Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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zu uns herüber und nun beginnen sie auch hie und da aus 
den Häusern zu schießen, aus Bodenluken und Kellerfen- 
stern. Als ich mit meinen Leuten in die erste Querstraße 
einbiege und zurückblicke, sehe ich, daß wir nicht mehr 
allein sind: die anderen Züge der Kompagnie sind uns 
nachgeeilt; die Straße herab kommen auch schon die übrigen 
Kompagnien. Aus der halbgeöffneten Tür eines Kolo- 
nialwarenladens sehe ich einen Mann lugen. Rasch springe 
ich hinzu. Zwei Kameraden folgen mir, und wir nehmen 
zwei Zivilisten fest; sie sind mit Pistolen bewaffnet. Zau- 
dernd kommt eine Frau die Treppe herab. Ich lasse die 
Festgenommenen zum Adjutanten bringen. Auf Befehl des 
Majors wird kurzer Prozeß mit den beiden gemacht — 
eine schreckliche Szene, aber es muß sein! Die Frau wird 
abgeführt. Aus der Apotheke bringen sie etwa 15 Men- 
schen, darunter einen Curé. Ich sehe nur eine Menge 
wedelnder Hände über den Köpfen unserer Soldaten. Ein 
Belgier mit der Noten-Kreuz-Binde am Arm ist beim Schie- 
Ken ertappt worden, er versucht zu fliehen, aber er kommt 
nicht weit. Feindliche Soldaten bekommen wir überhaupt 
nicht zu sehen, nur dieses heimtückische Franktireurgesindel. 
Wir stehen nun auf der Hauptstraße von Dinant, die pa- 
rallel zur Maas und durch eine Häuserzeile von ihr ge- 
trennt, auf den Marktplatz führt, an dem sich die schöne, 
alte Kirche mit dem Zwiebelturm erhebt und auf den die 
große, steinerne Brücke mündet. Hier sind wir nun wahr- 
haftig im Hexenkessel — beinahe zwei Stunden! Vom 
jenseitigen Ufer prasseln die Gewehre, bald mischen sich auch 
Maschinengewehre ein. 
Wo sich zum Uferkai kleine Gäßchen öffnen, ist nur 
schwer vorbeizukommen; fortgesetzt peitschen hier Geschosse 
heran. Bald beginnt auch die feindliche Artillerie unseren 
Stadtteil mit Schrapnells und Granaten zu belegen. Hie 
und da fangen die Häuser zu brennen an. Wrr suchen die 
Fenster nach dem Kai zu zu besetzen und von dort aus den 
Feind, der hinter Uferbarrikaden sitzt, zu befeuern. Wir 
erbrechen die verrammelten Häuser und stürmen durch die 
JZimmer nach der Flußseite und in die oberen Geschosse. 
Die Fenster nach der Maas zu sind alle verschlossen. Wir 
sehen bald, daß dies eine Falle ist. Denn sobald einer 
von uns die Jalousie hochzieht, bemerkt das drüben der 
Feind. Gewehrsalven prasseln und Maschinengewehre rat- 
tern auf das Fenster zu. Auf diese Weise haben wir bald 
schwere Verluste. Wir können uns nur dadurch helfen, 
daß wir Möbelbarrikaden an die Fenster schieben, dann 
öffnen und auf die Gegner feuern. Aber damit wird nicht 
viel erreicht! Ich setze so ein paar Gruppen in den Häu- 
sern ein, stöbere durch die verschiedensten Laden und Zim- 
mer und eile dann wieder auf die Straße. Hier herrscht 
ein fürchterliches Gewühl; fast unser ganzes Bataillon 
drängt sich auf dieser kaum 300 m langen Straße zusam- 
men. Uberall brennt es schon. Jetzt beginnt auch unsere 
eigene Artillerie in die Stadt zu schießen. Vermutet sie, 
daß wir schon wieder heraus sind? Oben am Kirchturm 
bewegen und öffnen sich plötzlich die Luken, und er scheint 
ebenfalls vom Feind besetzt zu sein. Der Offiziersstellver- 
treter meines Zuges wird schwer verwundet. Unser Major 
fällt. Er war am selben Tage zum Oberstleutnant be- 
fördert worden, ohne es noch erfahren zu haben. 
Dichte Rauchschwaden wälzen sich durch die Straßen; 
überall knistert das dürre Holpverk. Ich arbeite mich durch 
bis zur Kirche, wo der Markt sich öffnet. Wir haben 
ja eigentlich Befehl, den Maasübergang zu versuchen. Die 
Brücke scheint noch passierbar. Der große Markt mit seinen 
Konditoreien und Hotels, vor denen zierliche Lorbeerbäume 
und Efeuhecken mit kleinen Marmortischen stehen, liegt 
still und menschenleer.“ 
Hauptmann Fabian versucht mit Freiwilligen der 12. 
Kompagnie die Brückensperre in schnellem Anlauf zu stür- 
men. Vergebens opfern sich die Tapferen. Auch der Ver- 
such kühner Pioniertrupps, die Sprengladung am mitt- 
leren Brückenpfeiler zu entfernen, führt nicht zum 
Erfolg. Die Stärke der feindlichen Stellung jenseits der 
Brücke erfordert längere Vorarbeit durch die schwere Ar- 
tillerte. Juvor muß aber der bereits eroberte Stadtteil 
diesseits der Maas vorübergehend wieder geräumt wer- 
den, zur Vermeidung unnötiger Verluste dureh das eigene 
Artilleriefeuer. 
Das gelingt bis gegen 2 Uhr nachmittags den Regi- 
mentskommandeuren der Schützen, Oberst Graf Vitzthum 
von Eckstädt, und des Infanterieregiments 182, Oberst 
Francke, welche mitten unter ihren im Ortskampf verstrickten 
Kompagnien weilen. Durch die Gluthitze der brennenden 
Häuser, zwischen herabstürzenden Balken, vorbei an zahl- 
reichen Opfern des wütenden erbarmungslosen Ortskampfes 
gewinnen die Schützen und die 182er den Ostrand von 
Dinant. Dort hält an der Straße der Kommandierende 
General des Xll. Armeekorps, General der Infanterie d'Elsa 
mit den sächsischen Prinzen und ruft den vorüberziehenden 
Schützen zuversichtlich zu: „Hinüber kommen wir doch!“ 
Schon hat inzwischen das Feuer der schweren Artillerie 
gegen die linksufrige Brückenvorstadt von Dinant begonnen. 
Es wirkt furchtbar. Auch ist gegen 2,45 Uhr nachmittags 
den sächsischen schweren Batterien gelungen, die verdeckt 
bei Wespin aufgestellte feindliche Artillerie zum Schweigen 
zu bringen. 
Der Maagsübergang bei Les Rivages 
Bei der linken Nachbarbrigade, der 45. Infanterie- 
brigade unter General Lucius hatte inzwischen das Vordringen 
gegen den Südteil von Dinant und gegen den durch den 
Bayardfelsen von Dinant getrennten reichen Villenvorort Les 
Rivages, zu schwerem Ortökampfe geführt. Auch hier spielte 
sich die Kampfhandlung als wildes Ringen zwischen bren- 
nenden Häusern ab, in welches der Feind vom jenseitigen 
Ufer her unablässig hineinschoß. 
Das I. Bataillon des Leibgrenadierregiments 100 
unter Oberstleutnant Graf von Kielmannsegg drang schon 
6,25 Uhr vormittags links von den 182ern entlang des 
Weges von Herbuchenne nach dem Südrande von Dinant 
in dessen Südvorstadt ein. Seinem Vortrupp, der Leib- 
kompagnie unter Hauptmann Legler, schlug schon aus den 
ersten Häusern starkes Feuer entgegen. Hauptmann Legler, 
seinen Leibgrenadieren weit voraus, wurde verwundet, un- 
widerstehlich drangen seine Grenadiere ihm nach. Die Ver- 
luste wuchsen rasch, als auch die anderen Kompagnien des 
I. Bataillons durch Schrunden und Steige den Felshang 
bis zu den Stadthäusern herabkletterten. Dabei wurde 
Hauptmann von Nabenhorst, der Führer der 4. Kompagnie 
tödlich getroffen. 
Nach und nach wurde das ganze Regiment in den zeit- 
und kraftraubenden Ortskampf und das Feuergefecht mit 
dem Feinde, der jenseits des Wassers den Villenort Neffe 
besetzt hielt, verwickelt. Die Häuser von Neffe säumen 
in ununterbrochener Reihe das Westufer von der Brücke 
von Dinant bis gegenüber dem Bayardfelsen ein. 
Hier waren besonders viel französische Maschinengewehre 
tätig. Es gelang in dem stundenlangen Feuerkampf nicht, 
die sehr gut versteckten französischen Maschinengewehre ganz 
unschädlich zu machen. Als am Nachmittag endlich das 
feindliche Feuer jenseits des Flusses fast niedergekämpft 
schien, wurde auf Befehl der 23. Infanteriedioision ver- 
sucht, die Pontons des Divisionsbrückentrains 23 auf dem 
Steilpfad, der von Herbuchenne in die Südvorstadt von 
Dinant hinabführt, an die Maas vorwärts zu bringen. Die 
acht Pontons mußten Lom Schlosse von Herbuchenne, wo 
bereits feindliches Schrapnellfeuer einsetzte, bis an die Maas
	        
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