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verfügbaren Truppen in den Kampf geworfen worden und
hatten erreicht, daß die Franzosen auf ein weiteres Vor-
gehen zunächst verzichteten.
Bedrohlicher erschien die Lage an der Lorettohöhe. Dort
war die deutsche Stellung nach dem französischen Durch-
bruch südlich Carency tatsächlich durch den Feind um-
faßt. Seine Artillerie, die am 9. Mal der Infanterie ge-
folgt und nordwestlich La Targette in Stellung gegangen
war, schoß sogar in den Rücken der deutschen Gräben
bei der Lorettokapelle.
Dorthin wurde am Nachmittag des 10. Mai, während
starkes französisches Artilleriefeuer auf und hinter der
Lorcttostellung lag, das Infanterieregiment 106 der s8. In-
fanteriedivision zur Unterstützung der Badener vorgeschickt.
Über den gegenwärtigen Stand des Gefechts erfuhr die
Division:
Beim l. bayerischen Reservekorps hatte die auf dessen
rechtem Flügel stehende §. bayerische Reservedivision Haupt-
teile ihrer Stellung westlich der Straße Souchez—AMrras
verloren. In Carency hielt sich, fast abgeschnitten, noch
eine kleine Abteilung. Südlich Souchez war der Feind
zum Teil bis östlich des Punktes 123 vorgedrungen. Ge-
naueres war weder über den Feind noch über die Stel-
lung und Lage der . bayerischen Reservedivision noch über
die bei dieser in vorderer Linie wirklich noch vorhandenen
Truppen zu erfahren.
Eo wurden hier unter Führung des Kommandeurs der
38. Infanteriedivision eingesetzt und dem I. bayerischen
Reservekorps unterstellt: Die 116. Infanteriebrigade (ohne
Infanterieregiment 100), Feldartillerieregiment 116, Po-
nierkompagnie 115 und 116. Der Rest der Division
verblieb zunächst als Armeereserve bei Billy-Montigny.
Links neben der 88. Infanteriedivision wurde die
Us. Infanteriedivision eingesetzt und ebenfalls dem I. baye-
rischen Reservekorps unterstellt. Dieses gab beiden Di-
visionen Befehl zum Angriff gegen den Feind, der in die
bisherigen Stellungen der §. bayerischen Reservedivision
eingedrungen war.
Co stellte sich heraus, daß nur noch schwache Trupps
von Versprengten der §. bayerischen Reservedivision auf
den Höhen südlich Givenchy (Punkte 140 und 123) vor-
handen waren, die Franzosen dagegen mit einzelnen Teilen
ihrer Infanterie diese Höhen bereits erreicht hatten.
Außerst schwierig gestaltete sich das Vordringen des
Feldartillerieregiments 116. Es mußte über das offene
Gelände hinweg im stärksten feindlichen Feuer erfolgen.
Die Zeit drängte, eine blare Regelung der artilleristischen
Feuerleitung konnte nicht abgewartet werden, die Vor-
bereitung des Infanterieangriffos durch die Artillerie blieb
infolgedessen fast wirkungslos.
Die beiden Infanterieregimenter 107 und 120 schritten
7 Uhr abends zum Angriff.
Infanterieregiment 107 siieß bereits bei Punkt 140
auf stärkere Trupps feindlicher Infanterie, die tatsäch-
lich keine deutschen Truppen mehr vor sich gehabt hatten.
Wenn der Feind hier seinen Vorteil rechtzeitig erkannt
und auc#zunutzen verstanden hätte, wäre die Rückeroberung
der Höhen südlich Givenchy wohl ungleich schwieriger ge-
worden. Bis zum Dunkelwerden war die Gefechtslinie
des Infanterieregiments 107 bereits etwa 1600 Meter
über die Höhe vorwärts gedrungen und hatte die in diesem
Raume befindlichen vordersten feindlichen Gräben in
energischem Ansiurm genommen.
Im heftigsien feindlichen Artillerie= und Infanteriefeuer
wurde jede einheitliche Führung unmöglich. Jeden Busch
und jedes Granatloch ausnutzend, sprangen einzelne Züge
und Gruppen des I. und II. Bataillons vor. Um Mitter-
nacht hatten einzelne Abteilungen die Höhe 123 erreicht
und nisteten sich dort in einem Hohlweg ein. Trotz der
schweren Verluste durch Artilleriemassenfeuer wurde der
Hohlweg gehalten und Verbindung mit Reserve-Infanterie=
regiment 120 aufgenommen.
Das Reserve-Infanterieregiment 120 hatte sich bei seinem
Vorgehen infolge der Unübersichtlichkeit den Geländes und
angezogen von dem ihm sichtbaren Feind im schwersten
feindlichen Artilleriefeuer etwas nach rechts in Richtung
auf den Südhang von Souchez zu gezogen. Es stürmte
dann zusammen mit bayerischen Jägern den vielumstrittenen
Kirchhof von Souchez von Süden her und eroberte zwei
den Bayern tags zuvor verlorengegangene und von den
Franzosen noch nicht abgefahrene schwere Feldhaubitzen
in der sogenannten „Artilleriemulde“, welche nunmehr den
tapferen Angreifern einigen Schutz bot. An ihrem West-
rand gruben sich die tapferen Württemberger des Reserve-
Infanterieregiments 120, bunt untermischt mit den dor-
tigen Resten verschiedenster Negimenter ein, welche trotz
ihrer verzweifelten Lage bisher hier zäh ausgehalten hatten.
Bot auch die tiefe Artilleriemulde einigen Feuerschutz,
so fehlte er weiter südlich, wo Infanterieregiment 107
vordrang, vollständig. Mit schweren Verlusten nur konnte
das tapfere Regiment die Höhe 123 stürmen und halten.
Aber der Besitz dieser Höhe, der für unsere Artillerie=
beobachtung von entscheidender Bedeutung war, lohnte die
Opfer.
Links von der 58. Infanteriedivision hatte die 115. In-
fanteriedivision bei Neuville keine erheblichen Vorteile zu
erringen vermocht. Rechts von der s8. Infanteriedivision
war die 2. bayerische Reservedivision, welche seit Anfang
des Durchbruchskampfes sich opferte, naturgemäß über-
haupt nicht weiter vorwärtsgekommen. So beschränkten
sich die beiden Infanterieregimenter der s8. Infanterie-
division für die nächste Nacht auf Fesihalten und sofortiges
Ausbauen der bioher errungenen Linie.
Inzwischen war der Division außer dem Infanterie-
regiment 106 auch noch ihr letztes in Reserve gehaltenes
Bataillon, III. Bataillon Infanterieregiments 107 entzogen,
der F. bayerischen Reservedivision zur Verfügung gestellt
und bei Souchez eingesetzt worden.
Die kritische Lage auf dem Gefechtofeld bei der An-
kunft der 58. Infanteriedivision machte es notwendig,
über die einzelnen Teile der Division ohne Rücksicht auf
deren taktischen Verband zu verfügen. So stellt sich die
Teilnahme der Division an der Lorettoschlacht in der fol-
genden Zeit zunächst als Kampf der 116. Infanterie-
brigade und im übrigen als Kampf der einzelnen Regi-
menter, ja Bataillone der Division dar. Die Darstellung
des Anteils der einzelnen Regimenter muß deöhalb auch
deren Geschichten überlassen bleiben. Sie werden damit
Ruhmeoblätter füllen.
Am 11. Mai 1 Uhr nachmittags begann das erste
wirkliche, mehrere Stunden anhaltende Trommelfeuer auf
die Stellungen der Regimenter 107 und Reserve 120,
welches niederzuhalten unserer Artillerie nicht möglich war,
da die französischen Artilleriestellungen überhaupt nicht
ausfindig gemacht werden konnten, während die gewaltige
feindliche Artillerie, deren Feuerleitung sich hier seit Wochen
eingelebt hatte, jeden Baumstumpf, jeden Erdaufwurf und
jeden Grabenstrich besser kannte als auf einem jahrelang
gewohnten Schießplatz. Trotzdem wurden die heftigen und
zahlreichen feindlichen Infanterieangriffe im Laufe des
Tages resilos abgewiesen.
Insbesondere fluteten zwei starke französische Angriffe
in dem Feuer der heldenmütigen Trupps und Züge des
Infanterieregiments 107 zurück, die in den völlig ein-
geebneten Gräben ausgehalten hatten. .
Auch die am nächsten Tage, 12. Mai, mit großer Zähig-
keit wiederholten Durchbruchsversuche der Franzosen scheiter-
ten im Feuer der beiden tapferen Regimenter. Deren Ver-