Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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tillerie. Der Hafenplatz Libau, bereits vor dem Kriege als 
Kriegshafen aufgegeben, war immerhin mit guten Außen- 
forts ausgestattet. Leistungsfähige Vollbahnen gestatteten 
von Riga und Wilna aus beliebige Truppenverschiebungen 
selbst größten Stils. Die Russen haben in der Folgezeit 
weitesten Gebrauch davon gemacht. 
Zunächst täuschte sich die russische Heeresleitung wohl 
über die Bedeutung des deutschen Einfalls. Sie sah in ihm 
nur ein Reiterunternehmen zur Vergeltung für den Russen- 
zug nach Memel. Erst der Widerstand und die Gegenstöße 
gegen ihre sofort herangeführten Verstärkungen belehrten 
sie eines anderen. 
Die Aufgabe, welche der Generalfeldmarschall den deut- 
schen Einfalltruppen zunächst stellte, war die Besetzung der 
Dubissalinie und Einnahme von Libau. Sie wurde dem 
Generalleutnant v. Lauenstein übertragen. Mit echt Hinden- 
burgscher Plötzlichkeit war die Einfalltruppe in wenigen 
Tagen gesammelt und gruppiert sowie alles Nötige vor- 
gesorgt, wozu auch die Verabredung mit den Ostseestreit- 
kräften unserer Marine gehörte. 
Am 27. April lols begann der Einmarsch, zunächst aus 
den äußersien Flanbenstellungen diesseits der Landesgrenze. 
Rechts ging eine Kolonne von Schmalleningken über die 
Memel vor, legte gleich am ersten Tage mit der Infanterie 
50 Kilometer zurück und erreichte mit der Kavallerie das 
rechte Dubissaufer nördlich von Nossienie. Die linke Ko- 
lonne ging von Bajohren nördlich von Memel über Kor- 
ziany vor, wo sie den ersten Widerstand schnell brach, und 
bezwang schon am ersten Tage den Miniaabschnitt trotz 
Verteidigung deoselben mit schwerer russischer Artillerie. 
Eine mittlere Kolonne ging langsamer vor. Die Wege 
waren Ende April kaum benutzbar, seitwärts derselben war 
die Vorwärtsbewegung nahezu unmöglich. 
Der Feind entzog sich der Flankenbedrohung durch schleu- 
nigsten Abmarsch auf Kielmy—Schaulen. Aber schon am 
zweiten Tage abends traf die Mittelkolonne vor Kielmy 
ein, 75 Kilometer, gleichzeitig die linke Kolonne mit ihrer 
Kavallerie bei Worny an der Seenlinie westlich Kielmy. 
Tags darauf erreichte die rechte Kolonne den Windaukanal, 
und die linke Kolonne griff mit ihrer Kavallerie bereits 
bis Trischki, 40 Kilometer westlich von Schaulen, herum. 
So waren in drei Tagen loo Kilometer nach vorwärte trotz 
der entsetzlichen Wegeverhältnisse gewonnen worden. 
Die Russen zogen mit der Bahn schleunigst nach Szadow 
und Schaulen Verstärkungen heran, aber die deutsche Kaval- 
lerie zerstörte die Anfuhrbahnen, und am vierten Tage, am 
30. April, besetzte die deutsche rechte Kolonne Schaulen und 
nahm die ellends auf Mitau fliehenden russischen Kolonnen 
und Trains gefangen. Vom Beginn des Monats Mai ab 
machte sich eine neue feindliche Truppenmacht bemerkbar, 
die von Kowno mit der Bahn herangeführt worden war. 
Gegen sie zog sich die Infanterie des deutschen Einfall- 
korps an der Dubissa zusammen. ODie deutsche Kavallerie 
setzte währenddem die Streife nordwärts fort und gelangte 
bis auf 6 Meilen an Mitan heran, die Flucht des Feindes 
allmählich in Auflösung verwandelnd. Am 2. Mai hob 
sie größere Scharen von Versprengten bei Skaiogiry — 
über 1000 Gefangene — auf, dann eilte sie an die Dubissa 
ihrer Infanterie zu Hilfe. Nur die Kavallerie der linben 
Kolonne setzte bio 2 Kilometer an Mitau heran den Sturm- 
ritt fort. 
An der Dubissa suchte der Feind vergeblich die vermeintlich 
nur schwache deutsche Infanterie zu werfen. Immer neue 
Kräfte mußte er zu ihrer Bekämpfung heranführen. 
Währenddem fiel, eine neue unliebsame Uberraschung für 
die Russen, Libau in deutsche Hand. Eine weitere deutsche 
Nebenabteilung war in zwei Kolonnen von der Reichsgrenze 
aus entlang dem Meere und weiter östlich über Schkudy auf 
Libau vorgerückt. Dessen Besatzung, eingeschüchtert durch 
eine kräftige Beschießung von der See her, die am 29. April 
einsetzte, sprengte am 6. Mai die Landforts und entfloh. 
So fiel am 8. Mai die frühere Festung Libau mit 1800 
Gefangenen, 12 Geschützen und wertvollen Vorräten in 
deutsche Hand. 
Schnell wurden deutscherseits Sicherungen etwa 50 Kilo- 
meter bis zu dem Bogen Prekuln —Hasenpot— Küste vor- 
geschoben und Libau stark gegen die Landseite ausgebaut. 
In kaum 14 Tagen war die feindliche Seefestung und der 
als solcher noch viel wichtigere Handelshafen Libau sowie 
dessen reiches Hinterland mit den sehr erwünschten Vor- 
räten an Getreide, Futter, Leder und Kriegöogerät bis heran 
an die Dubissa und die Windau erobert. 
Der Feind war gezwungen worden, immer größere Trup- 
penmassen von der Hauptentscheidung weg nach dem Nor- 
den zu ziehen, völlig im unklaren und immer mehr beunruhigt 
über Hindenburgs Ziele in Kurland. Vor diesen russischen 
Verstärkungen ging die deutsche Kavallerie allmählich auf 
die Infanteriestellungen an der Dubissa und Windau zurück. 
Nachund nachgestalteten sich die Kämpfe an der Dubissa immer 
ernster. Auf deutscher Seite wurden sie zunächst abwehrend 
mit zahlreichen kräftigen Gegenstößen geführt. Am 22. Mai 
versuchte eine neu herangeführte russische Kerntruppe, die 
1. kaukasische Schützendivision (4 Regimenter) mit der 15. 
Kavalleriedivision zusammen auf Nossienie durchzubrechen. 
Über die Dubissa zunächst vorgelassen, wurde sie am 24. Mai 
nach Hindenburgscher Art umwickelt. Nur Trümmer retteten 
sich über den Fluß zurück. In ähnlicher Weise mußte sich 
die deutsche Verteidigung während des Mai an der Windau 
gegen die immer stärker anwachsenden russischen Kräft 
wehren. 
Anfang Juni war dann die vom Generalfeldmarschall 
v. Hindenburg inzwischen bereitgestellte neue Armee unter 
dem General v. Below, welche den Namen der ruhmbedeckten 
alten „Niemen“armee fortführte, in der Lage, die deutsche 
Offensive weiter vorzutragen. Zunächst drang der rechte Fll- 
gel der Niemenarmee über die Dubissa vor, die Mitte erzwang 
den Ubergang über den Windaukanal und warf die starke 
russische Hauptmacht, welche südlich und westlich von Schau- 
len wacker standhielt, in schweren Kämpfen bei Bubie und 
Kuze (südlich bzw. westlich von Schaulen) in der Zeit vom 
12. bis 14. Juni über Schaulen hinaus zurück. 
Das war kurz die Lage, welche die sächsische Kavallerie= 
division im Juni lols bei ihrem Einrücken in Kurland 
vorfand.
	        
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