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heftigstes Feuer in die zwischen den brennenden Häusern
kämpfende sächsische Infanterie herüber. Zudem lebte der
Feuerkampf auch weiter rückwärts wiederholt wieder auf,
aus Büschen, aus Felsschrunden, von Bäumen und Garten-
terrassen, wo die blindwütigen Zivilschützen, aus den bren-
nenden Häusern geflüchtet, erneut den Kampf bis zum
bitteren Ende, das wohl jeder voraussah, aufnahmen.
Erst als Geschütze von beiden Feldartillerieregimentern
der 32. Infanteriedivision mit unsäglicher Mühe an den
Fluß herangebracht wurden und auf nächste Entfernung
die Häuser des gegenüberliegenden Ufers eins nach dem
anderen in Trümmer schossen, gelang es, die Pontons bis
an den Fluß heranzubringen. Beim Feldartillerieregiment 28
waren es insbesondere zwei Geschütze der 4. Batterie unter
Hauptmann Verworner, beim Feldartillerieregiment 64 zu-
nächst zwei, dann vier Geschütze der 3. Batterie unter
Hauptmann Voigtländer-Tetzner. Bald folgte auch die
1. Batterie Feldartillerieregiments 64.
„8,25 Uhr vormittags erhielt ich,“ berichtet Hauptmann
Voigtländer-Tetzner, „den Befehl, einen Zug meiner (3.)
Batterie bis an den Steilhang der Maas heranzuführen,
da aus der Kampfstellung des Regiments in den Orts-
kampf von Leffe—Dinant nicht eingegriffen werden konnte.
Ich holte den Zug selbst vor. Die Batterien lagen noch
unter Feuer. Beim Herausziehen der Geschütze aus den
Geschützständen wurde der Richtkanonier des zweiten Ge-
schützes schwer verwundet. Im Galopp ging es wie auf
dem Ererzierplatz die Waldschneisen entlang bis an das
steile Maaoufer. Im Augenblick war abgeprotzt und im
direkten Schuß sauste Granate auf Granate auf 600 m
in die Häuser von Dinant, wo unsere Infanterie noch
Widerstand fand. Das Zusammenarbeiten mit der Infan-
terie war ausgezeichnet. Mehrfach kamen Meldegänger von
vorn und bezeichneten die Häusergruppen, aus denen die
angreifenden Kompagnien hauptsächlich Feuer bekamen und
deren Zerstörung sie wünschten. Meist konnte der betref-
fende Meldegänger gleich auf den Erfolg warten und seinem
Bataillonsführer melden. Unsere Kanoniere waren mit
Feuereifer bei der Sache, ein Haus nach dem andern sank
in sich zusammen, die Besatzung, soweit sie nicht geflohen
war, unter sich begrabend. Auch Park und Schloß Bouyet
wurde auf Wunsch der Infanterie unter Feuer gehalten,
da sie von dort her stark beschossen wurde. Es war ein
Höllenlärm in dem engen Talkessel der Maas. Ich zog
noch den 2. Zug meiner Batterie vor und setzte ihn rechts
neben dem ersten ein. Wunderbarerweise bekamen die Ge-
schütze am Steilhang kein Artilleriefeuer, desto mehr zogen
sie aber das Infanteriefeuer vom anderen Ufer auf sich.
Das pfiff und sauste uns dauernd um die Ohren und
klatschte an die Schilde, so ging es stundenlang. Einige
Verwundungen, meist schwere Beinschüsse traten ein. Im
Laufe des Nachmittags kam ein Kompagnieführer der Mar-
burger Jäger, die vor uns auf dem Hange lagen, Ober-
leutnant d. N. Beutin, zu mir und forderte mich auf,
eine feindliche Maschinengewehrbarrikade zu zerstören, die
unserer Infanterie viel Abbruch tue. Ich konnte sie von
unserer Stellung aus nicht sehen, sie lag im toten Winkel.
Nach einigem Erkunden fanden wir eine Art Klippe auf
halbem Hange, wo man zur Not ein Geschütz in Stellung
bringen konnte. Es führte ein geradezu halsbrecherischer
Fußpfad dorthin. Ich sagte aber selbstverständlich zu und
tatsächlich gelang es einer Geschützbedienung unter Unter-
offizier Szemeitat, unterstützt von den 11er Jägern, das
Geschütz mit Langtauen auf der Klippe in Stellung zu
bringen, obwohl die feindliche Infanterie das Vorbringen
bemerkte und entsprechend beschoß. Nach dem sechsten Schuß
flog die Barrikade auseinander, die Bedienung war schon
vorher weggelaufen. Ein Hurra der Marburger Jäger be-
gleitete den Erfolg. Allmählich ließ mit dem Vorschreiten
unseres Infanterleangriffs das feindliche Feuer nach. Die
Batterie beschoßf noch fliehende Franzosen auf dem west-
lichen Ufer zwischen Dinant und Chestruvin.“
Nach sorgfältiger Vorbereitung gelang es der 2. Kom-
pagnie des Pionierbataillons 12 in Leffe an der Schleuße
6,45 Uhr abends die ersten Vortruppen überraschend über-
zusetzen. Es waren dies die tapferen Kurhessischen 11. Jä-
ger. Das erste Ponton bestiegen 13 Jäger mur mit Sturm-
gepäck unter dem Leutnant von Seebach. Bereits nach
einer halben Stunde war das ganze Bataillon übergesetzt.
Seine Kompagnien erstiegen sofort den Berghang am jen-
seitigen Ufer, nahmen noch 40 Franzosen gefangen, welche
einen ganz entmutigten Eindruck machten, und bildeten
dann oben auf der Höhe über Bouvignes den Brücken-
schutz für die 32. Infanteriedivision. Die Nacht war un-
gewöhnlich kalt, aber „ohne Zelte und Mäntel wärmte das
stolze Gefühl des errungenen Sieges.“ (Tagebuch Jäger-
Bataillon 11.) ·
Der Brückenschlag wurde von den Pionieren trotz feind-
lichen Feuers unter erheblichen Schwierigkeiten so beschleu-
nigt, daß noch während der Nacht der größte Teil der
32. Infanteriedivision die Maas überschreiten konnte.
Der Ortskampf in Dinant
Noch schwieriger gestaltete sich der Maas#übergang bei
der 23. Infanteriedivision. Dort fiel der 46. Infanterie
brigade unter Generalmajor von Watzdorf, dem Schützen-
regiment los und dem Infanterieregiment 182 die
schwere Aufgabe zu, die Stadt Dinant von ihren Verteidi-
gern zu säubern und den Flußübergang angesichts des am
jenseitigen Ufer stark eingebauten Feindes zu erzwingen.
Das I. Bataillon des Schützenregiments drang aus Nich-
tung der Ferme Malaise in die Stadt ein, während sich
das III. Bataillon auf der Felsterrasse der alten Feste,
dem Siegesfeld der sächsischen Jäger am 15. August, ein-
nistete und den Feuerkampf mit dem Feinde jenseits des
Flusses aufnahm. Weiter links drangen die Kompagnien
des Infanterieregiments 182 auf und beiderseits des viel-
fach gewundenen engen Steiges vor, der aus Richtung
von Herbuchenne durch eine jäh abstürzende waldige Schlucht
hinab in die Stadt führt. Hie und da“, so erzählt Ober-
leutnant d. R. Pache, der Spitzenführer beim Infanterie-
Regiment 182, „stoßen wir noch auf Spuren von Pa-
troulllenkämpfen, weggeworfene französische Tornister, fran-
zösische und belgische Käppis usw. Eine lange Vorortstraße
führt durch das enge Tal von Dinant. Bis hierher waren
bereits die Jäger und Schützen vorgedrungen; die meisten
Häuser dieses Vorortes sind Ruinen. Alles scheint wie
ausgestorben, nur oben auf dem Plateau wütet der Ge-
schützkampf. Die ersten noch wohlerhaltenen Häuser werden
rasch erbrochen und flüchtig durchsucht. Als wir an den
ersten, zusammenhängenden Häuserreihen der Stadt sind
und einen Ausblick auf die Maas, das jenseitige Ufer und
ein dort auf halber Höhe liegendes, großes, hotelähnliches
Gebäude haben, erhalten wir plötzlich von drüben heftiges
Gewehrfeuer.
Eine kleine halbfertige Barrikade ist quer über die Straße
gelegt, schnell lasse ich sie besetzen und erwidere das Feuer
aufs Geradewohl in der Richtung des Hotels. Es ver-
stummt bald und wir gehen weiter vor. Die Häuser sind alle
verrammelt und verschlossen, alle Läden heruntergelassen,
über Türen und Fenstern große, feste Bretterverschläge. Aus
einer Gartenmauertreppe springt plötzlich ein Leutnant meines
Regiments heraus, sein Zug ihm nach. Er ruft mir fröhlich
zu, glühend von Kampfeseifer. Es ist sein letzter Gruß.
Eine Stunde später fällt er im Häuserkampf. Jener
Feuerüberfall ist das Signal gewesen zum Beginn einer
tollen Schießerei. Von den jenseitigen Höhen pfeift es