Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Welche Erwartungen unsere Feinde im Westen auf den 
großen Durchbruchsversuch in der Champagne gesetzt und 
welche Kräfte sie dafür aufgewendet hatten, ergibt sich 
aus den nachstehenden beiden Befehlen des Generals Joffre 
vom 14. September und 21. September lols, welche von 
der deutschen Heeresleitung bereits am 3. bzw. 17. Ok- 
tober bekanntgegeben werden konnten. Der erstere Befehl 
hat den folgenden Wortlaut: 
Grosses Hauptquartier, 23. 9. 1918. 
„An die Kommandierenden Generäle! 
Der Geist der Truppen und ihr Opfermut bilden die 
wichtigste Bedingung des Angriffs. Der französische Soldat 
schlägt sich um so tapferer, je besser er die Wichtigkeit der 
Angriffshandlungen, woran er beteiligt ist, begreift und je 
mehr er Vertrauen hat zu den von den Führern getroffenen 
Maßnahmen. Ec ist deshalb notwendig, das die Offiziere 
aller Grade von heute an ihre Untergebenen über die gün- 
stigen Bedingungen aufklären, unter denen der nächste An- 
griff der französischen Streitkräfte vor sich gehen wird. 
Folgende Punkte müssen allen bekannt sein: 
1. Auf dem französischen Kriegsschauplatz zum Angriff 
zu schreiten, ist für uns eine Notwendigkeit, um die Deut- 
schen aus Frankreich zu verjagen. Wir werden sowohl unsere 
seit 12 Monaten unterjochten Volksgenossen befreien als 
auch dem Feinde den wertvollen Besitz unserer besetzten 
Gebiete entreißen. Außerdem wird ein glänzender Sieg 
über die Deutschen die neutralen Völker bestimmen, sich 
zu unseren Gunsten zu entscheiden, und den Feind zwingen, 
sein Vorgehen gegen die russische Armee zu verlangsamen, 
um unseren Angriffen entgegenzutreten. 
2. Alles ist geschehen, daß dieser Angriff mit erheblichen 
Kräften und gewaltigen materiellen Mitteln unternommen 
werden kann. Der ohne Unterbrechung gesteigerte Wert der 
Verteidigungseinrichtungen, in erster Linie die immer größere 
Verwendung von Territorialtruppen an der Front, und die 
Vermehrung der in Frankreich gelandeten englischen Streit- 
kräfte haben dem Oberbefehlshaber erlaubt, eine große Zahl 
von Divisionen aus der Front herauszuziehen und für den 
Angriff bereitzustellen. Deren Stärke kommt der meh- 
rerer Armeen gleich. Diese Streitkräfte ebenso wie die 
in der Front gehaltenen verfügen über neue und vervoll- 
kommnete Kriegsmittel. 
Die Zahl der Maschinengewehre ist mehr als verdoppelt. 
Die Feldkanonen, die nach Maßgabe ihrer Abnutzung durch 
neue Kanonen ersetzt worden sind, verfügen über einen be- 
deutenden Munitionsvorrat. 
Die Kraftwagenkolonnen sind vermehrt worden, sowohl 
zur Verpflegung als zu Truppenverschiebungen. Die schwere 
Artillerie, das wichtigste Angriffsmittel, war der Gegen- 
stand erheblicher Anstrengung. Eine beträchtliche Menge 
von Batterien schweren Kalibers ist mit Rücksicht auf die 
nächste Angriffshandlung vorbereitet und vereinigt worden. 
Der für jedes Geschütz Lorgesehene tägliche Munitions-= 
satz übertrifft den biöher festgestellten größten Verbrauch. 
3. Der gegenwärtige Zeitpunkt ist für einen allgemeinen 
Angriff besonders günstig. Einerseito haben die Kitchener= 
armeen ihre Landung in Frankreich beendet und anderer- 
seits baben die Deutschen noch im letzten Monat von unserer 
Front Kräfte weggezogen, um sie an der russischen Front 
zu verwenden. Die Deutschen haben mur sehr dürftige Ne- 
serven hinter der dünnen Linie ihrer Grabenstiellung. 
4. Der Angriff soll ein allgemeiner sein. Er wird aus 
mehreren großen und gleichzeitigen Angriffen besiehen, die 
auf sehr großen Fronten vor sich geben sollen. Die eng- 
lischen Truppen werden mit bedeutenden Kräften daran teil- 
nehmen. Auch die belgischen Truppen werden sich an den 
Angriffshandlungen beteiligen. Sobald der Feind erschüttert 
sein wird, werden die Truppen an den bis dahin untätig 
gehaltenen Teilen der Front ihrerseits angreifen, um die 
Unordnung zu vervollständigen und den Feind zur Auf- 
lösung zu bringen. Es wird sich für alle Truppen, die an- 
greifen, nicht nur darum handeln, die ersten feindlichen 
Gräben wegzunehmen, sondern ohne Nast Tag und Nacht 
weiterzustoßen über die zweite und dritte Linie hinaus bis 
in das freie Gelände. Die ganze Kavallerie wird an diesen 
Angriffen teilnehmen, um den Erfolg mit weitem Abstand 
vor der Infanterie auszunutzen. Die Gleichzeitigkeit der 
Angriffe, ihre Wucht und Ausdehnung werden den Feind 
hindern, seine Infanterie= und Artilleriereserven auf einem 
Punkte zu versammeln, wie er es im Norden von Arras 
tun konnte. Diese Umstände sichern den Erfolg. 
Die Bekanntgabe dieser Mitteilungen an die Truppen 
wird nicht verfehlen, den Geist der Truppe zu der Höhe 
der Opfer zu heben, die von ihr gefordert werden. Es ist 
daher unbedingt nötig, daß die Mitteilung mit Klugheit 
und Überzeugung geschieht.“ (gez.) Joffre. 
Hierzu gab ein französischer Regimentskommandeur fol- 
genden Zusatz: 
„Diesen Befehl bringt der Oberst zur Kenntnis der Herren 
Bataillonskommandeure und Kompagnieführer und bittet 
sie, während des Dienstes in den Gräben und im Lager 
jede Gelegenheit zu benutzen, um den Leuten begreiflich zu 
machen, daß die von ihnen geforderte Ansirengung derartige 
Folgen haben kann, daß der Krieg binnen kurzem mit 
einem Schlag zu Ende ist. 
Alle müssen bei dem beabsichtigten Angriff diejenige 
Kraft, Energie und Tapferkeit einsetzen, die nötig sind, um 
ein so großes Ergebnis zu erreichen. 
Wir müssen die deutschen Linien durchbrechen und dazu 
vorwärts gehen, trotz alle “ 
Der Befehl des Generals Joffre wird in interessanter 
Weise durch nachstehende Außerung des Kommandeurs der 
englischen Gardedivision ergängt, die am 25. September 
in deutsche Hände fiel: 
„Divisionsbefehl der Gardedivision. 
Am Vorabend der größten Schlacht aller Zeiten wünscht 
der Kommandeur der Gardedivision seinen Truppen viel 
Glück. Er hat den anfeuernden Worten des Kommandieren- 
den Generals von heute morgen nichts hinzuzufügen. Möchte 
sich aber jedermann zwei Dinge vor Augen halten: 
1. daß von dem Ausgang dieser Schlacht das Schicksal 
kommender englischer Generationen abhängt, 
2. daß von der Gardedivision Großes erwartet wird. 
Als ein Gardist von über 30 Dienstjahren weiß er, daß 
er nichts mehr hinzuzufügen braucht. 
(gez.) Lord Cavan.“ 
„Aus diesen beiden Dokumenten,“ so fügt die deutsche 
Oberste Heeresleitung hinzu, „geht zunächst herror, wie 
schmählich man die Offentlichkeit täuscht, wenn ihr nach 
dem Fehlschlagen des am 25. September unternommenen 
Angriffs immer wieder versichert wird, der in der Vor- 
bewegung eingetretene Stillstand habe von vornherein in 
der Absicht der verbündeten englischen und französischen 
Heeresleitungen gelegen. 
Aber die Befehle gestatteten auch noch andere Feststel- 
lungen. Der Zweck des Angriffs war, die Deutschen aus 
Frankreich zu vertreiben, das Ergebnis dagegen, daß die 
deutschen Truppen auf der etwa 840 km langen Front an 
einer Stelle in 23 km, an einer anderen, und an dieser 
nicht nur durch die soldatischen Leistungen des englischen 
Angreifers, sondern durch gelungene Uberraschung mit einem
	        
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