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XI. Armeekorps, das für eine Offensive bereitgestellt wurde,
etwas weiter rechts überwiesen. Der neue Abschnitt der Divi-
sion war 18 km breit und in seiner Mitte nur 30 m von
der russischen Stellung entfernt. Täglich fand hitziger Feuer-
kampf auf der ganzen Linie mit einem Tagesverbrauch
von durchschnittlich nicht weniger als 140 Ooo Patronen
statt. Für den ganzen Abschnitt von 18 km Breite waren
1280 Karabinerschützen, 900 Mann aktiver Infanterie und
3570 Mann Landsturm, zusammen also etwa 6000 Ge-
wehre, dazu 4 Maschinengewehre und eine Drittel Pionier=
bompagnie verfügbar. Die Hälfte davon diente als Graben=
besatzung, dem Rest lag die schwere Arbeit in den infolge des
Tauwetters einstürzenden Gräben und die Pferdepflege ob.
Also eine Erholung war dieser Teil des Feldzuges ganz
gewiß nicht. Am 20. März erhielt die Division einen kleine-
ren, in sich abgeschlossenen Abschnitt. Gegenüber standen russi-
sche Abteilungen eines sibirischen Korpe, vorzügliche Schützen.
Überläufer berichteten über die zunehmende Friedenssehn-
sucht der Russen, inobesondere bei dem neueingetroffenen, nur
secho Wochen lang augebildeten Ersatz, ebenso darüber, daß die
„Pferdejäger“ (statt Jäger zu Pferde) wegen ihres guten
Schießens bei den Russen sehr gefürchtet seien. Zu Ostern,
am 4. April, versuchten die Russen sogar Gespräche an-
zuknüpfen, natürlich vergebens.
Auch hinter der Front herrschte vom Spätherbst bis
zum Nahen des Frühjahres vollste Tätigkeit. Große Be-
stände Kartoffeln wurden geborgen und zurückgebracht.
guckerrüben wurden verfüttert und dafür Hafer erspart.
geführt, um schnellwachsendes Rauhfutter baldmöglichst zu
erhalten.
Ende April wurden auf der ganzen Front der neunten
Armee große Vorbereitungen für einen Scheinangriff ge-
troffen, um die Aufmerksamkeit der Russen hierher zu
lenken. Die Russen richteten auch allnächtlich ihre zahl-
reichen Scheinwerfer auf alle Furten und voraussichtlichen
Brückenstellen und beschossen planmäßig bei Tag und Nacht
unter beträchtlichem Munitionseinsatz die deutschen Stel-
lungen. Der Zweck, die Aufmerksamkeit der Russen von
den Stellen abzulenken, wo sich das Riesengewitter über
ihnen um diese Zeit zusammenzog, wurde voll erreicht.
Anfang Mal besichtigte der neuernannte Oberbefehlchaber
der neunten Armee, Prinz Leopold von Bayern die Division.
Gegen den 18. Mai begannen die Russen von der oberen
Weichsel und der Pilica nach und nach zurückzugehen. Auch
die 8. Kavalleriedivision wurde nunmehr marschbereit ge-
macht. Schon am 6. Mai war die 38. Kavalleriebrigade
aus der Stellung herausgezogen worden. Nun folgte auch
die 40. Kavalleriebrigade. Die Division wurde zunächst dem
3. Reservekorps v. Beseler für den Weichselschutz oberhalb
Wyschegorod überwiesen. Die Gruppe von Beseler bildete
den rechten Flügel der Armeegruppe von Gallwitz, der die
Deckung des Raumes von der Weichsel bis zur Szkwa oblag.
Jenseits der Szkwa schloß dann die achte Armee des Gene-
rals von Scholtz an.
Bei der Gruppe v. Beseler erhielt die 8. Kavalleriedivision
Ende Mai zum ersten Male seit Kriegsbeginn vier volle
Ruhetage hintereinander. Endlich am 30. Mai wurde auch
die 23. Kavalleriebrigade aus dem Schützengraben heraus-
gezogen. Anfang Juni konnte hinter der Stellung bereits
das Getreide geschnitten werden. Die Pferde hatten sich
zusehends erholt, allerdings waren kaum noch fünfzig in
jeder Schwadron vorhanden von denen, die vor zehn Mo-
naten ins Feld gerückt waren.
Am 13. Juni 1915 übernahm auf Allerhöchsten Be-
fehl der General Graf von Schmettow, der bisherige Kom-
mandeur der 9. Kavalleriedivision, das Kommando über die
8. Kavalleriedivision, die zu neuer Verwendung nun voll-
ständig aus der Rawkafront herausgezogen worden war.
Auch die Frühjahrsbestellung wurde mit größtem Eifer durch-
Bereits am 14. Juni begann der Abtransport nach der
Nordspitze Ostpreußens. Auf ihrem Ruhmegzuge durch ganz
Kurland werden wir die Division wiedersehen.
Zuvor soll aber noch ein Bild der großen Taten des
Feldmarschalls von Hindenburg entworfen werden, welche
dem Kurlandfeldzug vorausgingen.
Die Winterschlacht in Masüuren
(Skizze 46)
Als der Generalfeldmarschall v. Hindenburg im Sep-
tember 1914 nach Südpolen aufbrach, übertrug er den
Schutz von Ostpreußen dem General der Infanterie v. Below
mit etwa 60 odo, später 100 Ouo Mann. Diese fanden
Anlehnung an der großen, vorsorglich bereits vorher in
Ausbau genommenen Abwehrstellung, welche von Tilsit in
drei Gruppen entlang der Inster—Angerapplinie (I. Gruppe)
und der Masurischen Seenkette (II. Gruppe) bis zu
1. J Q 4 1.
der reinen Feldstellung Neid 9—Soldau g
(III. Gruppe) verlief. Diese Stellung sperrte ausreichend
die drei wahrscheinlichsten Vormarschräume vom Niemen
(Kowno—Grodno), vom Bobr (Osowiec) und vom un-
teren Narew aus.
Dao Mißverhältnis der Zahl — 100 ooo Deutsche gegen
rund 250 d00 Russen unter General Sievers — und des
zu deckenden Raumes, dessen Breite 165 km betrug, mußte
die Person des Führers, dem die schwere Aufgabe an-
vertraut wurde, ausgleichen.
Der Generalfeldmarschall v. Hindenburg hat in der Wahl
seiner Unterfeldherren bis zum Kriegsende nicht einen Fehl-
griff getan. Ganz zu schweigen von seinem geistesgleichen
Generalstabschef, dem Generalleutnant Ludendorff, reihen
sich Namen wie v. Eichhorn, v. Mackensen, Gallwitz, Scholtz
und v. Below würdig den stolzesten Namen der preußischen
Heeresgeschichte an die Seite. Der Selbstlosgroße fand
die gleichgearteten Mitarbeiter, welche z. B. der auf seine
Generale eifersüchtige Bonaparte sich nie in seinen Mar-
schällen heranzubilden verstanden hat, eine Hauptursache
für das schließliche Versagen seiner großzügig begonnenen
Feldherrnlaufbahn.
Die Russen schoben nach dem Abzug Hindenburgs all-
mählich wieder ihre Front bis Ostpreußen vor und hielten
im winterlichen Stellungskampf, der oft durch kräftige
Teilvorstöße unterbrochen wurde, eine befestigte L#nie eng
vor der deutschen besetzt. Die russische Stellung begann
im Norden östlich von Tilsit an der Szeszuppe und ver-
lief von da ab in nordsüdlicher Richtung, und zwar west-
lich des Schoreller Forstes, östlich von Gumbinnen, westlich
von Goldap, östlich von Lötzen und Johannisburg bis an
den Misseck. Diesem Flusse folgte sie als zurückgebogener
Flügel etwa bis zur Landesgrenze.
General v. Below hielt seine Hauptkräfte hinter der
Inster und Angerapp zusammen. Weiter südlich wurden
nur die Engen zwischen den Seen stark besetzt, hauptsächlich
die Enge bei Lötzen und die Paprodtker-Berge zwischen Lö-
wentin= und Spirdingsee. Belows rechter Flügel am und
im Johannisburger Forst bestand nur aus schwachen Be-
obachtungstruppen.
Gleichzeitig wie Hindenburg seine Winteroffensive auf
dem äußersten linken Flügel von Ostpreußen aus ansetzte,
ging auch das ganze österreichisch-ungarische Feldheer im
Naume von der oberen Weichsel bio zur Bukowina zur
Offensive über.
Diese letztere verlief günstig. Die Hauptpässe der Kar-
pathen wurden bis auf den Ouklapaß zurückgewonnen, die
Bukowina wurde befreit und Czernowitz am 17. Februar,
demselben Tage, an welchem Hindenburg die Vernichtung
der russischen zehnten Armee im Walde von Augustow
zu Ende führte, besetzt.