Die Vorbereitung auf den Heeresdienst und die
Ertüchtigung der Jugend
Von Oberlehrer Fritz Eckardt in Dresden
Einleitung
Mehr als hundert Jahre sind es her, da hat Friedrich
Ludwig Jahn, bekannt als „der Turnvater“, in Vor-
bereitung des Befreiungskrieges das Volk der Dichter und
Denker aufgerüttelt und die Aufmerksamkeit auf den
Körper gelenkt und auch die Wichtigkeit seiner Ausbildung
für die Vaterlandsverteidigung. Die folgende Zeit hat die
Forderungen Jahns weitergeführt — in der Hauptsache
nur auf dem Papier. Einige Fortschritte sind zwar ge-
macht worden, so z. B. die Ein-
Militärische und bürgerliche Wehrkraft
Aus einem Dorfe trafen vier junge Burschen, die früher
miteinander in die Schule gegangen waren, als Rekruten in
der Kaserne ein. Sie wurden recht verschiedene Soldaten,
und das zeigte sich besonders, als es ins Feld und an den
Feind heranging. Der erste, gesund und kräftig, eine treue
Seele, blieb stehen, wo man ihn hinstellte, wich und wankte
nicht. Aber man durfte ihm nur die einfachsten Aufgaben
geben und mußte ihm auch diese dreimal klarschneiden.
Der zweite war, von schneller
führung des Schulturnens, die
Verbreitung der Turn= und
Sportvereine, aber die Gesamt-
heit kümmerte sich wenig um den
großen Gedanken. Was hundert
Jahre nicht erreicht hatten, das
vollbrachte in wenig Wochen der
ausbrechende Weltkrieg. Jedem
Vaterlandsfreund wurde klar,
daß der oberste Grundsatz der
Erziehung sein muß: Erziehung
zum Staatsbürger und Vater-
landsverteidiger von Jugend auf.
Die Regierungen brachten wirk-
same Verordnungen nach dieser
Richtung und die Jugend er-
griff begeistert die neue Auf-
gabe. So ist der Weltkrieg auch
in bezug auf die Wehrvorberei-
tung der Jugend und die körper-
liche Ertüchtigung die „Große
Zeit“ geworden, und das recht-
fertigt die Aufnähme unseres
Gegenstandes in dieses Werk.
Aber wir wissen, sie wurde
auch die schwere Zeit. Sie brachte
wie auf allen Gebieten so auch
Auffassung, rasch und gewandt,
aber unzuverlässig in der Er-
füllung seiner PMlichten. Und
wenn er es schon beiser wollte,
so hielt sein schwächlicher Kör-
per keine größere Anstrengung
aus. Der dritte vereinigte leider
nur die ungünstigen Soldaten-
eigenschaften seiner beiden
Freunde in sich. Er war ein
jämmerlicher Soldat, der vierte
bingegen ein Prachtkerl, der nur
die soldatischen Tugenden der
beiden ersten aufwies ohne ihre
Mängel.
Ausbildung und Dienst war
bei allen vieren gleich gewesen
und hatte aus jedem gemacht,
was nur aus ihm zu machen
war. Daß sie so verschieden
wurden, war nicht der Ausbil-
dung zuzuschreiben, sondern der
verschiedenen Grundlage, die sie
zum Heeresdienst mitbrachten.
Was wir hier beim Einzelnen
gesehen haben, können wir bei
ganzen Völkern beobachten.
auf unserm nach und nach bei
allem guten Wollen so viele
Schwierigkeiten, Hindernisse und
Unmöglichkeiten der Durchführung, daß sich mit dem
Fortschritt des Krieges ein Nückgang einstellen mußte.
Wir können jetzt, wo das Geläute der Friedenoglocken
vernehmbar wird, nicht mehr stolz ausrufen: Wieviel
ist erreicht! sondern nur noch bescheiden fragen: Wie-
viel ist aus dem Anfang herübergerettet worden an
das Ende? Was ist erhalten? Darum dürfen wir uns
nicht wundern, daß in vielen Abschnitten auch vom Rück-
gang erzählt werden muss.
Unter dem Einflusse dieses großen Bestrebens hat wäh-
rend der Kriegszeit alle Leibesübung gestanden. Ehe wir
davon erzählen können, müssen wir die grundlegenden
Begriffe, die vielen Lesern noch nicht geläufig sind, erläu-
tern. Auch müssen wir eine geraume Zeit vor den Kriegs-
beginn zurückgehen, und z. B. die neue Jugendpflege,
aus der sich die Wehrübung entwickelt hat, von ihren An-
fängen an darstellen. Damit geben wir, für die große
Offentlichkeit wohl zum ersten Male, eine Geschichte der
neuen sächsischen Jugendpflege.
Ehrenurkunde des Ministeriums für Sieger im Wehrturnen
Zwar gibt es in jedem Heere
alle vier Arten von Soldaten,
die wir oben kennen gelernt
haben, aber bei dem einen Volke überwiegt diese Sorte, beim
andern jene. Die Wehrkraft und kriegerische Tüchtigkeit der
Völker gründet sich also nicht allein auf die militärische
Ausbildung und den Heeresdienst, die allerdings von großer
Bedeutung sind, sondern auch auf die militärischen Eigen-
schaften, die im Volke liegen und die der Bürger zum
Heeresdienst mitbringt. So muß man also neben der
militärischen Wehrkraft eines Volkes seine bürgerliche oder
allgemeine Wehrkraft unterscheiden. Es gibt tapfere, kriege-
rische Völker auf der einen Seite, feige, unkriegerische auf
der andern. Vaterlandsliebe, Opfermut, Hilfsbereitschaft
finden sich bei dem einen Volke im Ubergewicht, Selbstsucht,
berechnende Vorsicht beim andern. Selbst das gleiche Volk
kann sich im Verlauf seiner Geschichte verschieden zeigen.
Wie oft hat schon ein kriegsstarkes Volk durch Uppigkeit und
Wodhlleben seine Tüchtigkeit eingebüßt und ist dann dem
Ansturm eines jungen, kampfesfrohen Volbes unterlegen,
das an Zahl und Ausrüstung weit hinter ihm stand.
Niemals mehr als im Weltbriege hat sich die Bedeutung