Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Eingreifen der Kriegsamtstelle in die militärisch-wirtschaft- 
lichen Verhältnisse des Korpsbezirks nie eine Meinungs- 
verschiedenheit zwischen Generalkommando und Kriegsamt- 
stelle zutage treten. Die Anzahl der Offiziere und des 
sonstigen militärischen Personalt überwog die Zahl der 
Zivilbeschäftigten um ein bedeutendes, infolgedessen war der 
ganze Befehlsapparat der Kriegsamtstelle rein militärisch, 
wodurch eine straffe Durchführung der militärischen und 
wirtschaftlichen Verordnungen erleichtert war. Gleich mit 
der ersten Einteilung der Kriegoamtstelle erfolgte auch die 
Organisation der sogenannten „Hilfsreferate“, welche im 
Gegensatz zu der systematischen oder stofflichen Gliederung 
eine örtliche Verteilung darstellte, den Korpsbezirk in An- 
lehnung an die Bezirke der Kreishauptmannschaften in 
vier Bezirke gliederte und an dem Hauptort eines jeden 
Bezirkes je einen örtlichen Vertreter der Kriegsamtstelle 
einsetzte. So entstanden die Hilfsreferate, später „Kreis- 
referate“ Leipzig, Chemnitz, Zwickau und Plauen, welche 
im Laufe der Zeit ein großes Arbeitsgebiet erhielten und 
hohe Bedeutung gewannen. Während die Zurückstellungs- 
abteilungen bei vielen Generalkommandos nicht in die 
Kriegsamtstelle eingegliedert waren, sind bei dem hiesigen 
Generalkommando die „„urückstellungen im kriegswirt- 
schaftlichen Interesse“ dem Arbeitsgebiete der Kriegsamt- 
stelle überlassen worden, was als eine sehr glückliche Maß- 
nahme bezeichnet werden muß. Denn diese Zurückstellungen 
hängen sowohl unmittelbar mit der Kriegslage als auch 
direkt mit der Wirtschaftslage der Kriegsindustrie zusam- 
men. Keine andere Stelle aber war so gut in der Lage, 
die jeweiligen Verhältnisse so zu beurteilen wie die Kriegs- 
amtstelle. Infolgedessen konnte hier am ehesten erreicht 
werden, daß die widerstreitenden Interessen des Heeres 
und der Kriegswirtschaft in Einklang gebracht wurden. 
Da die Kriegsamtstelle durch ihre Kreisreferenten und 
die Frauenarbeitsnebenstellen ihre Organisation bereits über 
den ganzen Korpsbereich verbreitet hatte, war es eine 
logische Folgerung, daß ihr vom stellvertretenden General= 
kommando die Beobachtung und Bearbeitung der gesomten 
innerpolitischen Verhältnisse übertragen wurden. Auf diese 
Weise war es ermöglicht, die Kenntnisse der Verhältnisse 
der Korpobezirks in hohem Grade zu erweitern und un- 
verzüglich auf Grund dieser Ergebnisse die entsprechenden 
Maßnahmen zu treffen. In der weiteren Verfolgung dieses 
Zielis wurde der Kriegsamttstelle schließlich auch der Auf- 
klärungsoffizier vom stellvertretenden Generalkommando 
überwiesen, was zur Gründung einer eignen Aufklärungs-= 
abteilung führte. Somit war die Kriegs amtstelle nicht nur 
in der Lage, die Stimmung in Arbeiterkreisen kennenzu- 
lernen, sondern sie konnte auch unmittelbar durch eine syste- 
matische Aufklärungstätigkeit beeinflussend wirken. 
Der hiesige Korpebezirk beherbergt auf verhältnismäßig 
kleiner Bodenfläche große Menschenmengen. Deshalb war 
es nur natürlich, daß gerade hier die Ernährungslage im 
Kriege häufig zu wünschen übrig ließ und aus diesem 
Beweggrunde Unruhen bei der Arbeiterschaft ausbrachen. 
In den meisten Fällen war die Kriegsamtstelle jedoch durch 
ihre Vertrauensorgane über die beabsichtigten Streiks orien- 
tiert, so daß sie alle vorübergehenden Mittel, die im Gegen- 
satz zu dem dauernden Streikabwehrmittel der Aufklärung 
stehen, sofort anwenden konnte. Derartige Maßnahmen 
bestanden hauptsächlich in Besprechungen mit den Arbeits- 
gebern und Arbeitsnehmern zwecks Verhinderung von 
Streiks, Vermittlung in Lohnangelegenheiten und Be- 
mühungen um bessere Ernährungsverhältnisse. Bei schon 
ausgebrechenen Streiks wurden zunächst ebenfalls Ver- 
handlungen mit den Parteien gepflogen. Waren diese Be- 
mühungen erfolglos, so wurden die zurückgestellten Arbeiter 
umgehend eingezogen. Im äußersten Falle wurde die Mili- 
tarisierung der Betriebe angedroht und schließlich ange- 
ordnet. Die Maßnahmen zur Militarisierung der Betriebe 
sind der Kriegsamtstelle ausdrücklich und ausschließlich vom 
stellvertretenden Generalkommando übertragen worden. 
Auch mit den Nachbarkorps wurden in allen übergreifenden 
Fragen die nötigen Abmachungen getroffen. 
4. Schluß 
Nachdem mun diese Beschreibung der kriegswirtschaft- 
lichen Organisationen, die allerdings sehr kurz gehalten 
werden mmüßte, weshalb häufig nur die wesentlichsten Punkte 
hervorgehoben werden konnten, beendet ist, wäre noch kurz 
die Frage zu streifen, ob die getroffenen Maßnahmen 
zweckmäßig gewesen sind. Nachdem der Krieg aus- 
gebrochen war und unsere Friedensversuche zu keinem Er- 
folge führten, blieb uns nichts anderes übrig, als mit 
allen Mitteln einen glücklichen Ausgang des Waffenganges 
zu erstreben. Leider kann jetzt nicht mit berechtigtem 
Stolze gesagt werden daß durch die planmäßige Leitung 
von Wirtschaftskräften, die vor dem Kriege nur ihren 
eigenen Gesetzen folgten, ein gut Teil zum Siege bei- 
getragen ist, aber es muß doch darauf hingewiesen werden, 
daß die schließliche militärische Niederlage keine Folge 
wirtschaftlichen Zusammenbruchs war. Freilich haben die- 
jenigen ganz recht, welche sagen, daß wir den Krieg aus 
wirtschaftlichen Gründen schon früher hätten aufgeben müs- 
sen, wenn nicht alles kunstvoll geregelt worden wäre, und 
daß wir dann jetzt nicht vor den geleerten Scheunen stän- 
den. Aber brauchte denn das Völkerringen diesen Ausgang 
zu nehmen? Ist denn jetzt alles gut, was früher schlecht 
war? Ist dann in dem Sinne nicht jeder ein die All- 
gemeinheit schädigender Kriegsverlängerer gewesen, der 
Kriegsanleihe gezeichnet oder nur einen Schuß gegen unsere 
Feinde abgefeuert hat? 
Die Maßnahmen sowohl des Generalkommandos als 
auch des Kriegsamtes sind häufig angegriffen worden, 
auch von berufenen Vertretern des Handelsstandes. 
Es ist verständlich, daß einem Kaufmann, der einen 
großen Vorrat an Ware besaß und diese infolge be- 
hördlicher Verfügung nicht zu jedwedem Preise verkaufen 
durfte, die anordnende Behörde nicht allzu sympathisch 
war. Aber das Kriegsamt hatte die Interessen der Gesamt- 
beit zu vertreten. Der Fabrikant, welcher kriegswichtige 
Gegenstände herstellte und auf Freigabeschein hin die be- 
nötigten Materialien zu einigermaßen annehmbaren Preisen 
beziehen konnte, wird wesentlich anders geurteilt haben als 
sein Nachbar, dem die freie Verfügung über seltene und wich- 
tige Waren entzogen wurde. Freilich soll nicht verkannt wer- 
den, daß hier und da Anlaß zu Klagen vorhanden gewesen 
sein mag. Aber den Grund ausschließlich oder zum großen 
Teil bei den Behörden zu suchen, ist sehr kurzsichtig. Es 
fehlte eben an Erfahrung zur Erledigung solch schwieriger 
Aufgaben, wie sie uns die harte Kriegszeit mit ihrem 
Mangel an Arbeitskräften und Material aufzwang. Die 
Hauptursache für die Mißstände aber lag darin, daß es 
in einem solchen Kriege überhaupt unmöglich ist, die vielen 
komplizierten Vorgänge so zu leiten, daß alles reibungs- 
los vonstatten geht. Kein Mensch, und sei es der größte 
Organisator, wird eine solche Aufgabe zur völligen Zu- 
friedenheit aller Beteiligten lösen können, zum mindesten 
nicht in Kriegszeiten, in denen ein Warenhunger auf allen 
Gebieten besteht und sich die Verhältnisse fast von Tag zu 
Tag ändern. Was möglich war, ist von den bestehenden 
Organisationen geleistet; es ist auch dafür gesorgt, daß 
die Erfahrungen, welche auf wirtschaftlichem Gebiete ge- 
macht worden sind, nicht verloren gehen. Hoffen wir, daß 
das deutsche Volk sie wenigstens für kriegerische Zwecke 
nicht zu verwerten braucht. 
  
Dr. K. Sewering 
 
	        
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