246
Ebenso ergebnislos endete der französische Durchbruchs-
versuch im Sommer 1915 im Artois, der den Fran-
zosen und Engländern sicherlich an 100 oo00 Mann ge-
kostet hat.
Nun sollte im September 1915 zum dritten Male die
Entscheidung herbeigeführt werden. Das Menschenmögliche
an Vorbereitung dazu hat der französische oberste Befehls-
haber, der General Joffre, zweifellos getan. Mit Recht
verkündete er in seinem Armeebefehl vom 21. September:
„Alle Vorbereitungen für den sicheren Erfolg sind gegeben.
Drei Viertel der französischen Streitkräfte nehmen an der
allgemeinen Schlacht teil.“ 35 französische Divisionen unter
General de Castelnau waren für den Durchbruch in der
Champagne bestimmt. 18 französische Divisionen unter
General Foch sollten mit 13 englischen Divisionen in
Flandern durchbrechen. 12 weitere Infanteriedivisionen und
die belgische Armee standen zum Nachstoßen bereit. 2000
schwere und 3000 Feldgeschuͤtze mit einer bisher unerhört
hohen Munitionsausrüstung sollten dem Angriff den Weg
bahnen. In größter Heimlichkeit wurden riesenhafte Vor-
bereitungen getroffen. Das Großbahn- und Kleinbahnnetz
hinter der Front, sowie alle Bahnhofsanlagen wurden
erweitert. Riesige Magazine und Stapelplätze entstanden
an allen Zufuhrstraßen. Mehrere Kilometer lange An-
näherungsgräben zum gedeckten Vorführen der Truppen
mündeten an den Ausgangsstellungen des riesigen An-
griffsfeldes. Die Sturmstellungen waren zu einem waben-
artigen System von Gräben ausgebaut worden, in denen
die Stoßtruppen versammelt werden sollten. Sogar für
14 Kavalleriedivisionen, die nach erfolgreichem Durchbruch
der Sturmtruppen die letzten Reste der Deutschen zer-
sprengen sollten, waren gedeckte Bereitstellungen tief in
die Erde eingegraben und mit besonders erweiterten An-
näherungsgräben in Verbindung gebracht worden.
35 französische Fußdivisionen waren um den 20. Sep-
tember hinter dem etwa 32 Kilometer breiten Frontstück
des Hauptangriffs zwischen Aubérive und der oberen Aisne
versammelt, 300 O000 Mann der besten französischen
Truppen gegen die Mannschaft von fünf deutschen seit
Monaten in hartem Grabenkrieg stehenden Divisionen. Jede
französische Division kannte genau ihr Angriffsziel. Zu-
vor aber sollten die gegenüberstehenden Grabenverteidiger
durch eine bisher für unmöglich erachtete Artilleriewirkung
niedergekämpft werden. Im Mai lo#ls hatte ein vier-
stündiges deutsches Trommelfeuer in Galizien genügt, um
die Russen noch vor dem deutschen Angriff zum Räumen
ihrer Stellungen zu zwingen. Um so sicherer schien es,
daß mit der zur Verfügung stehenden unbegrenzten Mu-
nitionsmenge die deutsche Stellung und ihre Verteidiger
vernichtet sein würden, ehe die Sturmtruppen vorbrächen.
Am 22. September früh 7 Uhr begannen plätzlich Tau-
sende von französischen Geschützen ihren Eisenhagel auf
die deutschen Stellungen zu schleudern, Waldstücke ver-
nichtend, Dörfer wegfegend, das Gelände auf 30 Kilo-
meter Breite buchstäblich zerpflügend. Die deutschen Stel-
lungen, in monatelanger, mühsamer Arbeit geschaffen, ver-
schwanden unter dem feindlichen Massenfeuer. Nicht we-
niger als 180 o00 — 200 ooo Schuß gingen an einem Tage
auf die Abschnitte einzelner Divisionen nieder. Ein ein-
Leer Schuß aus dem französischen 28 cm-Mörser riß
richter von 5—6 Meter Tiefe und Breite. Die deutschen
Annäherungswege verschwanden. Jeder Verkehr — Be-
fehle, Meldungen, Verpflegung, Munition, Verwundeten-
abschub — mußte deckungslos über das von Granat-
löchern zerrissene Flachland geschehen. Ein rasendes Feuer
jagte über die muldenförmigen Vertiefungen der früheren
zwei und mehr Meter tiefen deutschen Verteidigungsgräben.
Eine undurchsichtige Wolke von Kreidestaub und Rauch
lastete über der ganzen Gegend. Vergebens suchten die
deutschen Beobachtungsposten in dem Höllenlärm, der sie
umgab, mit ihrem Späherblick diese verhängnisdrohende
Wand zu durchdringen. Tief unten in ihren Erdlöchern
harrte die übrige deutsche Mannschaft dem Augenblick ent-
gegen, wo dem furchtbaren Trommelfeuer der feindliche
Angriff als ersehnter Abschluß des Todesringene folgen
würde.
Endlich, nach vollen 48 Stunden, schien dieser Augen-
blick gekommen zu sein. Am 24. September morgens
brach das französische Artilleriefeuer für kurze Zeit ab.
Französische Erkundungsabteilungen fühlten auf der ganzen
Front vor und stellten zur unbegrenzten Uberraschung der
französischen Schlachtleitung fest, daß der Deutsche noch
nicht „kaput“ war, sondern die französischen Spähertrupps
mit wohlgezielten Schüssen empfing.
Von neuem setzte die Arbeit von Tausenden von Ge-
schützen ein, besonders nach den Stellen, von denen heftiges
Abwehrfeuer den Patrouillen entgegengeschlagen war. Nun-
mehr vergingen nochmals bange 24 Stunden. Am 25. Sep-
tember 7 Uhr vormittags steigerte sich dann das französische
Artilleriefeuer zu einer bis dahin für unmöglich gehaltenen
Stärke. Die deutsche Artillerie hatte von vornherein darauf
verzichten müssen, gegenüber der ungeheueren Überlegen-
heit der französischen Artillerie gleiches mit gleichem zu
vergelten.
Nun traten die 22 für den ersten Vorstoß bestimmten
französischen Divisionen in dem sicheren Gefühl, nur über
Leichen ihren Siegeslauf zu vollenden, die Vorwärts-
bewegung an. Sie waren auf den 30 Kilometer breiten
Durchbruchstreifen annähernd gleichmäßig verteilt. Nur
den vier nordwärts führenden Straßenzügen entlang ballten
sie sich enger aneinander. Hier winkten als nächste Ziele
Höhe 199 nördlich Massiges, Tahure, Somme-Py und
St. Souplet.
In sich waren die französischen Divisionen wie folgt
gegliedert: drei Regimenter nebeneinander bildeten die
eigentliche Sturmtruppe. In jedem Regiment folgten sich
die drei Bataillone als einzelne Sturmwellen mit dichten
Schützenlinien auf etwa 30 Meter Abstand nacheinander.
Voran eilten Handgranatentrupps, hinter der ersten
Bataillonswelle folgten die berüchtigten „Nettoyeurs“
(Séuberer) zur Durchsuchung der Unterstände und Samm-
lung der Beute an Menschen und Kriegöogerät. Weitere
Sondertrupps folgten hinter der dritten Bataillonswelle,
umdie eigentlichen Sturmtruppen von aller Nebenarbeit
frei zu machen. Deren Ziel blieb allein, wie es der Joffre-
Befehl vom 14. September angewiesen hatte, „ohne Aufent-
halt bis über die letzte deutsche Stellung hinaus durchzusto-
ßen“. Sollte ihre Stoßkraft vorher erlahmen, so würden die
vierten Regimenter der Divisionen ihnen vorwärts helfen.
Endlich hielt sich Joffre noch acht weitere Divisionen als
starke Reserve zur Hand, um den Sieg zu erzwingen. Was
Wunder, daß nur ein Gefühl am Morgen des 25. Sep-
tember das französische Feldheer beherrschte, der Durch-
bruch, der Sieg, das Kriegsende!
Zunächst erfolgte an diesem Morgen eine schwere Ver-
gasung der ganzen deutschen Steilung durch die französische
Artillerie.
Um 10 Uhr vormittags traten dann aus den dichten Nauch-
und Staubwänden plötzlich die französischen Massen hervor,
mehrere Glieder tief, eine Menschenmauer von tausend
und abertausend in lange, hellblaue Mäntel gehüllten Ge-
stalten, die sich langsam heranwälzte und grauenhaft als-
bald im deutschen Abwehrfeuer zusammenbrach.
Wie ein Erlösungsruf tönte das Alarmsignal durch die
deutschen Unterstände. Freudig, selbstsicher, kaltblütig
richtete bald jeder Grabenkämpfer sein Gewehr über die
zerschossene Brustwehr auf die siegestrunkene Angriffs-