg und im Masurenland, während fünf weitere
russische Heere in einer Gesamtstärke von 1 300 Ooo Mann
dac Ssterreichisch = ungarische Feldheer, zunächst kaum
700 ooo Mann, in Galizien umklammerten. Vergebeno
hatte sich die deutsche achte Armee in dem Grenzraume
von Gumbinnen mit drei Korps, der Reservedivision und
der Kavalleriedivision, der Niemenarmee des russischen Gene-
rals Rennenkampf — sechs Armeekorps, zwei Schützen-
brigaden, sechs Reservedivisionen und ein Kavalleriekorp#
— vom 17. bis 21. August entgegengeworfen, während das
deutsche XX. Armeekorp#s vor der anderen russischen Ein-
fallgarmee, der Narewarmee des Generals Samsonow,
einen Schleier bildete.
Die deutsche achte Armee mußte nachs iegreichem Kampfe,
8000 gefangene Russen mit sich führend, von der Uberzahl
umflutet, langsam südwesiwärts ausweichen, die Sicherung
der Festung Königsberg ihrer Besatzung überlassend. Zwei-
fellos vermochte auch das deutsche XX. Armeekorps dem
Andrang der fünf Korps der russischen Narewarmee auf
die Dauer nicht standzuhalten, welche der (Hilfsschrei der
Westmächte aus ihrem Versammlungsgebiet im Mündungs-
winkel des Narew über Mlawa vorwärts trieb. Der Rück-
zug der deutschen achten Armee über die Weichsel schien
unvermeidlich, wollte man die Armee nicht opfern.
Da berief der Kaiser den im Ruhestand in Hannover
lebenden General der Infanterie v. Hindenburg am
22. August als Oberbefehlshaber der achten Armee nach
Ostpreußen. Dem deutschen Östen erstand in dieser Schick-
salsstunde sein Retter.
Auch auf der österreichisch-ungarischen Heeresfront war
um diese Zeit die K riegslage überaus ernst. Die österreichisch-
ungarische Heeresleitung war dem Erzherzog Friedrich an-
vertraut, dem Enkel des siegreichen Napoleonbekämpfers
Erzherzog Karl. Sein Stabschef wurde der Generalstabs=
chef der österreichisch-ungarischen Armee, der Feldzeugmeister
Konrad v. Hötzendorf, seit Jahren vom Vertrauen des
österreichisch-ungarischen Heeres getragen.
Die österreichisch-ungarischen Hauptkräfte, zunächst etwa
700 ooo Gewehre, wurden bis zum 14. August in Galizien
versammelt, nur elf Divisionen, in zwei Armeen gegliedert,
gegen das briegserprobte serbische Feldheer von 300 o00
Mann verwendet.
Nach heißen Vorkämpfen, längs der galizischen Grenze,
welche den Angriffögeist und die Feldtüchtigkeit der öster=
reichisch-ungarischen Truppen im vollsten Aichte zeigten,
warf die österreichisch-ungarische Heeresleitung ihre linke
Flügelgruppe, fast zwei Drittel der gesamten Kräfte um-
fassend und in zwei Armeen gegliedert, aus dem San-
winkel östlich der Weichsel gegen den russischen Versamm-
lungsraum zwischen Weichsel und Bug vor, um der recht-
zeitig erkannten russischen Absicht der Niesenumklamme-
rung zuvorzukommen, durch Zerschmetterung des russischen
rechten Flügels, der in der gewaltigen Stärke von min-
destens ½ Million Streitern, im Naume von Lublin und
Cholm in zwei Armeen nahezu vollständig versammelt,
bereit stand. Währenddessen sollte der Rest des österreichisch-
ungarischen Feldheeres in Ostgalizien auf der podolischen
Platte den drei anderen russischen Armeen die Stirn bieten
und Lemberg schützen.
Schon am 21. August stand fest, daß die russische Heeres-
versammlung bereits wider Erwarten fast vollständig voll-
zogen war und daß die Stärke jeder einzelnen russischen
Armee fast die doppelte als früher vermutete Streiterzahl
umfaßte. Das erschütterte weder den Angriffswillen der
Führung noch den Schwung der vorwärtsstürmenden Armeen
der Generäle Dankl (erste Armee) und v. Auffenberg (vierte
Armee).
Vorsorglich rief die österreichischeungarische Heeresleitung
bereits jetzt die eine der beiden gegen Serbien eingesetzten
Armeen unter dem General v. Böhm-Ermolli nach Ost-
galizien heran, die Abrechnung mit den Serben auf später
verschiebend.
Auch die deutsche Heeresleitung sah sich bereitc am
21. August, infolge des unerwartet schnellen Vormarsches
der Russen gezwungen, zwei Armeekorpo und eine Kaval-
leriedivision vom westlichen nach dem östlichen Kriegsschau-
platz zu überführen. Da# betraf, wie wir später sehen
werden, auch die sächsische Kavalleriedivision, die 8. Kaval-
leriedivision, welche bisher im Verbande der sechsten Armee
in Lothringen gestanden hatte, sowie das bisher zur dritten
Armee gehörige XI. Armeekorps, das schon am 21. August,
also drei Tage nach Beginn des Vormarsches, zum Angriff
auf Namur der dritten Armee entzogen wurde und dem-
nächst nach dem Osten abrollte. —