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gehalten als sonst, und es fand sich auch immer eine kleine
Schar Kameraden ein, die daran teilnahm.
Am Ostersonnabend suchten mein katholischer Kollege
Klesse und ich viele Stunden den Stab der Division. Wir
wollten versuchen, am andern Tag den Truppen einen
kurzen Ostergottesdienst zu halten; endlich erfuhren wir,
er sei in Frémicourt; außen auf dem Schmutzblech eines
Lastautos stehend, kamen wir dort hin, fanden den Stab
und ich verabredete einen allgemeinen Gottesdienst für die
ganze Division an der Kirchenruine von Frémicourt. Er ist
nicht gehalten worden, wie so viele, um die man sich be-
müht hatte, weil die Truppen inzwischen schon wieder ganz
woanders waren. Vor und nach dem Abendbrot arbeitete
ich in der kleinen engen Arztebaracke unter 8—10 sich
unterhaltenden Herren an meiner Osterpredigt, ich wollte
am anderen Vormittag von Baracke zu Baracke gehen, von
Zelt zu Zelt und möglichst allen Kameraden im Lazarett
einen Ostergruß bringen, ich habe sie aber dann doch nur in
den beiden größten Baracken gehalten, die leibliche Not
trat auch an diesem Ostermorgen so flehend und so erschüt-
ternd an mich heran, daß ich es nicht weiter fertig brachte,
Worte zu bringen statt Taten, daß ich Predigt Predigt sein
ließ und Kaffee trug, bequemer betten half, Briefe schrieb
und da und dort ein gutes tapferes Wort an den Mann
brachte. Um Gottes Wort zu hören, gehört eine gewisse
innere Sammlung dazu, das große Elend ließ es dort nicht
dazu kommen. Und doch habe ich niemals weniger in den
vier Jahren, die ich im Felde stand, das Gefühl gehabt,
überflüssig zu sein, als dort im Feldlazarett zu Beaulan-
court, wo man vom frühen Morgen bis Mitternacht Ge-
legenheit hatte zu helfen und jeder Handgriff, den man
tat, einem braven Kameraden in seinem Leiden ein wenig
Erleichterung brachte.
Eins möchte ich noch erwähnen: In der Nacht zum
2. April ging es mit meinem lieben Freunde, dem Haupt-
mann Wolfgang Müller aus Plauen, ". Kompagnie In-
fanterieregiment 179, zu Ende. Still und mit gefalteten
Händen hatte er zugehört, wie der sterbende Sergeant Rein-
hold Kupfer aus Krieritzsch, 2. Kompagnie Pionierregiment
Nr. 22 das noch erbetene heilige Abendmahl feierte. „Ich
fühle es, daß ich sterben muß, Herr Pfarrer, und ich will
nicht so dahinfahren“ — als ich dann noch mit ihm sprach,
seine fieberheiße Hand in meinen Händen, da bat er noch
um einen Schluck Wein; seit Tagen hatte er gedürstet —
das erschütternde Schicksal der Bauchschüsse — denn ein
Trunk kostet ihnen das Leben. Man sah, daß er ein Ver-
scheidender war, und ich hätte ihm so gern noch diese Bitte
gewährt, ich hatte noch eine Flasche Abendmahlswein in
meinem Koffer: ich ging zum Cbefarzt und fragte ihn —
er hat's nicht erlaubt und er hatte natürlich recht damit.
Vielleicht siegt in looo solchen Fällen doch einmal das
Leben über den Tod. Die 999 müssen für den einen mit
varsten Und für dich haben sie gedürstet, deutsehes Vater-
and:
Laß die kalten Lippen zu uno sprechen,
wenn wir einst der Zukunft Früchte brechen,
daß wir sie mit reinen Händen heben
und der Toten wert sei auch das Leben!
Am Abend seines Todestageo beim letzten Gold der unter-
gehenden Sonne habe ich ihn zu seiner Ruhe gebettet.
Am 4. April wurde dao Feldlazarett abgelöst und rückte
nach Cambrai ab, wie viele, denen man zuvor in den Zelten
und Baracken abschiednehmend noch einmal die Hand ge-
drückt hat, wird man in diesem Leben nicht wiedersehen.
Wir beiden Dioisionopfarrer gingen nicht mit nach hinten,
sondern traten zur Sanitätskompagnie über, um in den
nächsten Wochen auf dem Hauptverbandsoplatz den fechten-
den Truppen etwas näher zu sein.
Dienst am Großkampftage
Von Dimisionspfarrer Buddensieg
Schon in der Nacht kamen Scharen von Fliegern als seine
Vorboten. Die Kolonnenwege und Straßen zur Front wer-
den von ihren Maschinengewehren abgestreut, klatschend
schlagen einzelne Geschosse auf der Talsohle unseres Haupt-
verbandplatzes auf. Und mit dem Schlag secho Uhr früh
bricht vorn ein mörderliches Feuer los. Da gibt es keine
Ruhe mehr auf dem Lager im verdunkelten Unterstand.
Schnell in die Kleider und hinunter zum Zelt, wo unser
Fernsprecher schon den Hörer am Ohr hat. Er wiederholt
die Meldung vom Sanitätsunterstand: „Bitte, Reserve-
patrouillen bereit halten, es wird schlimm heute. Fran-
zosen und Farbige greifen beim Dreieckswäldchen an.“ Und
nun klingelt der Apparat sofort nach hinten zum Divisions-
und Korpsarzt, nach den Krankenkraftwagen. In unruhigem
Warten sitze ich mit unseren Arzten bis zum Mittag untätig
herum. Da kommen die ersten Verwundeten über den
Berg zu uns herunter geschritten, müde, verstaubt, mit
blutigen Kleidern und Verbänden. Jetzt gibt es Arbeit für
uns. Zunächst im Verbandzelt. Bald aber liegen sie still
und erschöpft auf den Tragen des großen Verwundeten-
zeltes, wo ich an ihr Lager trete. Viel fragen, ach, das
kann man nicht bei denen, die soeben aus dem todesernsten
Erleben von vorn gekommen sind. Wie armselig kommt
sich gerade in solchen Augenblicken der Feldgeistliche vor
mit seinen Worten, die anderen so oft als leere Worte er-
scheinen müssen. Aber als mich suchende Blicke grüßen:
„Herr Pfarrer, Sie waren doch noch gestern bei uns im
Hohlweg“ und es nun an ein Erzählen geht, wo auch die
anderen einfallen, da ist die Brücke zu den Herzen wieder
geschlagen. Freilich zu langem Verweilen komme ich kaum.
Denn jetzt kommen die ersten Wagen von vorn mit den
„Schweren“. Leise trete ich an die Tragen heran, reiche
dem einen einen frischen Trunk und streiche dem andern
über sein blasses Gesicht. Dann nach einigen Stunden sehe
ich sie frisch verbunden oder ausgeruht in den Zelten wieder,
und dann kann man es hin und wieder schon einmal wagen,
mit 'ner Zigarette die müden Lebensgeister auffrischen zu
helfen. Ich setze mich mit Bleistift und Postkarten zu
ihnen: „Soll ich für euch nach Hause schreiben?“ Da
heben sich viele müde Arme und Augen. Rührend ist es,
wie gerade die Schwerverwundeten bitten, daß man vor-
sichtig nach Hause schreiben soll, damit die Mutter, die
Frau sich ja keine Sorge machen, man käme ja nun ins
Lazarett und vielleicht gar — in die Heimat. In den kur-
zen Pausen ordne ich die Karten, manchmal heißt es eine
ernste Notiz, manchmal ein ermunterndes Wort hinzu-
fügen. Der Feldprediger hat ja auch schwere Seelsorger-
bpflichten an den Angehörigen seiner Kameraden. Da kommt
schon der Gräbenunteroffizier: „Herr Pfarrer, es sind fünf
Beerdigungen da, die Leute sind tot eingeliefert, einer ist
auf dem Transport hierber gestorben.“ Und während der
Geistliche auf dem schlichten Friedhof seines Amtes waltet,
der droben am Bergeshang schnell angelegt ward für die
Gefallenen des Hauptverbandplatzes, kommen und gehen
unten die Wagen mit ihrer blutenden Last. Das letzte
Auto hat eine lange Blutspur nach sich gezogen. Einem
unserer braven Krankenträger, der vorn aus dem Feuer-
bereich Verwundete zurücktrug, hat eine Granate das Bein
abgerissen. Der Verband ist durchgeblutet. Wachsbleich
wird der Armste aus dem Wagen gehoben und von den Ka-
meraden der Sanitätskompagnie umringt, die ihm alle
irgendeinen Liebesdienst erweisen möchten. Dazu donnert
es vorn ununterbrochen weiter, bis endlich gegen Abend
Stille eintritt. Gott sei Dank, der Kampf steht. Wohl ist
der Feind vorgekommen, aber die Unseren stehen immer
noch jenseits der Avre, ja wir halten sogar noch den Hohl=