262
Welche Erwartungen unsere Feinde im Westen auf den
großen Durchbruchsversuch in der Champagne gesetzt und
welche Kräfte sie dafür aufgewendet hatten, ergibt sich
aus den nachstehenden beiden Befehlen des Generals Joffre
vom 14. September und 21. September lols, welche von
der deutschen Heeresleitung bereits am 3. bzw. 17. Ok-
tober bekanntgegeben werden konnten. Der erstere Befehl
hat den folgenden Wortlaut:
Grosses Hauptquartier, 23. 9. 1918.
„An die Kommandierenden Generäle!
Der Geist der Truppen und ihr Opfermut bilden die
wichtigste Bedingung des Angriffs. Der französische Soldat
schlägt sich um so tapferer, je besser er die Wichtigkeit der
Angriffshandlungen, woran er beteiligt ist, begreift und je
mehr er Vertrauen hat zu den von den Führern getroffenen
Maßnahmen. Ec ist deshalb notwendig, das die Offiziere
aller Grade von heute an ihre Untergebenen über die gün-
stigen Bedingungen aufklären, unter denen der nächste An-
griff der französischen Streitkräfte vor sich gehen wird.
Folgende Punkte müssen allen bekannt sein:
1. Auf dem französischen Kriegsschauplatz zum Angriff
zu schreiten, ist für uns eine Notwendigkeit, um die Deut-
schen aus Frankreich zu verjagen. Wir werden sowohl unsere
seit 12 Monaten unterjochten Volksgenossen befreien als
auch dem Feinde den wertvollen Besitz unserer besetzten
Gebiete entreißen. Außerdem wird ein glänzender Sieg
über die Deutschen die neutralen Völker bestimmen, sich
zu unseren Gunsten zu entscheiden, und den Feind zwingen,
sein Vorgehen gegen die russische Armee zu verlangsamen,
um unseren Angriffen entgegenzutreten.
2. Alles ist geschehen, daß dieser Angriff mit erheblichen
Kräften und gewaltigen materiellen Mitteln unternommen
werden kann. Der ohne Unterbrechung gesteigerte Wert der
Verteidigungseinrichtungen, in erster Linie die immer größere
Verwendung von Territorialtruppen an der Front, und die
Vermehrung der in Frankreich gelandeten englischen Streit-
kräfte haben dem Oberbefehlshaber erlaubt, eine große Zahl
von Divisionen aus der Front herauszuziehen und für den
Angriff bereitzustellen. Deren Stärke kommt der meh-
rerer Armeen gleich. Diese Streitkräfte ebenso wie die
in der Front gehaltenen verfügen über neue und vervoll-
kommnete Kriegsmittel.
Die Zahl der Maschinengewehre ist mehr als verdoppelt.
Die Feldkanonen, die nach Maßgabe ihrer Abnutzung durch
neue Kanonen ersetzt worden sind, verfügen über einen be-
deutenden Munitionsvorrat.
Die Kraftwagenkolonnen sind vermehrt worden, sowohl
zur Verpflegung als zu Truppenverschiebungen. Die schwere
Artillerie, das wichtigste Angriffsmittel, war der Gegen-
stand erheblicher Anstrengung. Eine beträchtliche Menge
von Batterien schweren Kalibers ist mit Rücksicht auf die
nächste Angriffshandlung vorbereitet und vereinigt worden.
Der für jedes Geschütz Lorgesehene tägliche Munitions-=
satz übertrifft den biöher festgestellten größten Verbrauch.
3. Der gegenwärtige Zeitpunkt ist für einen allgemeinen
Angriff besonders günstig. Einerseito haben die Kitchener=
armeen ihre Landung in Frankreich beendet und anderer-
seits baben die Deutschen noch im letzten Monat von unserer
Front Kräfte weggezogen, um sie an der russischen Front
zu verwenden. Die Deutschen haben mur sehr dürftige Ne-
serven hinter der dünnen Linie ihrer Grabenstiellung.
4. Der Angriff soll ein allgemeiner sein. Er wird aus
mehreren großen und gleichzeitigen Angriffen besiehen, die
auf sehr großen Fronten vor sich geben sollen. Die eng-
lischen Truppen werden mit bedeutenden Kräften daran teil-
nehmen. Auch die belgischen Truppen werden sich an den
Angriffshandlungen beteiligen. Sobald der Feind erschüttert
sein wird, werden die Truppen an den bis dahin untätig
gehaltenen Teilen der Front ihrerseits angreifen, um die
Unordnung zu vervollständigen und den Feind zur Auf-
lösung zu bringen. Es wird sich für alle Truppen, die an-
greifen, nicht nur darum handeln, die ersten feindlichen
Gräben wegzunehmen, sondern ohne Nast Tag und Nacht
weiterzustoßen über die zweite und dritte Linie hinaus bis
in das freie Gelände. Die ganze Kavallerie wird an diesen
Angriffen teilnehmen, um den Erfolg mit weitem Abstand
vor der Infanterie auszunutzen. Die Gleichzeitigkeit der
Angriffe, ihre Wucht und Ausdehnung werden den Feind
hindern, seine Infanterie= und Artilleriereserven auf einem
Punkte zu versammeln, wie er es im Norden von Arras
tun konnte. Diese Umstände sichern den Erfolg.
Die Bekanntgabe dieser Mitteilungen an die Truppen
wird nicht verfehlen, den Geist der Truppe zu der Höhe
der Opfer zu heben, die von ihr gefordert werden. Es ist
daher unbedingt nötig, daß die Mitteilung mit Klugheit
und Überzeugung geschieht.“ (gez.) Joffre.
Hierzu gab ein französischer Regimentskommandeur fol-
genden Zusatz:
„Diesen Befehl bringt der Oberst zur Kenntnis der Herren
Bataillonskommandeure und Kompagnieführer und bittet
sie, während des Dienstes in den Gräben und im Lager
jede Gelegenheit zu benutzen, um den Leuten begreiflich zu
machen, daß die von ihnen geforderte Ansirengung derartige
Folgen haben kann, daß der Krieg binnen kurzem mit
einem Schlag zu Ende ist.
Alle müssen bei dem beabsichtigten Angriff diejenige
Kraft, Energie und Tapferkeit einsetzen, die nötig sind, um
ein so großes Ergebnis zu erreichen.
Wir müssen die deutschen Linien durchbrechen und dazu
vorwärts gehen, trotz alle “
Der Befehl des Generals Joffre wird in interessanter
Weise durch nachstehende Außerung des Kommandeurs der
englischen Gardedivision ergängt, die am 25. September
in deutsche Hände fiel:
„Divisionsbefehl der Gardedivision.
Am Vorabend der größten Schlacht aller Zeiten wünscht
der Kommandeur der Gardedivision seinen Truppen viel
Glück. Er hat den anfeuernden Worten des Kommandieren-
den Generals von heute morgen nichts hinzuzufügen. Möchte
sich aber jedermann zwei Dinge vor Augen halten:
1. daß von dem Ausgang dieser Schlacht das Schicksal
kommender englischer Generationen abhängt,
2. daß von der Gardedivision Großes erwartet wird.
Als ein Gardist von über 30 Dienstjahren weiß er, daß
er nichts mehr hinzuzufügen braucht.
(gez.) Lord Cavan.“
„Aus diesen beiden Dokumenten,“ so fügt die deutsche
Oberste Heeresleitung hinzu, „geht zunächst herror, wie
schmählich man die Offentlichkeit täuscht, wenn ihr nach
dem Fehlschlagen des am 25. September unternommenen
Angriffs immer wieder versichert wird, der in der Vor-
bewegung eingetretene Stillstand habe von vornherein in
der Absicht der verbündeten englischen und französischen
Heeresleitungen gelegen.
Aber die Befehle gestatteten auch noch andere Feststel-
lungen. Der Zweck des Angriffs war, die Deutschen aus
Frankreich zu vertreiben, das Ergebnis dagegen, daß die
deutschen Truppen auf der etwa 840 km langen Front an
einer Stelle in 23 km, an einer anderen, und an dieser
nicht nur durch die soldatischen Leistungen des englischen
Angreifers, sondern durch gelungene Uberraschung mit einem