dem russischen Abmarsch allmählich Rückzug und schließlich
bopflose Flucht. In der Nacht zum 12. Februar trat Tau-
wetter ein und der unheimliche zähe Morast der vernachlässig-
ten russischen Landwege fesselte und verschlang schließlich
Heer und Troß, wie bei Tannenberg fünf Monate vorher
Sumpf und See.
Vergebens opferten sich in und bei Lyck sibirische Kern-
truppen zur Deckung des russischen Rückzuges auf. Bis
zum 14. Februar hielten sie an den Seeengen um #yck
stand. In meisterhaftem Zusammenarbeiten unter Belows
Leitung durch ein Korps und eine Landwehrdivision von
Norden und Westen und das Korps v. Falk von Bialla her
umfaßt und von Abschnitt zu Abschnitt zusammengedrängt,
rettete das sibirische Korps nur Reste nach dem Riesen-
schlupfwinkel der Russen im Walde von Augustow. Dieser
Riesenforst wurde zum Grabe des ganzen Russenheeres.
Nur schwache Trümmer wurden in den folgenden Tagen,
teilweise nach verzweifelter Gegenwehr, entwaffnet.
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In vollendeter Weise war die Einkreisung trotz unbe-
schreiblicher Hemmnisse, welche Witterung und Bodenbe-
schaffenheit dem Feldherrn neidisch entgegenstemmten, ge-
lungen. Planmäßig standen am 15. Februar Litzmann um
Augustow, Below um Raczki und Suwalki und Eichhorn
um Seiny. 110 000 Gefangene mit 300 Geschützen, 200
Maschinengewehren und unzähligem Kriegsgerät waren das
Ergebnis des kaum zehntägigen Feldzuges.
Immer gewaltiger hatte der Feldherrngenius seit Tannen-
berg seine Jiele gesteigert, schon jetzt auf dem Wege zur
Unsterblichkeit ein Feldherr ohnegleichen.
Sein hochgemuter Kriegsherr, unser von seinen Sol-
daten in unbeschreiblicher Begeisterung umjubelter Kaiser
beglückwünschte noch mitten im Kampfe in dem eben er-
stürmten Lyck sein siegreiches Heer. Nie hat ein Volk in-
brünstiger Gott gedankt und seinem Kaiser, der einen Hin-
denburg fand und hielt, dem Vaterlande zu Rettung und
Sieg.
Die Verteidigung der ostpreußischen Südfront vom Herbst 1014 bis Mai 1015
Die Südgrenze Ostpreußens zwischen der Weichsel und
dem Masurenland war nach der Tannenbergschlacht dem
General v. Zastrow mit verhältnismäßig wenig Truppen
zur Sicherung anvertraut worden. Ein russischer Vormarsch
auf Osterode—Deutsch-Eylau mußte Osipreußen vom
Reiche abschnüren. Das russische Bahnnetz, welches nach
OÖstrolenka am Narew allein drei Schienenwege und über
Nowo Georgiewsk auf Mlawa eine doppelgleisige Bahn her-
anführt, begünstigte eine überraschende Versammlung ent-
scheidend überlegener Kräfte.
Zunächst schreckte die Russen das furchtbare Schicksal
der ersten russischen Narew-Armee von einer Wiederholung
des Einfalls von dieser Seite her ab. Der General v. Ja=
strow konnte seine Aufgabe durch weites Vordringen über
die Grenze lösen und trug dadurch zur Unterstützung Hin-
denburgs bei seinem Entscheidungoringen in Polen im No-
vember und Dezember 1914 kräftig bei. Vor weit über-
legenen Kräften ging der General v. Jastrow dann auf die
Grenze zurück, besetzte aber kurz vor Weihnachten 1914
wieder Mlawa. Seine Truppen leisteten in fast ununter-
brochenem Kampfe das menschenmögliche.
Im Januar 1915 sammelten die Russen starke Kräfte
zwischen Mlawa und der Weichsel an. 400 oo Mann soll-
ten, ähnlich wie bei Kriegsbeginn die Narew-Armee Sam-
sonows, umfassend über die ostpreußische Südgrenze vor-
brechen. Gleichzeitig sollte von Kowno her die russische
zehnte Armee angreifen. Das Schicksal der letzteren ist
bereits bekannt.
Gegenüber diesem rechtzeitig erkannten, selbst von der
russischen Heeresleitung als „Ligantisch“ angekündigten An-
griffsplan gegen die Südgrenze Ostpreußens wurden die
dortigen Truppen nach Möglichkeit verstärkt und dem Gene-
ral der Artillerie Gallwitz unterstellt. Er sollte den rechten
Flügel der zu derselben Zeit in Masuren angreifenden Haupt-
macht Hindenburgs schützen und einen Einfall der Russen
abwehren. Gallwitz löste die Aufgabe offensiv, schob zu-
nächst seinen rechten Flügel energisch vor und erreichte
Plozk, das alsbald zu einem stark befestigten Platze aus-
gebaut wurde.
Sein weiterer Plan war, mit beiden Flügeln seiner Armee
die feindlichen Kräfte zwischen Orzyc und Weichsel zu um-
fassen, also etwa eine Tannenbergschlacht jenseits der Lan-
desgrenze herbeizuführen. Sein rechter Flügel schwenkte
hierzu weiter nach Ositen ein, sein linker Flügel sollte von
Willenberg aus den offenen rechten Flügel der Russen um-
gehen. Dieser linke deutsche Flügel gelangte auch, weit aus-
greifend, südlich um Prasnysz herum. Eine Reservedivi-
sion stürmte die Stadt. 10 coo Russen mit 36 Geschützen
und vielem Heeresgerät fielen in deutsche Hand. Aber schon
nahten zwei russische Korps aus der Festungsfront Ostro=
lenka—Pultusk, um ihrerseits den deutschen Umfassungs-
flügel einzukreisen. Letzterer wich rechtzeitig nach dem Orzyc-
bogen aus, nicht ohne vorher dem russischen Angreifer rie-
sige Verluste zugefügt zu haben.
Die Russen glaubten den Generalfeldmarschall v. Hin-
denburg selbst vor sich zu haben, warfen immer neue Kräfte
hierher und versuchten in hartnäckigem Anstürmen tagelang
in Richtung auf Soldau—MNeidenburg durchzubrechen. Der
General Gallwitz ging rechtzeitig zur Abwehr über, mit
seiner Mitte um Mlawa. Sein rechter Flügel war nach
Südwesten bis Plock vorgebogen, der linbe Flügel verlief
nach Ost-Nordost über die Höhen nördlich von Prasnysz.
„In diesen Winkel schoben die Russen Ende Februar und
Anfang März lgs ihre Truppenmassen zunächst langsam
hinein. Dann brachen diese mit unerhörter Wucht vor.“
(Kriegsberichte aus dem Großen Hauptquartier, Heft 10,
Seite 22.) Mlawa war ihr nächstes Jiel. Nach unsinniger
Menschenvergeudung seitens der Russen bei ihren wieder-
holten Sturmversuchen ging Gallwitz am 8. März zum
Gegenstoß über, der aber am 12. März nördlich von Pras-
nyfz vor neuen russischen Verstärkungen zum Stehen kam.
Der General hatte in vier Wochen fast ununterbrochenen
Kampfes zehn Korps und sieben Kavalleriedivisionen der
Russen auf sich gezogen und mußte in den Tagen vom
13. bis 23. März nicht weniger als 46 ernstere Sturm-
angriffe gegen seinen linken Flügel abwehren. Da erst
guben die Russen ihre Hoffnung, die deutschen Linien zu
durchbrechen, auf. Bei diesem Sechswochenringen in schwie=
rigstem Gelände und rauhester Jahreszeit hat die Armee-
abteilung Gallwitz 43000 Russen gefangen, 25 000 getötet
und mindestens einen Gesamtverlust von loo Mann
dem Gegner zugefügt. „Auch dieser Teil des Kriegstheaters
hat viel Leiden, hat viele Helden gesehen.“ So schließt der
Bericht des deutschen Großen Haußtquartiers (Seite 24
a. o. O.).
Der Ruckonce auf die ersten acht Monate Hindenburg-
scher Kriegsführung, auf die beiden Ooppelfeldzüge zur Be-
freiung Osipreußens und auf den Doppelfeldzug in Polen
zur Jurückwerfung der russischen Dampfwatze, zeigt als
allen gemeinsam den Grundgedanken der Vernichtungs-
schlacht. Für diese hat aber der Feldherr nicht, wie heute
schon so mancher Laie meint, ein Geheimrezept, etwa das