Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Tagen stimmungsvolle Feier. Auf halber Höhe des Bahn- 
dammes eine Hütte mit tannenumkränztem Ausschnitt, hin- 
ter dem ein Lichterbaum sichtbar (stehend auf einem unsicht- 
baren Bierfaß), dahinter acht Kameraden, die mit Mund- 
harmonikas fein und kunsivoll die Weihnachtsweisen er- 
klingen ließen. Das Licht des Mondes sanft hernieder- 
Fließend aufs weite Feld, dem alle Schrecken des Krieges 
zu #chwinden schienen. 
Das Reitpferd ist wieder Kutschpferd geworden und 
'# geht noch nach dem Soldatenheim P#gnicourt, wo gestern 
eingetroffenen Schippern noch ein Wel.hnachtsgruß zugerufen 
wird. Innerhalb der Festtage die zwanzigste Feier. Noch 
manche folgte. Nicht wie im ersten Kriegsjahr in Kalk- 
steinhöhlen, die besonders an die Geburtsstätte des bei- 
landes erinnerten, um so mehr in Scheunen, die als Fest- 
ballen ausgeschmückt waren. Im ganzen 29 Feiern. Feiern 
nicht bloß für die feldgraue Gemeinde, auch für den feld- 
grauen Prediger. Höhepunkte seines Amtslebens, auf denen 
— manche Stimme, die nun verstummt, bezeugte es — 
Gottes Segen ruhte. 
Bilder aus meiner Arbeit bei der 24. Reserve- 
division (Dezember 1015 bis Mai 1017) und 
bei der 06. Infanteriedivision (Mai 1017 bis 
31. Dezember 1918)*) 
Von Professor Lic. Otto Schneider, ev. Divisionspfarrer der 96. J.-D. 
Die wichtigste Arbeit war für mich der Friedhofodienst: 
Auch hier wußten die Kameraden, daß der Pfarrer zu 
jeder Stunde zu haben ist. Sie selber suchten sich die Zeit 
beraus; und infolgedessen war stets die Beteiligung groß. 
42 Kameraden beerdigten wir so an einem Tage in mehreren 
Feiern (der Pfarrer war gleich auf dem Friedhof geblieben) 
an der Somme; 52 nach dem Großkampftag von Koniuchy 
an einem Sonnabendnachmittag. Stets bot ich vollen Got- 
teodienst mit voller Predigt; und auch bei strenger Kälte 
bielten die Kameraden darauf, daß ja nicht gekürzt werde, 
obwohl sonst die Regel gilt: „Über zu kurze Predigten 
hat sich noch kein Soldat beschwert.“ — Wie lebhaft be- 
teiligten sich auch die Kameraden beim Preisausschreiben 
für Heldenfriedhöfe in der Champagne! 64 Entwürfe gin- 
gen ein; weitaus die meisten von schlichter Hand. Welche 
Freude, als wir etwa in Amelles einen Waldfriedhof weih- 
ten, dessen Entwurf von zwei Kameraden stammte, die 
Maurer waren und den Preis davontrugen! Recht oft 
verlangten Kameraden oder Angehörige die Grabrede in Ab- 
schrift und dankten für die Bilder des Grabes, die wir 
ihnen zustellten, wenn es möglich war. — Wie gern ließ 
auch die Generalstabsabteilung der Division Skizzen der 
Einzelgräber anfertigen, als der Divisionspfarrer die Grä- 
berliste der Division?“) (seit Bestehen bis zur Demobil- 
machung) zusammenstellte. Es war immer ein Zeichen 
für den Geist der Kameraden, daß auch diejenigen, die 
sonst nicht allzu gut auf die Kicche zu sprechen waren, 
immer auf ein „schönes Begräbnis“ hielten. Und als 
beim Eintreffen in Brczezany der dortige Ortskomman= 
dant die Feier auf dem Friedhof verbot, weil der Ort ge- 
legentlich unter Feuer lag, ließen die Kameraden von 
Res. 133 nicht eher Ruhe, als bis dieser Befehl für uns 
  
5) Mit der 24. Reservedidision war ich in der Champagne; dann 
war die Division dreimal an der Somme eingesetzt, weiter Lei Arras, 
#opern und bei Brcecany. wg sie „im Brennpunkt der größten Abwehr- 
schlacht des Osiens“ stand. Die 96. Infanteriedivision machte im Osien 
den Großlampftag (6. Jula lei Korinuchy und den Vormarsch mit, 
durch den Galizien (efreit wurde. Sie stand am Zkrucz und kam 
im April 1018 nach Lothringen. 
tWel uch die Geschichte der 96. Infanteriedivision stellte mit Hilfe 
der Generalstalsolten der Dieisionspfarrer zusammen. Sie liegt im 
Archiv des Ministeriums für Miltärwesen. 
wenigstens erledigt war. Wir hielten ruhig unsere Feiern 
mit Musik zu einer Tageszeit ab, während deren wenig 
oder gar nicht geschossen wurde. Das ließ sich ja dort 
ungefähr „berechnen“. — Schön war auch der Brauch, 
daß von Arras ein Bataillon, solange es vorn lag, seine 
Toten zunächst in Gavrelle einsenken ließ. Dann aber, 
nach der Ablösung, kam wohl das ganze Bataillon zur nach- 
träglichen Gesamtfeier. Besonders würdig waren die Flie- 
gerbeerdigungen: Die Flieger hatten den Brauch, einander 
mitzuteilen, wer gefallen sei. Die eine Partei fragte an, 
die andere gab Antwort. So war es schon vor Arras, wo 
damals von Nichthofen kämpfte. Ahnlich vor Blämont, 
wo wir den Amerikaner Oberleutnant Jerome Gilbert be- 
erdigten: Nach dem ebangelischen deutschen Divisionspfarrer 
sprach der französische katholische Curé. Das Bild dieses 
Simultanbegräbnisses und beide Reden wurden durch das 
Note Kreuz den Eltern in Nordamerika übermittelt. Ein 
Beispiel aus dem Leben, daß Feindesliebe sehr wohl mög- 
lich und wirklich ist. Tief ergreifend war es, als bei einer 
Fliegerbeerdigung in L. der Vater des gefallenen Flieger- 
belden die drei Hände voll Erde in das Grab streute mit 
Paul Gerhards Worten, die er dazu mit fester Stimme 
sprach: 
„Die Sonne, die mir lachet, ist mein Herr Jesus Christ. 
Das, was mich singen machet, ist was im Himmel ist.“ 
Ein Beweis, daß der Osterglaube noch eine Macht ist. 
Jedenfalls hielt uns der trauernde Vater eine Grabrede, 
wie wir eine zweite nicht in diesem Kriege gehört haben. 
Die Seelsorge an den einzelnen 
Von Diovisionspsarrer Dr. Specht der 53. Reservedivision 
Für den Geistlichen hatte dies den großen Vorteil, daß 
er dadurch einen Einblick in die ganz verschiedenartigen, 
oft überaus schwierigen und aufreibenden Verhältnisse sich 
verschaffen konnte, unter denen Offiziere und Mannschaften 
leben mußten; da konnte er dann in Aussprache und Pre- 
digt unmittellar auf die Nöte eingehen, unter denen die 
einzelnen litten, und manch beruhigendes oder aufmuntern- 
des Wort an den Mann bringen. Und wenn der Pfarrer 
auch einmal in eine ungemütliche Stellung kam, und dann 
von den eisernen Morgengrüßen der Engländer oder Russen 
mitempfangen wurde, dann merkten die Kameraden, daß 
ihr Pastor die Gefahr auch nicht fürchtete; dann spöttelte 
man nicht, wenn er ihnen Mut und Furchtlosigkeit predigte, 
weil man es wußte, daß er selbst die Gefahr kannte und 
nicht scheute. 
Offiziere wie Soldaten freuten sich, wenn man zu ihnen 
kam, ob man sie in den sauberen Quartieren Frankreichs 
oder in den ärmlichen Panjehütten Galiziens aufsuchte, 
oder ob man sich einige Minuten in den engen, niedrigen 
und finsteren Unterständen zu ihnen setzte, um ihnen das 
Neueste von hinten oder Nachrichten aus der Heimat zu 
bringen. Und wenn die meisten nach harter Nachtarbeit 
in den Morgenstunden noch schliefen, dann war es dem 
Posten nur lieb, wenn man ihm einige Minuten in seiner 
Einsamkeit Gefellschaft leistete, mit ihm im Vorgelände 
Umschau hielt und nicht dienstlich, sondern kameradschaft- 
lich mit ihm plauderte. Es war ja so stumpfsinnig, dies 
tage-, wochenlange Einerlei des Schützengrabens. Und auch 
der Grabendienst, der die Laufroste kehrte oder die Wände 
abstreifte oder eingefallene Erde hinausschippte, war dank- 
bar, wenn der Pastor ihm bei seiner Arbeit kurzen Morgen- 
gruß entbot. 
Gerade im Gespräch mit den einzelnen, unbelauscht von 
andern, konnte manch ernstes Wort mit eingeflochten wer- 
den, das vielleicht unvergessen blieb und weitergetragen 
wurde. Und die man traf, sorgten dafür, daß es die an- 
dern auch erfuhren, daß der Pastor sie besucht hatte. Und
	        
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