Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

390 
gehalten als sonst, und es fand sich auch immer eine kleine 
Schar Kameraden ein, die daran teilnahm. 
Am Ostersonnabend suchten mein katholischer Kollege 
Klesse und ich viele Stunden den Stab der Division. Wir 
wollten versuchen, am andern Tag den Truppen einen 
kurzen Ostergottesdienst zu halten; endlich erfuhren wir, 
er sei in Frémicourt; außen auf dem Schmutzblech eines 
Lastautos stehend, kamen wir dort hin, fanden den Stab 
und ich verabredete einen allgemeinen Gottesdienst für die 
ganze Division an der Kirchenruine von Frémicourt. Er ist 
nicht gehalten worden, wie so viele, um die man sich be- 
müht hatte, weil die Truppen inzwischen schon wieder ganz 
woanders waren. Vor und nach dem Abendbrot arbeitete 
ich in der kleinen engen Arztebaracke unter 8—10 sich 
unterhaltenden Herren an meiner Osterpredigt, ich wollte 
am anderen Vormittag von Baracke zu Baracke gehen, von 
Zelt zu Zelt und möglichst allen Kameraden im Lazarett 
einen Ostergruß bringen, ich habe sie aber dann doch nur in 
den beiden größten Baracken gehalten, die leibliche Not 
trat auch an diesem Ostermorgen so flehend und so erschüt- 
ternd an mich heran, daß ich es nicht weiter fertig brachte, 
Worte zu bringen statt Taten, daß ich Predigt Predigt sein 
ließ und Kaffee trug, bequemer betten half, Briefe schrieb 
und da und dort ein gutes tapferes Wort an den Mann 
brachte. Um Gottes Wort zu hören, gehört eine gewisse 
innere Sammlung dazu, das große Elend ließ es dort nicht 
dazu kommen. Und doch habe ich niemals weniger in den 
vier Jahren, die ich im Felde stand, das Gefühl gehabt, 
überflüssig zu sein, als dort im Feldlazarett zu Beaulan- 
court, wo man vom frühen Morgen bis Mitternacht Ge- 
legenheit hatte zu helfen und jeder Handgriff, den man 
tat, einem braven Kameraden in seinem Leiden ein wenig 
Erleichterung brachte. 
Eins möchte ich noch erwähnen: In der Nacht zum 
2. April ging es mit meinem lieben Freunde, dem Haupt- 
mann Wolfgang Müller aus Plauen, ". Kompagnie In- 
fanterieregiment 179, zu Ende. Still und mit gefalteten 
Händen hatte er zugehört, wie der sterbende Sergeant Rein- 
hold Kupfer aus Krieritzsch, 2. Kompagnie Pionierregiment 
Nr. 22 das noch erbetene heilige Abendmahl feierte. „Ich 
fühle es, daß ich sterben muß, Herr Pfarrer, und ich will 
nicht so dahinfahren“ — als ich dann noch mit ihm sprach, 
seine fieberheiße Hand in meinen Händen, da bat er noch 
um einen Schluck Wein; seit Tagen hatte er gedürstet — 
das erschütternde Schicksal der Bauchschüsse — denn ein 
Trunk kostet ihnen das Leben. Man sah, daß er ein Ver- 
scheidender war, und ich hätte ihm so gern noch diese Bitte 
gewährt, ich hatte noch eine Flasche Abendmahlswein in 
meinem Koffer: ich ging zum Cbefarzt und fragte ihn — 
er hat's nicht erlaubt und er hatte natürlich recht damit. 
Vielleicht siegt in looo solchen Fällen doch einmal das 
Leben über den Tod. Die 999 müssen für den einen mit 
varsten Und für dich haben sie gedürstet, deutsehes Vater- 
and: 
Laß die kalten Lippen zu uno sprechen, 
wenn wir einst der Zukunft Früchte brechen, 
daß wir sie mit reinen Händen heben 
und der Toten wert sei auch das Leben! 
Am Abend seines Todestageo beim letzten Gold der unter- 
gehenden Sonne habe ich ihn zu seiner Ruhe gebettet. 
Am 4. April wurde dao Feldlazarett abgelöst und rückte 
nach Cambrai ab, wie viele, denen man zuvor in den Zelten 
und Baracken abschiednehmend noch einmal die Hand ge- 
drückt hat, wird man in diesem Leben nicht wiedersehen. 
Wir beiden Dioisionopfarrer gingen nicht mit nach hinten, 
sondern traten zur Sanitätskompagnie über, um in den 
nächsten Wochen auf dem Hauptverbandsoplatz den fechten- 
den Truppen etwas näher zu sein. 
Dienst am Großkampftage 
Von Dimisionspfarrer Buddensieg 
Schon in der Nacht kamen Scharen von Fliegern als seine 
Vorboten. Die Kolonnenwege und Straßen zur Front wer- 
den von ihren Maschinengewehren abgestreut, klatschend 
schlagen einzelne Geschosse auf der Talsohle unseres Haupt- 
verbandplatzes auf. Und mit dem Schlag secho Uhr früh 
bricht vorn ein mörderliches Feuer los. Da gibt es keine 
Ruhe mehr auf dem Lager im verdunkelten Unterstand. 
Schnell in die Kleider und hinunter zum Zelt, wo unser 
Fernsprecher schon den Hörer am Ohr hat. Er wiederholt 
die Meldung vom Sanitätsunterstand: „Bitte, Reserve- 
patrouillen bereit halten, es wird schlimm heute. Fran- 
zosen und Farbige greifen beim Dreieckswäldchen an.“ Und 
nun klingelt der Apparat sofort nach hinten zum Divisions- 
und Korpsarzt, nach den Krankenkraftwagen. In unruhigem 
Warten sitze ich mit unseren Arzten bis zum Mittag untätig 
herum. Da kommen die ersten Verwundeten über den 
Berg zu uns herunter geschritten, müde, verstaubt, mit 
blutigen Kleidern und Verbänden. Jetzt gibt es Arbeit für 
uns. Zunächst im Verbandzelt. Bald aber liegen sie still 
und erschöpft auf den Tragen des großen Verwundeten- 
zeltes, wo ich an ihr Lager trete. Viel fragen, ach, das 
kann man nicht bei denen, die soeben aus dem todesernsten 
Erleben von vorn gekommen sind. Wie armselig kommt 
sich gerade in solchen Augenblicken der Feldgeistliche vor 
mit seinen Worten, die anderen so oft als leere Worte er- 
scheinen müssen. Aber als mich suchende Blicke grüßen: 
„Herr Pfarrer, Sie waren doch noch gestern bei uns im 
Hohlweg“ und es nun an ein Erzählen geht, wo auch die 
anderen einfallen, da ist die Brücke zu den Herzen wieder 
geschlagen. Freilich zu langem Verweilen komme ich kaum. 
Denn jetzt kommen die ersten Wagen von vorn mit den 
„Schweren“. Leise trete ich an die Tragen heran, reiche 
dem einen einen frischen Trunk und streiche dem andern 
über sein blasses Gesicht. Dann nach einigen Stunden sehe 
ich sie frisch verbunden oder ausgeruht in den Zelten wieder, 
und dann kann man es hin und wieder schon einmal wagen, 
mit 'ner Zigarette die müden Lebensgeister auffrischen zu 
helfen. Ich setze mich mit Bleistift und Postkarten zu 
ihnen: „Soll ich für euch nach Hause schreiben?“ Da 
heben sich viele müde Arme und Augen. Rührend ist es, 
wie gerade die Schwerverwundeten bitten, daß man vor- 
sichtig nach Hause schreiben soll, damit die Mutter, die 
Frau sich ja keine Sorge machen, man käme ja nun ins 
Lazarett und vielleicht gar — in die Heimat. In den kur- 
zen Pausen ordne ich die Karten, manchmal heißt es eine 
ernste Notiz, manchmal ein ermunterndes Wort hinzu- 
fügen. Der Feldprediger hat ja auch schwere Seelsorger- 
bpflichten an den Angehörigen seiner Kameraden. Da kommt 
schon der Gräbenunteroffizier: „Herr Pfarrer, es sind fünf 
Beerdigungen da, die Leute sind tot eingeliefert, einer ist 
auf dem Transport hierber gestorben.“ Und während der 
Geistliche auf dem schlichten Friedhof seines Amtes waltet, 
der droben am Bergeshang schnell angelegt ward für die 
Gefallenen des Hauptverbandplatzes, kommen und gehen 
unten die Wagen mit ihrer blutenden Last. Das letzte 
Auto hat eine lange Blutspur nach sich gezogen. Einem 
unserer braven Krankenträger, der vorn aus dem Feuer- 
bereich Verwundete zurücktrug, hat eine Granate das Bein 
abgerissen. Der Verband ist durchgeblutet. Wachsbleich 
wird der Armste aus dem Wagen gehoben und von den Ka- 
meraden der Sanitätskompagnie umringt, die ihm alle 
irgendeinen Liebesdienst erweisen möchten. Dazu donnert 
es vorn ununterbrochen weiter, bis endlich gegen Abend 
Stille eintritt. Gott sei Dank, der Kampf steht. Wohl ist 
der Feind vorgekommen, aber die Unseren stehen immer 
noch jenseits der Avre, ja wir halten sogar noch den Hohl= 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.