Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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Die „Erläuterungen und Ergänzungen“ waren ein Heft 
von 47 Seiten. Mit ihnen war mehr anzufangen. Sie 
gehen aus von den Erfahrungen des Weltkrieges. Diese 
haben gelehrt, daß „die größere Leistungsfähigkeit und 
bessere Ausbildung des einzelnen Mannes nicht nur die 
  
Die 8Swickauer Jugendwehr beim Kartenlesen 
Zahl ersetzen können, sondern daß sie überhaupt die Bürg- 
schaft für jeden Erfolg darstellen“. Somit sind die Wehr- 
übungen von nun ab nicht mehr bloßer Notbehelf dieses 
Krieges, sondern sie werden auch in Zukunft die Grund- 
lagen aller militärischen Ausbildung bleiben müssen. „Denn 
böchstgesteigerte Vervollkommnung der Wehrtüchtigkeit des 
einzelnen Soldaten in moralischer und körperlicher Be- 
ziehung kann in einer zweijährigen Dienstzeit nur er- 
reicht werden, wenn dem Heere ein Rekrutenersatz zuge- 
führt wird, der die Hauptgrundlage für jede militärische 
Ausbildung mitbringt: einen gesunden, in jeder Beziehung 
durchgebildeten und gestählten Körper.“ Es wird deohalb 
eine planmäßige Schulung von Jugend auf bis zum Ein- 
tritt in das Heer gefordert und nunmehr besonders betont, 
daß die Schule in ihrem Turnunterricht dafür eine bewährte 
Grundlage biete. Auf ihr soll die militärische Vorbereitung 
der Jugend weiterbauen. 
Damit wurde also die Wehrübung fest auf den Unterbau 
der bürgerlichen Wehrkraft gegründet. Alle „Soldaten- 
spielerei“, die nicht beabsichtigt gewesen, aber doch vielfach 
eingetreten war, wurde nun unterbunden. Mit solchen 
Richtlinien konnten sich alle die Vereine und Männer, die 
seither schon bei der körperlichen Erziehung der Jugend 
tätig gewesen waren, befreunden. 
Nunmeyr ist auch der Name „militärischer Vorberei- 
tungodienst“ nicht mehr angebracht, weil er auf eine Vor- 
bereitung in mullitärischer Art schließen läßt, während es 
doch in Wirklichkeit eine Vorbereitung allgemeiner Art 
sein soll. Auf diesen Irrtum bauen sich sogar einzelne 
Streitschriften auf, die inzwischen erschienen sind. Er wird 
vermieden durch die Bezeichnung „Vorbereitung auf den 
Heeresdienst“, die wir unseren Darlegungen an die Spitze 
gesetzt haben. Allmählich ringt sich, besonders in Sachsen, 
der kurze treffende Ausdruck „Wehrübung“ zu allgemeiner 
Geltung durch. 
  
Die Aufgaben der Jugendpflege während des 
Weltkrieges 
Die Jugendpflege hatte durch den Ausbruch des Krieges 
und durch den Wehrübungs-Erlaß neue Aufgaben erhalten. 
Die Einrichtung der Wehrübung war, soweit sie freiwillig 
waren, dem Landevausschusse zugewiesen worden. Er erließ 
schon in der Septembernummer seiner Mitteilungen Einzel- 
bestimmungen über die Durchführung und in der Tages- 
presse einen „Aufruf an die zum Dienst im Heere bereite 
Jugend“, den wir als wertvolle Erinnerung gleichfalls 
wiedergeben. 
Damit wurde die Heeresvorbereitung in Sachsen eifrig 
in Angriff genommen. 
Nachdem zwei Jahre lang die nötigen Erfahrungen ge- 
sammelt waren, legte der Landesausschuß in seiner Ver- 
sammlung am 5. Oktober 1916 „die Aufgaben der Jugend- 
pflege infolge deo Weltkriegs“ in 22 Leitsätzen fest, die 
dann als Sonderabdruck der Mitteilungen des LandeLaus- 
schusses erschienen sind. 
Diese Leitsätze gehen aus von den Gedanken, daß es für 
lange Zeit höchster Anspannung aller Kräfte bedürfen wird, 
um neuen feindlichen Angriffen gewachsen zu sein, daß eine 
der ersten Voraussetzungen dieser Kriegöbereitschaft eine für 
den Wehrdienst gut vorbereitete Jugend ist, und daß damit 
die Vorbereitung für den Heeresdienst bei der Jugend- 
pflege stärker betont werden muß. Dabei ist zu unter- 
scheiden zwischen der Vorbereitung, wie sie während des 
Kriegs gewährt wird, und der Jugendpflege im künftigen 
Frieden. Für erstere ist neben der allgemeinen körperlichen 
Schulung auch schon die Ubermittelung militärischer 
Übungsformen und Dienstkenntnis nötig. Als Anhalt für 
diese Vorschulung werden die preußischen Richtlinien emp- 
fohlen, die sich nach ihrer Abänderung durch die „Erläute= 
rungen und Ergänzungen“ ganz mit den Erlassen der drei 
zuständigen sächsischen Ministerien decken. Schon während 
deo Krieges werden gesetzliche Handhaben zur verbindlichen 
Heranziehung der Jugend zu dieser Vorschulung gefordert. 
Auf Grund dieser Leitsätze und der angeschlossenen Be- 
sprechung beantragte der Landesausschuß bei der Regierung 
die verbindliche Einführung von Leibeübungen in den Fort- 
bildungsschulen ohne Kürzung der seitherigen Stunden- 
zahl für den Geistesunterricht und eine verbindliche Heeres- 
vorschule für alle Jugendlichen. Die Regierung hat die 
Unterstützung dieser Forderungen in Aussicht gestellt. 
Die Entwicklung der Wehrübungen 
Hatte die Vorbereitung für den Heeresdienst seither schon 
die Fachkreise lebhaft beschäftigt, so wurden die Wehr- 
übungen nunmehr nach ihrer amtlichen Einführung Gegen- 
stand allgemeinen Interesses. Sie wurden in der Fachpresse 
des Militärs, der Turner und Sportleute und der kirch- 
lichen Jugendpflege lebhaft erörtert, zum Teil auch in der 
Tageopresse. Die Vereine nahmen Stellung zu ihr und 
legten ihre Meinungen und Entschließungen in Denlschriften, 
Gutachten und Eingaben an die Regierung dar. Auch im 
Landtage war die Wehrvorbereitung wiederholt Gegenstand 
der Verhandlung. Uberall wurde der Nutgen der Wehr- 
übung und ihre Notwendigkeit, wenigstens für die Dauer 
des Krieges, zum Teil auch für den künftigen Frieden an- 
erkannt. - 
Abgesehen von den höheren Schulen, wo die Wehrübung 
verbindlich eingeführt war, hatte der Erlaß die Teilnahme 
der Jugendlichen auf Freiwilligkeit gegründet. Der erhoffte 
Zulauf trat aber nicht ein. Nur etwa ein Fünftel der jungen 
Leute kamen ihrer „Ehrenpflicht“ nach, und selbst in den 
entstandenen Jugendkompanien nahm nach kurzer Zeit der 
Begeisterung und Opferwilligkeit die Beteiligung rasch ab. 
Aber die Jugend trug nicht allein die Schuld. Sie erhielt 
von den Lehrherren und Arbeitgebern vielfach nicht die nötige 
Zeit. Die Regierung versuchte mehrere Mittel zur Verbesse- 
rung der Teilnahme. Die jungen Leute, die regelmäßig 
der Wehrvorbereitung obgelegen hatten, erhielten das An- 
recht auf einen entsprechenden Ausweis, der beim Eintritt in 
das Heer als Empfehlung dienen sollte. Damit war in 
Sachsen wie auch im übrigen Deutschland zum ersten Male 
ausgesprochen, daß sich das Heer darum kümmern moöchte,
	        
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