Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

daran gefehlt hätte, viel übler war, daß in den ersten Tagen 
auch das Wasser, das 3/4 Stunde weit mit dem Wasser- 
wagen geholt werden mußte, recht knapp war, ich erinnere 
mich, in einem Verwundetenzelt einen kleinen Krug Wasser 
ausgeteilt zu haben, wobei leider einige schwerverwundete 
Engländer, die auch sehr darum baten, leer ausgehen muß- 
ten, und hatte doch nur jeder von den deutschen Kameraden 
einen Schluck bekommen. Das Schlimmste aber war, daß 
sehr bald jeder Abtransport stockte. Am 27. wurden noch 
einmal 175 Transportfähige von den Panka-Wagen ab- 
geholt, dann hörte der Abschub nach rückwärts auf viele 
Tage auf, und wer's nicht mit erlebt hat, kann sich nur 
schwer eine Vorstellung machen, was das bedeutet. Auto 
auf Auto bringt seine traurige Ladung von zerschossenen 
Männern herein und schließlich ist kein Durchkommen, es 
fehlt an Armen zum Tragen, an Händen zum Verbinden, 
an Arzten zum Operieren. Die Verbände können nicht oft 
genug nachgesehen werden und die furchtbare Gasphleg- 
mone schleicht. wie ein Wehrwolf durch das Lazarett und 
schlägt dort ein Opfer und dort eins — oft gar nicht so 
schwer Verwundcete, daß — 
sie jählings erliegen. So 
ging es uns dort. 
Am 28. flutcte ein 
großer Strom von Ver- 
wundeten den ganzen 
Tag in das Feldliharn, 
darunter viele 133er; 
das Rcgiment hat vor 
Serre schwer geblutet. 
Ein Engländer wird ver- 
bunden, dem die Gra- 
nate das ganze Gesicht, 
Augen, Nase, Oberlippe 
weggenommen hat. 
Die Wärter fühlen 
ihre Arme nicht mehr, 
sie haben zu tragen aus 
den Autos in die Aufnahme, von dort in die Opera- 
tionoräume und dann wieder in die verschiedenen Belte, 
zeitweilig spanne ich mich mit ein und trage eine 
Stunde mit — schwere Arbeit! Fatal ist, daß wir hier 
englische Tragbahren haben, die Boe#rundeen müssen also 
immer erst auf eine andere Bahre gelegt werden, damit 
das Auto von der Front seine richtigen, die allein hinein- 
passen, wiederbekommt, das kostet Zeit und Kraft und den 
armen Verwundeten viele Schmerzen. Manches Auto muß 
eine Stunde und länger warten, ehe es entladen werden 
kann, und vorn wacten doch noch so viele mit Schmerzen 
darauf, vom Kampfgelände und seinen Schrecken in hel- 
feende Hände zu kommen. Man möchte 100 Hände haben. 
Ich teile Suppe und Kaffee aus, füttere die Schwerver- 
wundeten — den Leutnant, dem beide Hände zerschossen 
sind — es fehlt an Eßgeschirren, ich suche mir in dem einen 
verlassenen großen Engländerzelt einen Stoß zusammen, 
wasche sie in einem Trog, in dem alter Kaffee oder etwas 
Abnliches ist, und nun können wieder 30 Hungrige ihre 
Haferflockensuppe bekommen. Einer nötigt mir ein Stück- 
chen von einem großen englischen Schinken auf, den er in 
Vélu erbeutet hat. Man deckt Frierende besser zu, beruhigt 
einen Jammernden, so gut es geht, vertröstet einen, dem 
es zu lange dauert, bis der Arzt sich um ihn kümmert, 
wieder ein Weilchen, der Leutnant, dem die Hände zerschossen 
sind, bricht sich und will dann zu Stuhle, es ist kein Mensch 
in der Baracke, um dabei mitzuhelfen, er muß gesäubert 
und dann mühsam, damit man ihm nicht weh tut, auf 
das Becken gehoben werden. 
In der Aufnahme wird eg am Abend immer übler. Nun 
fehlt es auch noch an Licht. Zwischen stöhnenden und wim- 
  
Friedyof vei Batterie Premesques (links: Eingang in das Fort) 
380 
mernden Menschen tastet man sich umher. Schrecklich ist, 
daß die Armen, die sich im Lazarett geborgen meinen, viele 
Stunden, manchmal linger als ½ Tag warten müssen, 
ehe die erste bilfreiche Hand sich ihrer annimmt. Dabei 
arbeiten die Arzte wie die Pferde, besonders der treffliche 
Chirurg, Oberstabsarzt Meyer, operiert bis in den grauen- 
den Morgen hinein, läßt sich in den Pausen der Arbeit, 
um nicht umzufallen, ein paar Bissen in den Mund schie- 
ben und ein Glatz Wein an die Lippen halten. Leichtver- 
wundete werden tunlichst gar nicht erst aufgenommen, son- 
dern gleich nach dem großen Munitionsdepot fünf Minuten 
westwärts von hier gewiesen, um mit einem leeren Muni- 
tionsauto nach Cambrai zu kommen. Zu dem allen suchen 
Geschwader feindlicher Flugzeuge uns heim, in der einen 
Nacht haben sie in der Umgebung des Lagers 30 Bomben 
geworfen, doch gewinnen wir schließlich den Eindruck, daß 
sie das Lazarett, in dem sich ja auch noch Engländer be- 
finden, bewußt aussparen. Fängt man von den Kämpfen, 
die sie miterlebt haben, an zu sprechen, so kommt aller- 
dinas fast immer bei den Verwundeten ein Stück gute Laune 
= zum Durchbruch. Die 
Offensive ist ja doch cben 
das eigentliche Elcment 
des deutschen Soldaten. 
eAnd dann: was hat der 
Infanterist sonst auf die 
Arie geschimpft, dicsmal 
zjat sie ihre Sache gut 
jemacht, ganze Arbeit ge- 
leistet; was übrig blicb, 
das trieben die deutschen 
Bataillone vor sich her, 
die in ruligem Schritt 
in das feindliche Maschi- 
rengewehrfeuer hinein- 
schritten, „wie haben wir 
sie gejagt!“ Fürf Tanks 
griffen beim Infartcrie= 
regiment 179 an, wurden von ver Begleitbatterie mit elf Schuß 
erledigt und gingen in Flammen auf. „Was war das für ein 
Hallo bei den Kameraden.“ Mit Schmunzeln erzählten sie auch 
von den erbeuteten englischen Vorräten, Schokolade, Jucker, 
Corned beef, Jigaretten, Tee, Sei ife u. a. schönen Dingen. 
Mancher hat sich einen Vorrat davon auch ins Laarett mi:- 
gebracht. Aber die meisten haben diese Herrlichkeiten doch 
legn lassen mürsen und sind besonders betrübt darüber. — 
In besonders schlimmer Erinnerung ist mir der Karfrei- 
tag, ich fühlte mich manchmal lebhaft erinnert an die Schil- 
derung der Lazarette nach der Schlacht bei Leipzig. Bei 
drei Offizieren — zwei davon mit Bauchschuß — war von 
früh 9 bis 5 Uhr nachmittags kein Mensch, kein Arzt 
oder Wärter gewesen, weil sie alle Hände voll zu tun 
hatten, die Neuankommenden zu versorgen. Die Kranken- 
träger und -wärter fingen übermüdet an apathisch zu wer- 
den, gingen wohl auch einmal, wenn sie angerufen wurden, 
weiter und ließen den Verwundeten schreien. Es bostete 
Mühe, zu beruhigen und den Kameraden erklärlich zu 
machen, daß nicht böser Wille, besonders nicht böser Wille 
ihres hiesigen Pflegepersonals an diesen unmöglichen Verhält- 
nissen schuld sei. Manche wurden wütend: „Da schlagt mich 
lieber Fleich mit dem Kolben auf den Schädel, hier kommt 
man ja elend um.“ Doch das waren Ausnahmen, die meisten 
blieben in bewundernswerter Weise geduldig und vernünftig. 
Am Abend dieses Tages begrub ich 16 Kameraden, die 
wieder ihren Wunden erlegen waren, darunter 6 133er, 
2 139er und 1 179er. Am 2. Osterfeiertag waren es 35, 
zwei Tage später noch einmal 12. Ein würdiger kleiner 
Friedhof war neben dem Lazarett angelegt worden und trotz 
der Not der Zeit haben wir die Beerdigungen so feierlich
	        
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