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Bis zum Eintritt der Dunkelheit trat eine Anderung in
der Gefechtslage nicht ein. Die Kämpfe flauten allmählich
ab, und das feindliche Feuer wurde schwächer. Es hatte
starkes Regenwetter eingesetzt.
Inzwischen hatte nördlich Lens der Kommandeur der
8. Infanteriedivision das Kommando übernommen und von
seinen Truppen an Stelle der jetzt im Gefechtsabschnitt
der 8. Infanteriedivision eingesetzten beiden Bataillone In-
fanterieregiments 178 und Reserve-Infantcrieregiments 106
der 123. Infanteriedivision das I. und III. Bataillon Re-
serve-Infanterieregiments 72 zur Verfügung gestellt. Wäh-
rend die Führer dieser Bataillone über die Lage unterrichtet
wurden, traf ein Befehl des Generalkommandos ein, I. Ba-
taillon Reserve-Infanterieregiments 72 solle Korporeserve
bleiben. III. Bataillon Reserve-Infanterieregiments 72 wurde
nach Schacht (Fosse) 6 in Marsch gesetzt, wohin sich
auch der Kommandeur der 245. Infanteriebrigade begab,
um sich an Ort und Stelle über die Möglichkeit eines Gegen-
angriffs zu unterrichten.
Er traf gegen 8,45 Uhr abends bei Schacht 6 ein und
gewann den Eindruck, daß die Stellung fest in unseren
Händen sei und auch mit Sicherheit gehalten werden könne.
Die trotz der starken Verluste zuversichtliche Stimmung
der Führer und Mannschaften ließ ihn zu der Überzeugung
kommen, daß ein Gegenstoß Aussicht auf Erfolg habe.
Bedingung für das Gelingen des Angriffs war die Aus-
nutzung der Dunkelheit, um das überlegene französische
Trtilleriefeuer ausgzuschalten.
Als Angriffoziel war zunächst die Wiedergewinnung der
Linie Bastionenweg —Großer Pioniergraben—Torgauergra-
ben—Suauchezriegel— Hanggraben ins Auge gefaßt. Von
da aus sollte dann später die Zurückeroberung der alten
Stellung in ihrer ganzen Auodehnung erfolgen.
Die Bewegung sollte 1,45 Uhr vormittags beginnen,
das Vorgehen in drei Gruppen (Oberst Graf Mandelsloh,
Oberstleutnant Pilling, Oberstleutnant v. Abeken) erfolgen.
Es war ein abschnittweises Vortragen des Angriffes be-
absichtigt. Zunächst sollte die Talsperre vom Feinde ge-
säubert werden. Als zweiter Abschnitt war die Gewinnung
der Insel und Inselflanke, sowie des verlängerten o3zer
Grabens der Gruppe Mandelsloh, des Torgauergrabens
der Gruppe Pilling und des Souchezriegels der Gruppe
Abeken zum ziel gesetzt.
Nach Erreichen dieser Linie sollten die mittlere und linke
Gruppe die alten vordersten Stellungen von 178 und 182
erreichen. «
Sonntag, der 26. September.
Der Nachtangriff konnte erst 2,30 Uhr vormittags be-
ginnen. Die Gruppe Mandelsloh kam zunächst mühelos
vorwärts, die beiden anderen Gruppen stießen sofort auf
hartnäckigen Widerstand. Erst nach längerem Kampfe ge-
lang es hier den Feind zu werfen. Nunmehr gingen die
Truppen weiter vor und gewannen nach mehrfachem Hand-
granatenkampf langsam Boden. Das nebelige Wetter, das
bis gegen 9 Uhr vormittags anhielt, war für den Angriff
sehr günstig und verhinderte ein Eingreifen der französischen
Artillerie.
Es war eine größere Anzahl Gefangener gemacht wor-
den, viele verwundete Deutsche wurden befreit. Als das
Wetter aufklärte, setzte siarkes feindliches Artilleriefeuer
sofort ein. In den vorderen französischen Gräben sammel-
ten sich starke Kräfte an, und 11,18 Uhr vormittags be-
gann vom Leisiikowgraben aus ein französischer Angriff.
Der bereits von uns wiedergenommene Torgauergraben
mußte wieder aufgegeben werden, die anderen Gräben blie-
ben voll in unserem Besitz.
Gegen Mittag nahm das feindliche Artilleriefeuer an
Heftigkeit zu. Mit Gas= und Schwefelgranaten schwersten
Kalibers wurden unsere Batterien und deren Beobachtungs-
stellen überschüttet, so daß die Beobachtung zum Teil ver-
legt werden mußte.
Da auf weitere Verstärkung durch frische Truppen zu-
nächst nicht zu rechnen war, wurden auf Befehl der Divi-
sion sämtliche bei den Bagagen abkömmliche Mannschaften
gesammelt und nach Schacht 6 vorgeführt. Dort standen
bereits 9. und 10. Kompagnie sowie I. Bataillon Infan=
terieregiments 93 als Brigadereserve. Auch III. Bataillon
Infanterieregiments 93 war nachmittags von der 8. In-
fanteriedivision zu Hilfe geschickt worden.
Von 2 Uhr nachmittags ab setzte ein allgemeiner fran-
zösischer Angriff gegen die Stellung der Division ein. Er
wurde bereits 3 Uhr nachmittags abgeschlagen und bis zur
Dunkelheit nicht wiederholt.
Zwischen 7 und 8 Uhr abends trafen die von den Bagagen
herangezogenen Mannschaften in der Stärke von etwa einer
Kompagnie bei Schacht 6 ein. Das am Nachmittag der
Dioision zur Verfügung gestellte III. Bataillon des In-
fanterieregimento 93 wurde nicht mehr gebraucht und zur
#8. Infanteriedivision sofort in Marsch gesetzt.
Da auf der gesamten Front Ruhe eintrat, wurden die
stark ermüdeten und zusammengeschossenen Teile von In-
fanterieregiment 178 durch die noch in Reserve befind-
lichen Kompagnien, je eine von Reserve-Infanterieregi-
ment 72 und Infanterieregiment 93 in der vordersten Linie
abgelöst.
Montag, der 27. September.
Die Nacht verlief im allgemeinen ruhig. Fieberhaft wurde
an der Auobesserung der völlig zerschossenen Gräben und an
der Herstellung neuer Hindernisse gearbeitet. Doch ließ
sich in den wenigen Stunden der Nacht bei der merklichen
Erschöpfung der Mannschaften, die sich seit 22. September
im heftigsten Feuer bei regnerischem Wetter befanden, nicht
allzuviel erreichen.
Ein gegen 4 Uhr vormittags versuchter Uberfall brach
unter unseren Handgranaten zusammen, dann setzte heftiges
feindliches Artilleriefeuer aller Kaliber ein, welches von
Fliegern und mehreren Fesselballons mit großer Sicher-
heit geleitet wurde.
Gegen lo Uhr vormittags begann der französische An-
griff von Souchez aus gegen die Gießlerhöhe und gegen
den rechten Flügel der 11. Infanteriedivision in Richtung
auf Givenchy. Die französische Infanterie ging in mehreren
Linien hintereinander vor. Bis 11 Uhr vormittago war
der französische Angriff gescheitert.
Gleichzeitig mit dem Angriff gegen den Gießlergraben
wurde ein solcher gegen den Hanggraben und die Tal-
sperre unternommen. Nur der erstere führte zum Erfolg.
Der Feind setzte sich in einem Grabenstück fa und rich-
tete sich mit der ihm eigenen Geschicklichkeit schnell dort
ein.
Ein gefangener französischer Jäger sagte aus, daß am
Morgen die ganze französische 70. Infanteriedivision in
Souchez zum Angriff bereitgestellt worden sei. Bereits
2 Uhr nachmittags erfolgte ein neuer Angriff gegen die
gesamte Stellung der 123. Infanteriedivision und gegen
den rechten Flügel der 11. Infanteriedivision. Auch dies-
mal wurde der Angriff an allen Stellen unter schweren
Verlusten für den Feind restlos abgewiesen.
Auf der Gießlerhöhe hatte das feindliche Artilleriefeuer
unsere Gräben zerstört und der Besatzung schwere Verluste
zugefügt. Ein Auffüllen der letzteren erschien zwecklos, man
sparte die Reserven zum Gegenangriff.