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wieder reichliche Post aus der Heimat. Schon waren wir
im Begriff, einen leeren Laden zum Dienstraum herzu-
richten, als der Befehl kam, abzumarschieren. Weit ging
der Marsch aber nicht, die Staffel bezog vielmehr schon
in Baconnes Unterkunft. Wieder mußte die Schule als
geeigneter Arbeitsraum dienen; ganz konnte freilich an
diesem Tage nicht aufgearbeitet werden. Am nächsten
Morgen, 13. September, wurde in aller Frühe der Marsch
fortgesetzt, und beinahe wäre dabei die Feldpost vergessen
worden. Seit annähernd 24 Stunden regnete es in Strö-
men, auf furchtbar aufgeweichten Feldwegen, auf denen
die Pferde die schwer beladenen Wagen kaum fortbringen
konnten, ging es nach Vaudesincourt und von dort auf
der Landstraße über Dontrien nach St. Souplet. Da
war freilich unseres Bleibeno auch nicht lange, nur zur
Mittagsrast reichte es, dann verdrängte und das General-
kommando des 19. A.-K.
Weiter ging es auf schlechtem Wege nach St. Etienne
und von dort nach Machault. Zwar gelang eo hier, noch
eine ganze Menge fertig sortierter Beutel an Kolonnen,
Lazarette usw. auszugeben, aber die Bearbeitung der vom
Tage vorher rückständigen Post war bei der vorgerückten
Tageszeit wegen Mangels an Licht und Raum nicht mehr
möglich. Da nicht abzusehen war, wie der Marsch am
nächsten Tage — es ging plötzlich wieder westwärts —
sich gestalten würde, blieb das Feldpostamt wieder allein
zurück, um aufzuarbeiten. Gegen Abend kam wiederum
starke Post, es mußte deohalb nochmals in Machault
übernachtet und am nächsten Vormittag weiter gearbeitet
werden, obwohl die Verbindung mit dem vorrückenden
Generalkommando gefährdet schien.
Am us. mittags konnte endlich der Weitermarsch an-
getreten werden. Er führte über Cauroy, Neuville, Aussonce,
Heutregiville, Warmeriville, Isles, Bazancourt zunächst
nach Boult, und war reich an Hindernissen, weil wir an
jenem Tage durch vier fremde Korps marschieren mußten.
Niemand wußte etwag Genaues von unserm General=
kommando. In Boult hörten wir schließlich, daß es nach
Norden weitergezogen sei. So versuchten wir denn, es
einzuholen, kamen aber nicht weiter als über Roizy nach
Sault St. Remy, weil es bis dahin schon ganz finster
geworden war. Ein alter Bauer, Veteran von 1870,
mußte uns in seinem Hause Unterkunft gewähren, im
übrigen war das Dorf voller Truppen. Am nächsten
Morgen hatten wir Glück, denn schon im zweiten Dorfe,
Poilcourt, fanden wir unser Generalkommando wieder und
richteten unsern Betrieb in der Schule ein. Freilich nicht
für lange Zeit, schon am Spätnachmittag ging es weiter
über Brienne und Neufchatel nach Prouvais. Es war
stockfinster und alles durchweicht, als wir dort ankamen,
und die Beschaffung einer Unterkunft recht schwierig, jedes
Plätzchen war belegt. Aber schließlich gelang es doch,
Leute und Pferde unterzubringen. UÜberaus heftiges Geschütz-
feuer ließ den ganzen nächsten Tag im Dorf die Scheiben
erzittern. Zur Absendung der starken aufgelleferten Post
bot sich keine Gelegenheit. Gegen 6 Uhr abends wurde
wiederum aufgebrochen und in strömendem Regen Ami-
fontaine erreicht, wo das Generalkommando schon mor-
gens eingetroffen war.
Der Stellungskrieg
Mit dem Einschieben des 12. Armeekorps in den Aisne-
winkel zwischen Reims und Laon hatte für uns der Stel-
lungskrieg begonnen, ohne daß uns das zunächst so recht
zum Bewußtsein gekommen wäre. Für die Feldpost setzten
damit Wochen anstrengendster Arbeit ein. Erschwert wurde
sie durch die überaus ungünstigen räumlichen Verhältnisse,
unter denen hier gearbeitet werden mußte. Oas winzige
französische Postamt in Amifontaine bot gerade Naum ge-
nug für die Annahmestelle. Die übrige Postverteilung
mußte, da alle Häuser bis aufs äußerste belegt waren,
wochenlang auf einem Heuboden auogeführt werden, der
nur über eine steile Hühnerstiege zugänglich war und
recht mangelhafte Beleuchtung aufwies. Die künstliche
Beleuchtung, mit der die Feldpost ausgerüstet war, bestand
zunächst nur aus Stallaternen und Kerzen, so daß ein Ar-
beiten bei Licht sehr erschwert war.
Allmählich fanden sich nun all die vielen Beutel ein,
die wochenlang unterwegs gewesen waren. Daß wir in
Amifontaine eine Eisenbahnstation und Zugverbindung mit
Laon hatten — freilich noch lange keine fahrplanmäßigen
üge —, nützte und zunächst nur insofern, als wir die
Post nach der Heimat täglich mit der Bahn abschicken
konnten. Die Post aus der Heimat bekamen wir aber,
obwohl wir seit dem 15. September zur 7. Armee ge-
hörten, aus Zweckmäßigkeitsgründen noch wochenlang vom
Armee-Postdirektor der 3. Armee nachgeführt, der in-
zwischen von Marche nach Couvin übergesiedelt war. Und
en war für unsere Postverbindung sehr vorteilhaft, daß
sich das durchführen ließ, denn der Bahnverkehr auf den
französischen Buhnen war zunächst den Anforderungen,
die man an regelmäßige Verbindungen siellen muß, noch
lange nicht gewachsen, und die Post für uns wäre zweifel-
los noch viel länger unterwegs gewesen, wenn sie erst
vom Armee-Postidirektor 3 auf den Armee-Postdirektor 7
hätte umgeleitet werden müssen.
Gleich am Morgen des 18. Septembers bekamen wir
über 60 große Beutel Post. Zunächst verging natürlich
einige Zeit, bis der Sortierraum auf dem Heuboden ge-
sucht und einigermaßen bergerichtet war. Darunter ist zu
verstehen, daß geeignete Vorkehrungen zum Aufhängen
der Beutel getroffen werden mußten, denn die ankommen-
den Sendungen, die jetzt schon zum Teil aus Päckchen
bestanden, mußten in annähernd hundert verschiedene Beutel
verteilt werden. Zur Bewältigung der Arbeit reichte in
diesen Wochen das vorhandene Personal nicht aus. Ein-
zelne Formationen, namentlich die Fernsprechabteilung, ver-
dienten sich den besonderen Dank der Feldpost und der
Korpstruppen, weil sie fast täglich Mannschaften — im
bürgerlichen Beruf Postbeamte — zur Aushilfe hergaben.
Schon am Mittag des ersten Tages in Anifontaine kamen
wiederum mehr als 60 Sack an, deren Bearbeitung an
diesem Tage gar nicht mehr in Angriff genommen, werden
konnte. Die Sendungen selbst waren recht alt, die jüngsten
waren 12 Tage unterwegs gewesen, der Durchschnitt
3 Wochen; so waren z. B. mehrere Dienstbriefe vom
Reichs-Postamt 23 Tage alt geworden. Ahnliche Massen
von Säcken langten in der nächsten Zeit nun ständig an,
z. B. 138 oder 170 Beutel an einem Tage. Wer diese
schweren Säcke im Felde gesehen hat, kann sich eine Vor-
stellung von den Mengen machen.
Was den Betrieb weiter erschwerte, war der Inhalt der
Beutel. Einesteils ging immer noch eine große Menge von
Sendungen unrichtig zu, andernteils bestand nun schon
ein Teil der Sendungen auos Päckehen. Da die Absender
aber noch nicht die nötigen Erfahrungen gesammelt hatten,
und die Industrie noch nicht wie später auf die zweck-
mäßige Herstellung der Pappkästchen eingestellt war, be-
fand sich ein erheblicher Teil dieser Sendungen in recht trau-
rigem Zustande. Aus jedeim Beutel, der auf den Tischen
ausgeschüttet wurde, erhob sich eine Staubwolke und fielen
ganze Haufen von Trümmern heraus. Zerbrochene Zi-
garren und Zigaretten, aufgeplatzte Tabakpakete, dazwischen
Schokoladenreste, Pfeffermünzplätzchen, Pflaumenmus uff.
bildeten eine greuliche Mischung. Wo es möglich war,
wurden die Sendungen wieder notdürftig geflickt, aber es
blieb doch immer noch ein Häudfchen unbrauchbarer Reste
zurück. Natürlich trug der Versuch, die einzelnen Teile zu-