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Am Abend dieses Tages bekam die Division den Befehl,
sich nördlich der Gegna zu hartnäckiger Verteidigung ein-
zugraben. Starke feindliche Kräfte sollten, wie gemeldet
war, die Absicht haben, nach Norden durchzubrechen. Ein
Angriff fand indessen nur gegen Infanterieregiment 107,
den äußersten rechten Flügel der Division, statt. Stärkere
Angriffe gegen die links neben der 58. Infanteriedivision
stehende 2. Infanteriedivision wurden von dieser abgewie-
sen. In der Nacht zum 22. September zogen die Russen
auf Soly zu ab.
Während der Kämpfe der letzten Tage war der rechte
Flügel der russischen Armee nördlich von Wilna eingedrückt
worden, die Russen hatten ihre starken Stellungen westlich
Wilna und diese Stadt selbst aufgegeben. In Wilna war
als erste deutsche Truppe die sächsische Landwehrbrigade
Graf Pfeil am 18. September eingerückt. Die Russen hatten
sich dann, wie zuvor geschildert, mit starken Kräften gegen
die deutsche Uunsissun Ggeuppe gewandt. Naturgemäß waren
dadurch bei Wilna starke deutsche Kräfte freigeworden. Diese
frontal von Westen her nachdrängen zu lassen, lag keinerlei
Interesse für die deutsche Kampfleitung vor, wohl aber die
baldmögliche Verstärkung der linken Umfassungögruppe,
gegen welche die Russen ihre noch verfügbare Gesamtkraft
alsbald vereinten. Auch deutscherseits wurde bereits vom
18. September ab alles, was sich an der Westfront frei-
machen ließ, hinter der Front entlang nach dem linken deut-
schen Umfassungsflügel gezogen, so am 18. September die
31. Infanteriedivision und die Division v. Zenker, tags
darauf die 115. Infanteriedivision, am 20. September die
42. und 75. Reservedivision. An diesem Tage übernahm
das ebenfalls nach Osten überführte Generalkommando des
XXI. Armeekorps die Führung über die östlichen Divisionen,
während die westlichen Divisionen des deutschen Umfassungs-
flügels dem I. Armeekorps unterstellt wurden bzw. blieben.
Am 21. September rückte die 77. Neservedivision hinter der
5#S. Infanteriedivision, mit der sie später am äußersten
Heeresflügel sich wiedersah, nach Osten. Heereskavallerie-
korps 6 hatte bereits am ls. September Smorgon im
Sturme genommen und sich damit in Besitz der Bahnlinie
Wilna—Minsk gesetzt. Am 16. September nahm es auch
Soly und zerstörte zum 20. September die Bahnen Molo-
detschno—Minsk, Molodetschno—Polozk und Minst—Smo-
lens— Moskau.
Eine deutsche Kavalleriedivision wurde nach vergeblichem
russischen Angriff auf Molodetschno vor stark überlegenen
feindlichen Kräften am 18. September etwas zurückgenom-
men. Das Heereskavalleriekorps 6 hielt zwei volle Tage
den Angriff eines ganzen Armeekorps aus und wich erst
am 20. September angesichts einer starken russischen Um-
fassung etvas auf die ihm tags zuvor zugesagte deutsche
Infanterierunterstützung zurück, welche aber erst am 20.
September in Shodsischki eintreffen konnte. Nach deren
Herankommen ging das Heereskavalleriekorps 6 wieder in
östlicher Richtung vor.
Nattrlich brachten die zahlreichen Verschiebungen der Di-
visionen nach Osten ganz außerordentliche Schwierigkeiten
in der Befehlserteilung und Befehloübermittlung mit sich.
Es war schon schwer, in jedem Augenblicke zu wissen, welche
Truppen rechts und links und wo dieselben sich befanden.
Die Kraftwagen hatten zurückbleiben müssen, auf der soge-
nannten Chaussee bei Janow nördlich von Kowno hatte man
sie am 4. September zum letzten Male gesehen, um sie erst
Anfang Oktober beim Rückmarsch nach Wilna wieder zu-
finden. So fielen diese für den modernen Befehlsverkehr
fast unentbehrlich gewordenen Hilfsmittel aus. Was in
diesen Tagen die Fernsprecher der Truppen, insbesondere
auch die Braven vom Fernsprechdoppelzug der s8. Infan-
teriedivision, geleistet haben, ist über alles Lob erhaben.
Die Diision hat während beider Russenfeldzüge täglich
Verbindung durch Fernsprecher mit der übergeordneten Be-
hörde gehabt. Was das bei den russischen Wegeverhält-
nissen und den großen täglichen Vormärschen beißt, leuchtet
wohl jedem ein. Es bam so weit, daß nachts die Ver-
bindungsoffiziere und Adjutanten des Divisionöstabes reiten
mußten, um den Korpsbefehl an andere Divisionen, die
ihren Ansehluß noch nicht hatten fertigstellen können, zu
überbringen. Auch ist es fast stets noch im Verlaufe der
Nacht erreicht worden, daß die Verbindung mit den Bri-
gaden durch den Fernsprecher der Division aufgenommen
werden konnte.
Besonders aufreibend war auch die Tätigkeit der ein-
zigen Eskadron, 4. Ulanen 18, über welche die Division
verfügte. Sie mußte mehr als die Hälfte ihrer Pferde
täglich für Befehls= und Meldeübermittlung an die Stäbe
der Infanterie abgeben, da auch der Verkehr der Radfahrer
bald vollständig unmöglich wurde. Der Rest der Eskadron
war Tag und Nacht auf Patrouillen und hat hervorragend
gut auch im Aufklärungedienst gearbeite.
Am Morgen des 23. September erhielt die Division den
Befehl, nach Osten abzumarschieren, und erreichte nach un-
endlich beschwerlichem Marsche durch sumpfige Wälder Shod-
sischhi an der Wilia, am 24r September die Gegend von
Woisiom und am 25. September mit dem Anfang Koste-
newitschi.
Am 23. September abends trat die Division in den Ver-
band des XXI. Armeekorps über. Bei Kostenewitschi stand.
sie hinter der 77. Reservedivision. Sübdöstlich der 88. In-
fanteriedivision stand das Heereskavalleriekorps v. Gar-
nier und sperrte die Wilia. Bereits am 26. September wurde
die Division, da die feindlichen Angriffe gegen die deutsche
Kavallerie immer siärker wurden, östlich der 77. Reserve-
division eingesetzt und bildete nunmehr den äußersten linken
Flügel der deutschen Truppen, die östlich Wilna mit der
Front nach Süden standen. Der größte Teil der §8. Divi-
sion wurde zwischen der Orpianka und dem Serwetsch in
unübersichtlichem Waldgelände eingesetzt. Nur zwei Ba-
taillone des Reserve-Infanterieregiments 120 bauten zum
Schutze der großen Straßenbrücke über den Serwetsch einen
Brückenkopf auf dem östlichen Flußufer aus, der dem jenseits
des Serwetsch stehenden Kavalleriekorps als Rückhalt diente.
Am 27. September verstärkte der Feind seine Angriffe, auch
meldete das Kavalleriekorps starke russische Angriffe auf
Dolhinow und das Erscheinen stärkerer feindlicher Kolonnen
von Nordosten her in der Gegend von Budslaw. Am
27. September früh schlug das Infanterieregiment 107 mit
seiner letzten Reserve die fortgesetzten russischen Angriffe
ab. Das Generalkommando des XXI. Armeekorpo stellte
infolgedessen der Division das Infanterteregiment 97, seine
Korpsreserve, zur Verfügung. Es wurde bei Jerchi bereit-
gestellt. Bereits an Abend des 26. September war auf
die Nachricht hin, daß der Feind mit starker Ubermacht an-
gegriffen hätte, die Erkundung aller in nördlicher Rich-
tung verlaufenden Wege vorgenommen worden. Die Ge-
fechtsbagagen, außer Feldküchen und Patronenwagen, wur-
den am 27. September früh in nördlicher Richtung abge-
schoben. Das ganze Benehmen der Russen, ihre äußerst hart-
näckigen Angriffe von Süden her, insbesondere auch das
Auftreten neuer russischer Kräfte nördlich bei Budslaw,
ließ ihre Absicht erkennen, die am weitesten vorgeschobenen
Teile der deutschen Umfassungogruppe ihrerseits zu um-
fassen und möglichst einzukreisen. Deshalb wurde der s§#.
Infanteriedivision am 27. September 1 Uhr mittags der
Abmarsch nach Norden befohlen. Gleichzeitig hatten die
77., 75. und 118. Reservedivision den Abmarsch in nord-
westlicher Richtung angetreten. Die Schwierigkeit lag im
Loslösen vom Feinde, der seine Angriffe fortwährend er-
neuerte. Trotzdem gelang es durch allmähliches Heraus-
ziehen der einzelnen Verbände nach Eintritt der Dunkelheit