Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Feldgeistlichen hier nicht behandelt werden kann, so soll doch 
die freudige Bezeugung nicht fehlen, daß sich von Anfang 
bis zum Ende ein rücksichtsvolles, freundliches Verhältnis 
zwischen katholischen und evangelischen Feldgeistlichen ge- 
zeigt hat und daß gewiß beide Teile mit innerlicher Achtung 
und Hochschätzung an die Arbeit der anderen zurückdenken. 
Der Bericht soll zuerst in zusammenfassender Darstellung 
in die pfarramtliche Tätigkeit einführen; sodann mögen 
Einzelberichte der Mannigfaltigkeit der Erfahrungen gerecht 
werden. 
Wohin mag der Zug uns führen — so fragt alles nach 
der „Einschiffung“ —, gen Osten gegen Rußland oder gen 
Westen gegen Frankreich? Nur einer im Zuge weiß es, und 
dessen Mund bleibt pflichtgemäß geschlossen. Aus den 
Städten, die wir berühren, ersehen wir aber bald die Rich- 
tung. Es geht nach dem Westen. Erst später haben einige in 
unserer Division erfahren, warum und unter welchen Um- 
ständen wir so schnell nach dem Westen befördert worden 
sind. Der Franzose war im Elsaß in den Wasgaubergen 
vorgedrungen und sollte gehemmt werden. Anstatt der öster- 
reichischen Kaiserjäger, die bei Italiens unsicherer Haltung 
nicht nach Deutschland abgegeben werden konnten, mußten 
unsere Ersatzregimenter die Wacht an der Wesifront halten 
helfen — an Stelle der ausgebildeten Gebirgstruppe unsere 
älteren Leute aus dem Flachlande und das gegen die fran- 
zösischen Alpentruppen. Bei der Hinfahrt ahnten wir die 
schwere, nötige Aufgabe noch nicht, allein was auch kom- 
men mochte, die Menschenmassen an den Straßenüber- 
gängen sollten nicht umsonst singen: „Lieb Vaterland, magst 
ruhig sein“ und die Kinder wie das liebe, alte Mütterchen 
dort aus dem Fenster sollten uns nicht umsonst vertrauens- 
voll zugewinkt haben. Nach drei Tagen waren wir am 
Ziel, westwärts Straßburgs, der teuer erkauften deutschen 
Stadt, deren Münsterturm wie ein deutscher Mahnfinger 
aus Vätertagen in die Luft ragt. Es begann bald ein müh- 
samer Vormarsch in die Waagautäler hinein. Jede Nacht 
um 1 Uhr marschieren wir weiter. Die ersten drei Wochen 
erforderten achtzehn, teilweise recht schwere Gefechte. Die 
Mühen und Schpwierigkeiten dieses Gebirgskrieges! Die 
französischen Alpenjäger saßen oben in den Baumkronen 
versteckt, und das Gebirgsgelände ist ohne Ubersicht. Aber 
vorwärts kamen wir, wenn auch mit schmerzlichen Ver- 
lusten. Schließlich lagen wir mit einer Brigade unmittel- 
bar vor St. Dié und hatten die Meurthe im Rücken. 
Was konnte der Feldgeistliche in solcher Lage tun? Auf 
der Bahnfahrt saß er lange zwischen einem Pionierbataillon, 
das mit dem Stabe im selben Zuge fuhr, und bald fanden 
sich einige Pioniere, die schon in den Kolonialkriegen, in 
China und Südwestafrika mit ihm zusammen gewesen 
waren. Das bald allgemeiner werdende lebhafte Gespräch 
flog von der Heimat, von Haus und Herd nach der West- 
front voraus. Bei den sofort nach der Ausschiffung ein- 
setzenden Kämpfen und Nachtmärschen mußte ich mich auf 
meinen Dienst bei den Verwundeten, auf möglichste Be- 
stattung der Gefallenen und auf persönliche Fühlungnahme 
mit einzelnen Truppenteilen beschränken. Der Divisions- 
kommandeur ermöglichte mir den schnelleren Uberblick über 
die Verbandplätze und die Gefechtslage, indem er mir auf 
meine Bitte gestattete, stets auch zum Gefecht beim Stabe 
mitzureiten. Da ich schon in zwei Kriegszügen hatte Er- 
fahrungen sammeln können, wurde meine Bitte gewährt. 
Ohne diese Vergünstigung hätte ich die Verbandplätze nicht 
so zeitig erreichen und meinen ganzen Dienst nicht so aus- 
giebig anstreben können. Blutige, unvergeßliche Bilder. In 
einem lothringischen Dorfe z. B. ist die Schule, das Pfarr- 
haus, der Garten ganz mit Verwundeten bedeckt. Welche 
Arbeit leisten unermüdet die zwei Arzte! Manchem Schmach- 
tenden kann auch der Geisiliche mit einer herbeigeholten 
Labung dienen. Beim Verbinden braucht er aber hier seine 
geringe Nothilfe nicht zu leisten; die ärztliche Kraft be- 
wältigt trotz allem die Arbeit. Sonst haben die Divisions- 
pfarrer in Friedenszeiten eine ärztliche Unterweisung er- 
halten und diese während eines langjährigen Berufslebens 
in den mancherlei Lazarettstationen mehren können. Aber 
für seinen eigentlichen Beruf ist jetzt Zeit und Kraft voll- 
auf nötig. Dort sagt ihm ein in den Unterleib schwer ge- 
troffener Hauptmann mit leiser Stimme seine Weisungen 
für alle Fälle. Neben ihm hat sein Kamerad, schwerver- 
wundet, aber seine Schmerzen zurückdrängend, dienstliche 
Mitteilungen, die der Pfarrer an den Stab bringen soll. 
Viele wollen Feldpostkarten für die Angehörigen. Der Pfar- 
rer hat sich mit den Karten versehen und übernimmt die 
Beförderung der wieder eingesammelten. Ist es stiller ge- 
worden und sind alle oder die meisten Verwundeten ver- 
bunden, so kann der Feldgeistliche zu kurzer Stärkung das 
Wort nehmen — wenn Umstände und Stimmung dazu 
passen. Er spricht kurz, ganz menschlich, ganz kamerad- 
schaftlich und ganz christlich. Was ist jetzt ein Bibelwort, 
ein Choralvers wert! Das leise Stöhnen einzelner wird 
stiller. Was ist da los? unterbrach ihn anfango ein Schwer- 
verletzter, der bei seinem Verbande schlecht sehen kann — 
dann hört er still zu und dankt leise: „Ach, ist das köst- 
lich!“ Von einem zum andern gehend, neben diesem und 
jenem zu leiser Aussprache niederkniend, andere gemeinsam 
ansprechend, das Taschenbuch für mancherlei Aufträge in 
der Hand — so hat der Geistliche seinen Rundgang ge- 
balten. Doch sind schon wieder neue Dutzende eingeliefert. 
In einer Pause geht er zum nahen Friedhofe zu den Ge- 
fallenen oder den an ihrer Verwundung Verschiedenen. 
Trauriges Wiederfinden der Divisionsgefährten! Auch Brü- 
der von anderen Regimentern sind dort eingeliefert worden 
und erhalten ihre Gräber neben den anderen. Wenn es geht, 
in Einzelgräbern, sonst in einer Sammelgruft. Diese Tränen- 
saat für Deutschlands Freiheit! 
Die ernsten Tage wiederholen sich. Je weiter wir in 
Frankreich vordringen, desto ernster. Ostwärts wie west- 
wärts der Meurthe hatten wir tägliche, überaus blutige 
Kämpfe. Dort stehen wir namentlich mit Württembergern 
zusammen, und auf dem Hauptverbandplatze liegen zu 
Hunderten Schwaben und Sachsen zusammen. Da kein 
württembergischer Feldgeistlicher anwesend sein konnte, ge- 
hört mein Dienst auch den württembergischen Brüdern. 
Plötzlich wird die hochgelegene Kirche, die wie alle um- 
liegenden Gebäude voll Verwundeter ist, unter französisches 
Granatfeuer genommen. Nur schnell und mit Vorsicht kann 
man ein= und ausschlüpfen. Und die gefährdeten Schwer- 
verwundeten dort, die nicht bei einer Feuerpause schnell 
fortgeschafft werden können! Sie müssen beruhigt werden 
— die Arzte verbinden und operieren weiter. Wie lange 
mag das gehen? Dann läßt das Geschützfeuer wieder nach. 
Die Division hatte eine Linie erreicht, daß ihr ein Ruhe- 
tag vergönnt werden konnte. Diese durfte zu kurzen, etwa 
halbstündigen Gottesdiensten ausgenutzt werden. Doch ohne 
jede Anspannung der Truppe. Wie immer die Kämpfer 
waren, ohne peinliche Rücksicht auf die Uniform, so konn- 
ten sie teilnehmen. Ob sie stehen oder lagern wollten, war 
gleich. Der Pfarrer reitet von einem Bataillon zum an- 
dern; überall war die Feier dringend erwünscht. So sangen, 
hörten und beteten wir, und einige hundert Gefangene 
konnten aus der Ferne zuschauen. Sie wurden übrigens 
ohne jede unnüte Härte behandelt; in den Gruppen Deut- 
scher, die sich um die Franzosen drängten, fiel kein häß- 
liches Wort. Als der dritte Gottesdienst gehalten wurde, 
begann ein stärkeres feindliches Geschützfeuer auf die Stel- 
lung der Division und die von ihr eroberten Orte. Das 
Feuer kam auch dem in Deckung angetretenen Bataillon 
näher, und wir mußten daher zum Schlusse eilen. Noch
	        
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