Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

weg. So berichtet man mir in den Zelten, und jeder weiß 
dazu etwas Besonderes zu erzählen. Da drin herrscht bis 
in die späte Nacht „Großkampfstimmung“, immer aufs 
neue wiederholt dort der junge Rekrut sein Erlebnis mit 
dem ersten Tankangriff gegen unsere schwere Batterie und 
dem Anlauf des Franzmannes dahinter und wie der dann 
doch nicht vorwärts kam, und wie unsere Wenigen zum 
Gegenstoß ansetzten und ihn dort wieder hinauswarfen, 
wo er schon festen Fuß gefaßt batte. So geht das Er- 
zählen, Fragen und Antworten ohne Unterbrechung fort, 
immer neue Zugänge strömen herein in die großen Zelte. 
Und immer wieder will einer wissen, wo der Fritz, der 
Paul und alle die anderen von seiner Gruppe geblieben 
sind und wie es zuletzt vorne ausgesehen hat, ob das 
„Zeug“ noch heil zurückkam oder ob der Franzmann, „das 
Gelumpe“ sich auf die andere Seite holte. Denn was be- 
deuten dort vorn Habseligkeiten? Heute mir, morgen dir, 
so denkt der Soldat von seinem Gut wie von seinem Leben. 
Erst lange nach Mitternacht wird es still in den Zelten, 
nur hier und da stöhnt einer unter seinen Wunden. Ich 
reiche dem einen den Trinkbecher und glätte dem andern, 
der mich noch immer mit weitoffenen, erregten Augen an- 
blickt, die heiße Stirn. Dann gehe ich hinauf nach meinem 
unterstand zwischen den dunklen Kiefern, über denen die 
bellen Sterne stehen und unsichtbar die Flieger schnurren 
und brummen. Mein Bursche hat das kleine Lämpchen 
auf den rohen Brettertisch an die Wand gestellt und sorg- 
sam mit Dachpappe Fenster und Tür abgeblendet, daß 
kein verräterischer Lichtstreif feindlichen Fliegern den Weg 
weist. Ich aber kann nicht schlafen, sondern ziehe draußen 
an die Kiefern gelehnt mit meinen Gedanken durch all 
den Jammer der Zeit und übers Sternenzelt hinauf zu 
dem, der allen Jammer stillt. Um Mitternacht ist es vorne 
still geworden, an der Front schweigen endlich die Geschütze; 
einige Leuchtkugeln steigen noch in die Höhe und werfen 
fahle Schimmer über die weiten Flächen. 
Da trete ich in den schwarzen Schatten meines Unter- 
standes zurück und taste mich nach meinem Lager. Einige 
Stunden mag ich geschlafen haben, da klopft unser Ober- 
arzt, der seit Mittag fast ununterbrochen am Operations- 
tisch steht, an meine Tür: „Oberleutnant H. ist eben 
schwerverwundet eingeliefert und hätte Sie gerne gespro- 
chen.“ Ich fahre in meine Kleider und eile hinunter. Tief 
erschüttert stehe ich an der Bahre im Operationsraum: 
„Mein guter H., sind Sie's denn wirklich!“ Da liegt 
der prächtige Offizier, mit dem ich manche Stunde frohen 
Erlebens teilte, der mit seinem tiefernsten Gemüt mir 
schon längst ein brüderlicher Freund geworden, mühsam 
nach Atem ringend, mit schwerem Lungenschuß auf der 
Bahre. Nur wenige tiefbewegte Worte darf ich mit ihm 
tauschen, denn er ist in ernster Gefahr, und als ich dann 
still mein Lager wieder aufsuche, gehe ich hin mit wehem 
Herzen: Herrgott, muß es denn auch dieser sein? — Gott 
sei Dank, er wird doch noch gerettet, und wenn er einst ge- 
nesen, einmal diese Jeilen in die Hand bekommt, dann 
sollen sie ihn grüßen und jene Großkampftage, die Stun- 
den der Gottesnähe wieder in seiner Seele lebendig machen. 
Auf dem Balkan 
Von Okerpfarrer Harig in Meerane 
Die Reise ging durch Serbien, Bulgarien, Mazedonien 
und Nordgriechenland, zunächst mit der Bahn über Nisch, 
durch das wildromantische Nischatal mit seinen zerklüf- 
teten Bergen, Nußbaumwäldern, Weinbergen und Mais= 
feldern, an Pirot, der bekannten Teppichweberstadt, vor- 
über, über Dragoman, der zweithöchsten Station zwischen 
Wien und Konstantinopel (750 Meter hoch), nach Sofia; 
und dann mit Auto über den Rupelpaß, Dupnica, Dschu- 
391 
meia, durch die herrliche Cresnaschlucht mit ihren vielen 
steilen, imposanten Serpentinen, unter einem eigenartigen 
Konzert von tausend und abertausend Grillen und Zirpen, 
an dem dort alles beherrschenden und die Täler bewässern- 
den Strumaflusse mit seinem roten Wasser entlang, an 
dem bistorischen Denkmal mit der Inschrift: „csche 
und Bulgaren, in diesem Weltkriege zu erneuter Waffen- 
brüderschaft vereint, nannten diesen Ort Auto-Palanka“, 
weil hier früher die großen deutschen und bulgarischen Auto- 
kolonnen standen, bevor die Kleinbahn fertig wurde, und 
an einigen in sumpfigen nassen Niederungen gelegenen 
Reisfeldern vorbei nach dem Hauptauartier der zweiten 
bulgarischen Armee „Spedi-Vrac“. Hier befand sich auch 
der Stab deutscher, der bulgarischen Armee zugeteilter Trup- 
pen unter dem Kommando eines Pionierleutnants. Monate- 
lang waren diese Truppen nicht von einem deutschen Geist- 
  
  
Zwei Eeldgeistliche 
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lichen besucht worden. Die Aufnahme im bulgarischen Ka- 
sino und vor allem beim Kommandeur der deutschen Trup- 
pen war äußerst gastfreundlich; und man bot uns bei der 
großen Hitze jede mögliche Erleichterung und stellte uns — 
ich reiste mit dem katholischen Etappenpfarrer zusammen — 
für unsere dreitägige Predigtreise ein Auto mit einem sehr 
zuverlässigen Führer. Und nun ging's an die Arbeit. Neun 
Gottesdienste wurden abgehalten; in Svedi-Vrac; Marino= 
polje, Neu-German, Demirhissar, Christos, Bagagenplatz 
bei Demirhissar, Libunowo, Petric und Nonososelo oder 
Jeni-Köh. Von da ging's über Strumitza nach Hudova 
und von dort mit Bahn über Veles und Uesküb nach Vranje 
zurück. Wir bamen auf dieser Reise bis hinunter nach 
Seres (ca. sechzig Kilometer nördlich von Saloniki) bei 
einer Temperatur von siebzig Grad Celsius in der Sonnel 
Ülberall, wohin wir kamen, waren bereits Vorbereitungen 
für die vorher telephonisch angemeldeten Gottesdienste in 
würdiger Weise getroffen, die zumeist im Freien vor Altar 
mit dem kriegerischen Schmuck der Gewehrpyramiden und 
Trommeln abgehalten wurden. Einer von ihnen bei einer 
rein sächsischen Formation in Marinopolge. Auf einem 
von Gebirgshöhen umrahmten Hügel lag ein Fliegerabwehr- 
zug, 27 Mann, lauter Sachsen, unter dem Kommando
	        
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