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großen Bärten. Als erstes Lied sangen wir das trutzige
Lutherlied „Ein feste Burg“. Wie das klang! Es war ein
Erlebnis, dieser Gesang auts 800 Männerkehlen und Män-
nerhergen. Es klung so urgewal:ig. Mir war's, als bebten
dabei Mauern und Pfeiler des Gotteshauses; die Fenster
klirrten leise. Die tiefste Seele wurde erschüttert. Oben auf
dem Orgelchor der französische Geistliche! Ich sehe ihn
noch: das blasse Angesicht weit vorgebeugt. die kohlschwar-
zen Augen weit aufgerissen, als staune er über diesen Ge-
sang, der wie ein Orkan brauste, wie eherner Glockenschall
stürmte. Er muß es seinem Amtsnachbar in Namécourt
erzählt haben. Als ich dort ein paar Tage später Gottes-
dienst hielt, ließ mich der Ortopfarrer bitten, ich möchte
ihm die Beteiligung am Gotteodienst gestatten, er wolle
gern einmal die deutschen Soldaten singen hören.
Noch eins: das 3. Bataillon 101 war müde, durchfroren,
abgekämpft aus der Hölle der Sommesschlacht auf ein paar
Tage nach Mesnil-St.-Nicaise in Ruhe gelegt worden. Am
ersten Nuhetag erbat es und erhielt es einen Gotteodienst,
der vielen ein Herzensbedürfnis war. Wir stimmten zuerst
das Paul Gerhardtsche „Befiehl du deine Wege“ an. Hin-
ein grollte unablässig von vorn das Trommelfeuer der
Schlacht, die Fenster klirrten immer wieder schrill nach
dem Einschlag schwerer Granaten, mit denen der Franzose
die Dörfer vorn und die Batteriestellungen abstreute. Wie
doch so ein Lied in solcher Lage zum Herzen redet, und wie
es gesungen wird! Es wirkt wie eine Offenbarung tiefster,
berzbewegender und herzerhebender Gedanken Gottes.
Hinterher gestand mir ein Kriegsfreiwilliger, ein junger
Lehrer, wie ihm dies Lied einmal innerlich geholfen habe.
Er hatte Goethes Faust in der Tasche, als er in den
Schützengraben ging. Aber unter dem Trommelfeuer der
Sommeschlacht empfand er blar: der Faust kann dir jetzt
nicht helfen, er kann dir keine innere Kraft geben, die du
so notwendig brauchst. Einmal, an besonders schweren Stun-
den, wo er mit dem Leben schon abgeschlossen hatte und
Bangen und Zagen sich seiner bemächtigte, ist ihm auf ein-
mal das Lied in der Seele aufgeklungen: Befiehl du deine
Wege. Er sagte sichs Vers für Vers vor und spürte, wie
aus den Worten des Lieds Kraft in sein Herz strömte. Er
bekannte: „Vorher ließen mich die Worte völlig kalt, jetzt
fühlte ich tief, was für ein Reichtum und für eine Kraft
in den schlichten Worten liege.“
Die allgemeine kriftige Bet:iligung unserer Sachsen am
Kirchengesang, die Sicherheit in der Melodie, auch die Be-
herrschung des Textes vieler Lieder war mir ein Beweis,
daß Schule und Kirche ihre Pflicht getan und dem jungen
Volk in manchem alten schönen Kirchenlied einen wertvollen
Schatz mitgegeben hatten, der draußen im Feld seinen Wert
offenbarte.
Aus der Frühjahrsoffensive 1018
O. Niedner, Dieisionspfarrer a. D. der 24. Infanteriedivision
Es war der Befehl erlassen: „1. Angriffstag ist der
21. März, die Infanterie greift 9, 15 vormittags an. Leit-
batterien standen vorn auf festem — vielfach betoniertem —
Untergrund, die eingeschossen waren, die anderen fuhren
dann bloß daneben auf und empfingen von ihnen die Schuß-
korrekturen. Die feindlichen Linien — alles klappte vor-
züglich — wurden schon am 21. viele Kilometer tief ein-
gedrückt, leider hielten, wie man später erfuhr, mehrfach
englische Proviantämter und Verpflegsmagazine die vor-
wärtosiürmenden Kompagnira wirkungsvoller auf als feind-
liche Geschütze und Maschinengewehre, und es ist manchmal
für die Offiziere schwer gewesen, die Leute, die sich an lange
nicht gesehenen Herrlichkeitten — Schokolade, Cornedbeef,
Schinken, eingemachten Früchten — gütlich taten und Tor-
nister und Brotbeutel damit vollstopften, wieder herauszu-
bringen und zum Weterrücken zu bewegen. Die 7 1. In-
fanteriedivision hatte sich, wie nicht anders zu erwarten,
wieder — besondero bei Irles — glänzend geschlagen. Divi-
sionöpfarrer Klesse und ich befanden und zu unserem leb-
haften Mißvergnügen — aber Befehl ist Befehl — am
26. mittags noch in Sailly westlich Cambrai bei der großen
Bagage. Wir fieberten förmlich danach, zu unseren Trup-
pen oder doch wenigstens in deren Nähe zu kommen. End-
lich, kurz vor 2 Uhr nachmittags erfuhren wir, daß das
Feldlazarett 7, dem wir uns für diesen Fall anschließen
sollten, in einer Viertelstunde nach Beaulancourt bei Ba-
paume abrücke, um dort eingesest zu werden.
In fliegender Eile wurde eingepackt, aber mit dem An-
spannen ging es doch nicht ganz so schnell, das Lazarett
war abgerückt, ehe wir fertig waren, wir mußten und den
Weg allein suchen, über Bourlon — das wundervolle,
wuchtige Schloß Bourkon mit seinen mächtigen Ecktürmen
zeigte in Dach und Mauerwerk klaffende Löcher —, hinter
dem Ort lagen die ersten Toten am Weg, meist deutsche
Soldaten, die Achselstücke trugen die Nummern 107, 104,
56 — Moevre, Boursies, Beugny und Villers-au-Flos.
Ungeheure Massen an Material liegen herum, Stapel an
Stapel englischer Granaten; an den Straßenrändern, wo#
gestürmt worden ist, finden sich auffällig viel deutsche
Stahlhelme verstreut. In dem Nuinenort Beaulancourt
— es ist inzwischen 9,30 abends und stockdunkel gewor-
den — ist bein Lazarett zu finden. Aber eine leidlich er-
haltene englische Baracke, in der schon Mannschaften der
Straßenpolizei untergekommen waren, nahm uns auf.
Sie ist zugig und es ist bitterkalt. Ich kann trotz des
Schlafsackes die ganze Nacht vor Kälte nicht schlafen. Am
27. früh finden wir das Lazarett in bisher englischen Laza-
rettbaracken recht gut untergebracht. 293 Verwundete sind
vorhanden, die meisten recht schwere. Etwa ein Viertel von
ihnen sind Engländer. Von unserer Dioision der brave
Kompagnieführer der 9. Kompagnie Infanterieregiment 179
Hauptmann Müller mit hoffnungolosem Bauchschuß, der
in seinen Fieberphantasien sich immer noch des wunder-
vollen Vorwärtsstürmens seiner Leute freut. Leutnant Klotz,
auch Bauchschuß, selbst ganz hoffnungsvoll, manchmal ge-
radezu ärgerlich über die ängstliche Besorgnis der Arzte, der
Tüchtigsten einer — auch er hat diese Stätte des Todes nicht
lebend verlassen — dann noch 4 oder §s Offiziere und
etwa 60 Mann.
Im Aufnahmezelt sind 120 Verwundete, die seit zwei
Tagen sich im Lazarett befinden und noch kein warmes
Essen bekommen haben, zwischen ihnen irrt lise jammernd
ein erblindeter Engländer herum. — Uber Kübel mit Ent-
leerungen und Haufen blutiger Garderobestücke stolpert der
Fuß. Zwischen den Lebenden liegen vereinzelt Tote, die zum
Teil schon am Tage vorher gestorben waren, aber es war
noch keine Kraft verfügbar gewesen, sie wegzuschaffen.
Einen Toten haben unsere Leute hinausgetragen, der schon
vor vier Tagen gestorben war. Betrat man den Raum,
und genau so war es bei allen anderen Lazarettzelten, so
schrien 3o S.immen, l##e und laut, flehend und wütend.
Fast jeder hatte ein Anliegen, der wollte Wasser, der andere
ein Stechbecken, den dritten drückte der Verband, einer hatte
seit zwii Tagen nichts im Magen, der mit der zerschossenen
Hand bat eine Karte zu schreiven an seine alte Mutter da-
heim, viele froren, ihnen konnte geholfen werden, es lagen
ja Hunderte von schönen englischen Wolldecken draußen im
Gelände herum, man rannte hinaus und kam mit einem
tüchtigen Armvoll zurück. Groß war die Sehnsucht nach
etwas Rauchbarem — hätte ich nur mehr Zigarren für die
große Offensioe mitgenommen! Die loo, die ich im Koffer
hatte, waren zu schnell vertan. Für ein Weilchen vergißt
wohl jeder Verwundete, dem man eine Zigarre zwischen die
Zähne stecken kann, seine Schmerzen. Ja, wenn es bloß