Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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geblieben. So hat er den Anteil, den die Turnerschaft an 
der Jugendpflege hatte — und das war, wie wir sahen, 
der Hauptanteil —, kennen gelernt und damit die Grund- 
lagen, Aussichten und Erfolge der Jugendpflege überhaupt. 
Er studierte in Bonn und Leipzig klassische Philologie, und 
war in den dortigen Turnvereinen Vorturner und Vorsitzen- 
der der Vorturnerschaft. Später in Dreoden leitete er als 
erster Vorstand den großen Allgemeinen Turnverein, so daß 
er dao Wirkungsgebiet aller Vereintämter wohl übersah. 
Auch die notwendigen militärischen Grundlagen brachte 
er für den Vorsitz in der Jugendpflege mit. 1870 war er als 
Einjährig-Freiwilliger beim 6. Thüringischen Infanterie- 
Regiment eingetreten, da brach der deutsch-französische Krieg 
aus, den er bis zum 2. Dezember mitmachte, wo er bei 
Poupry vor Artenay verwundet wurde, glücklicherweise so, 
daß er keinen dauernden Schaden davontrug. Er hatte sich 
das Eiserne Kreuz erworben und wurde zum Reserveoffizier 
befördert. So hatte er aus eigenstem Erleben kennen ge- 
lernt, welche Kenntnisse, Fertig= 
kriten und Eigenschaften dem Sol- 
daten #.ötig sind. Daher konnte 
er wirksam in den Strcit cingrei- 
en, als Ende der siebziger Jahre 
im Reichstage di: Ford. rurg#er- 
hoben wurde, den Militärdienst ab- 
zukürzen und die Einbuß: durch 
militärische Ubung vor der Rekru- 
tenzcit auszusüllen. Stürenburg 
verö# fentlicht: zuerst in der deut- 
schen Turnzcitung, dann in einem 
gesonderten Heste bei Habel in 
Berlin s. ine Ansichten über „Wehr- 
pilicht und Erziehung“, die in dem 
bercits erwähnten Satze gipfeln, 
daß der Kricg von der Jugend 
nichts verlangt, was nicht schon 
an sich um ihrer allgemeinen Aus- 
bildung willen erstrabt werden muß. 
Er fand dafür die Zustimmung 
k.ines Geringeren als unseres 
Schlachtenlenkers Moltke. Als die 
neue Z. it, die so schnell die alte 
Erfahrung vergißt, wiederum mit 
der Vorschulung in militärischer Art hervortrat, da brauchte 
man nur auf Stürenburgs Arbeit zurückzugehen. Stüren- 
burg selbst griff in gleichem Sinne wie damals wirksam 
in die Besprechung ein. Das baldige Abflauen der neuen 
Bewegung bewies, daß Stürenburg jetzt und schon da- 
mals im Rechte gewesen war. 
Weiterhin erfordert das Jugendpflegeramt Kenntnis und 
Geschick in der Erziehung. Solche zu erwerben, hatte 
Stürenburg reiche Gelegenheit als Oberlehrer am Thomas- 
gomnasium 1872—1889 und von da ab alo Rektor des 
Gymnasiums zum heiligen Kreuz in Dreöden. 
Zur Gunst des Geschicks, die einen solchen Mann für das 
neue Amt des Jugendpflege-Vorsitzenden darbot, kam wei- 
terhin der glückliche Umstand, daß Stürenburg kurz vorher 
nach 40 jähriger Dienstzeit in den Nuhestand getreten war; 
nichto als arbeitsunfähiger Mann, sondern ungebrochen 
an Geist und Leib. So hatte er für das neue Ehrenamt 
die Zeit zur Verfügung, die die Sache erforderte und die 
er als Rektor unmöglich hätte aufbringen können. Geheimer 
Studienrat Stürenburg brachte dieses grose Opfer an geit. 
Er hatte viel zu tun, manchmal mehr als früher, aber wer 
ihn sieht: geschäftig bei den Angelegenheiten der neuen Auf- 
gabe, wohlbeschlagen in allen Fragen derselben, mit sicherer 
Hand jedes verlangte Aktenstück, jedes Buch, selbst Zeitungo- 
aueschnitte herausgreifend aus der Fülle des aufgestapelten 
  
Geheimrat Dr. Stürenburg 
Materials, der fühlt, daß dem nunmehr Eimundsiebzig- 
jährigen die Arbeit für das Gemeimwohl Bedürfnis ist. Er 
hat sich ein schönes altes Grundstück am sonnigen Elbhang 
der Loschwitzer Berge gekauft, wo die Pfirsichen zuerst blühen 
und der Frühling zuerst seine Besuchskarte abgibt im Sach- 
senlande, und wohl gedacht hier als „ostelbischer Grund- 
besitzer“ seinen Ruhestand zu genießen, und nun — ar- 
beitet er. 
So muß er uns Muster und Verbild sein, und das 
isto, was das Amt der Jugendpflege-Vorsitzenden vielleicht 
zuerst und am meisten erfordert; Muster und Vorbild zu 
sein als Mensch: schlicht und einfach, abhold aller Förm- 
lichkeit und allem Getue, vaterlandsliebend und seelenstark. 
Wir wissen es genau, wie andere bei den Verlusten des 
Weltkriegs sich aufgerichtet haben an seiner Seelenstärke, 
die ihn selbst beim Tode seines dritten Sohnes im Felde 
nicht verließ. 
Die Wehrübung 
und der Jugendwehr-Erlaß 
Dic Jugendpfslege war zunächst 
nichts andercs als Beschä.tigung, 
Unterhaltung und Belchrung der 
schulentlassenen Leute im vater- 
ländischen Sinne. Dazu gehörte 
auch die Beschäftigung mit Turnen, 
Spiel und Sport. Sic wurde auf- 
genommen, weil sie dem jugend- 
lichen Alter am meisten liegt. Man 
hofste durch die Begcisterung für 
den Wettkampf und das Spiel der 
Krärte die Jünglinge an die Ver- 
ceine für Jugendp#lege heranzu- 
ziehen. Daß diese Beschäftigung 
dem künstigen Vaterlandsverteidiger 
von Nutzen sein mußte, wurde zwar 
gelegentlich festgestollt, aber dieser 
Gesich tspunkt stand noch nicht im 
Vordergrund. Er trat erst bei 
Kricgsbeginn mit Macht hervor. 
Damals schrieb in der Deutechen 
Turnzcitung ein Dresdner: „Unsere 
Jugend ist dem Waffenrufe gefolgt, und wer noch nicht 
gerufen war, hat sich freiwillig gestellt — „herangedrängt", 
darf man sagen — zum Waffendienst, zur Hilfe beim 
Noten Kreuz. Zwei Wochen lang sind unsere Primaner und 
Sekundaner täglich von Regiment zu Regiment gelaufen 
und haben gebetteltt um Einstellung. Von 50 Mann in 
den Oberprimen sind fünf in der Schule geblieben. So 
oder ähnlich mag es in ganz Deutschland sein. Wahrlich, 
eine erhebende Zeit! Heil unserer Jugend!“ Aber die Jurück- 
gebliebenen? so fragte man weiter. Man ahnte, daß auch 
sie noch eingezogen werden müßten, daß ihnen nur eine 
ganz kurze militärische Ausbildung zuteil werden würde, 
ehe sie an die Front kamen. Dazu stellten sich auch bald 
die Mängel zu kurzer militärischer Ausbildung heraus. 
Die Kriegsprimaner waren zwar voll Begeisterung und 
Mut, mit dem Vaterlandsliede auf den Lippen, zum Sturm 
vorgegangen und in den Tod gesunken, aber ihr Können 
und ihre Widerstandsfähigkeit entsprachen nicht ihrem 
Willen. Das ist von militärischer Seite festgestellt worden. 
Da war eö ein einfacher Gedanke, die jungen Leute schon 
vor der Einziehung nach Möglichkeit vorzubereiten, und so 
die Gründlichkeit und Dauer der Ausbildung zu ersetzen. 
Er mag in den August= und Septemberwochen an vielen 
Stellen zugleich erwacht sein. Soweit die Nachrichten dar- 
über erkennen lassen, hat die Annenschule zu Dreoden die 
ersten Wehrübungen eingerichtet. Sie waren freiwillig und
	        
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