Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

Die Vorbereitung auf den Heeresdienst und die 
Ertüchtigung der Jugend 
Von Oberlehrer Fritz Eckardt in Dresden 
Einleitung 
Mehr als hundert Jahre sind es her, da hat Friedrich 
Ludwig Jahn, bekannt als „der Turnvater“, in Vor- 
bereitung des Befreiungskrieges das Volk der Dichter und 
Denker aufgerüttelt und die Aufmerksamkeit auf den 
Körper gelenkt und auch die Wichtigkeit seiner Ausbildung 
für die Vaterlandsverteidigung. Die folgende Zeit hat die 
Forderungen Jahns weitergeführt — in der Hauptsache 
nur auf dem Papier. Einige Fortschritte sind zwar ge- 
macht worden, so z. B. die Ein- 
Militärische und bürgerliche Wehrkraft 
Aus einem Dorfe trafen vier junge Burschen, die früher 
miteinander in die Schule gegangen waren, als Rekruten in 
der Kaserne ein. Sie wurden recht verschiedene Soldaten, 
und das zeigte sich besonders, als es ins Feld und an den 
Feind heranging. Der erste, gesund und kräftig, eine treue 
Seele, blieb stehen, wo man ihn hinstellte, wich und wankte 
nicht. Aber man durfte ihm nur die einfachsten Aufgaben 
geben und mußte ihm auch diese dreimal klarschneiden. 
Der zweite war, von schneller 
  
führung des Schulturnens, die 
Verbreitung der Turn= und 
Sportvereine, aber die Gesamt- 
heit kümmerte sich wenig um den 
großen Gedanken. Was hundert 
Jahre nicht erreicht hatten, das 
vollbrachte in wenig Wochen der 
ausbrechende Weltkrieg. Jedem 
Vaterlandsfreund wurde klar, 
daß der oberste Grundsatz der 
Erziehung sein muß: Erziehung 
zum Staatsbürger und Vater- 
landsverteidiger von Jugend auf. 
Die Regierungen brachten wirk- 
same Verordnungen nach dieser 
Richtung und die Jugend er- 
griff begeistert die neue Auf- 
gabe. So ist der Weltkrieg auch 
in bezug auf die Wehrvorberei- 
tung der Jugend und die körper- 
liche Ertüchtigung die „Große 
Zeit“ geworden, und das recht- 
fertigt die Aufnähme unseres 
Gegenstandes in dieses Werk. 
Aber wir wissen, sie wurde 
auch die schwere Zeit. Sie brachte 
wie auf allen Gebieten so auch 
  
Auffassung, rasch und gewandt, 
aber unzuverlässig in der Er- 
füllung seiner PMlichten. Und 
wenn er es schon beiser wollte, 
so hielt sein schwächlicher Kör- 
per keine größere Anstrengung 
aus. Der dritte vereinigte leider 
nur die ungünstigen Soldaten- 
eigenschaften seiner beiden 
Freunde in sich. Er war ein 
jämmerlicher Soldat, der vierte 
bingegen ein Prachtkerl, der nur 
die soldatischen Tugenden der 
beiden ersten aufwies ohne ihre 
Mängel. 
Ausbildung und Dienst war 
bei allen vieren gleich gewesen 
und hatte aus jedem gemacht, 
was nur aus ihm zu machen 
war. Daß sie so verschieden 
wurden, war nicht der Ausbil- 
dung zuzuschreiben, sondern der 
verschiedenen Grundlage, die sie 
zum Heeresdienst mitbrachten. 
Was wir hier beim Einzelnen 
gesehen haben, können wir bei 
ganzen Völkern beobachten. 
  
  
  
  
  
  
auf unserm nach und nach bei 
allem guten Wollen so viele 
Schwierigkeiten, Hindernisse und 
Unmöglichkeiten der Durchführung, daß sich mit dem 
Fortschritt des Krieges ein Nückgang einstellen mußte. 
Wir können jetzt, wo das Geläute der Friedenoglocken 
vernehmbar wird, nicht mehr stolz ausrufen: Wieviel 
ist erreicht! sondern nur noch bescheiden fragen: Wie- 
viel ist aus dem Anfang herübergerettet worden an 
das Ende? Was ist erhalten? Darum dürfen wir uns 
nicht wundern, daß in vielen Abschnitten auch vom Rück- 
gang erzählt werden muss. 
Unter dem Einflusse dieses großen Bestrebens hat wäh- 
rend der Kriegszeit alle Leibesübung gestanden. Ehe wir 
davon erzählen können, müssen wir die grundlegenden 
Begriffe, die vielen Lesern noch nicht geläufig sind, erläu- 
tern. Auch müssen wir eine geraume Zeit vor den Kriegs- 
beginn zurückgehen, und z. B. die neue Jugendpflege, 
aus der sich die Wehrübung entwickelt hat, von ihren An- 
fängen an darstellen. Damit geben wir, für die große 
Offentlichkeit wohl zum ersten Male, eine Geschichte der 
neuen sächsischen Jugendpflege. 
Ehrenurkunde des Ministeriums für Sieger im Wehrturnen 
Zwar gibt es in jedem Heere 
alle vier Arten von Soldaten, 
die wir oben kennen gelernt 
haben, aber bei dem einen Volke überwiegt diese Sorte, beim 
andern jene. Die Wehrkraft und kriegerische Tüchtigkeit der 
Völker gründet sich also nicht allein auf die militärische 
Ausbildung und den Heeresdienst, die allerdings von großer 
Bedeutung sind, sondern auch auf die militärischen Eigen- 
schaften, die im Volke liegen und die der Bürger zum 
Heeresdienst mitbringt. So muß man also neben der 
militärischen Wehrkraft eines Volkes seine bürgerliche oder 
allgemeine Wehrkraft unterscheiden. Es gibt tapfere, kriege- 
rische Völker auf der einen Seite, feige, unkriegerische auf 
der andern. Vaterlandsliebe, Opfermut, Hilfsbereitschaft 
finden sich bei dem einen Volke im Ubergewicht, Selbstsucht, 
berechnende Vorsicht beim andern. Selbst das gleiche Volk 
kann sich im Verlauf seiner Geschichte verschieden zeigen. 
Wie oft hat schon ein kriegsstarkes Volk durch Uppigkeit und 
Wodhlleben seine Tüchtigkeit eingebüßt und ist dann dem 
Ansturm eines jungen, kampfesfrohen Volbes unterlegen, 
das an Zahl und Ausrüstung weit hinter ihm stand. 
Niemals mehr als im Weltbriege hat sich die Bedeutung
	        
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