Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

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wissen ihre Verlegenheit ganz tapfer zu verbergen. Wieder 
andere, die richtigen Wasserratten, denen die Elbe schon 
lange nichts Verdächtiges mehr ist, sind selbstbewußt 
und keck und betrachten sich ihre furchtsamen Genossen 
mit vergnügtem und schadenfrohem Schmunzeln von der 
Seite. 
„Achtung — springt!“ Hochauf spritzt das Wasser, so 
daß der am Rande stehende Leiter und die neugierig be- 
obachtenden Kameraden zur allgemeinen Belustigung auch 
ihren Teil abbekommen. Sieben sind drinnen und können 
vorläufig schwer zur Ruhe gebracht werden, so groß ist 
die Erregung. Einem zumal macht es viel Mühe, ehe er 
zum festen Stand kommt. Er hat sich so ungeschickt hinein- 
geworfen, daß er mit lautem Klatsch auf den Bauch ge- 
fallen ist. Der Strom schwemmt ihn ein Stück abwärts. 
Mit wilden Bewegungen schlägt er um sich. Endlich ge- 
lingt es; er steht und ist sehr verwundert, daß das Wasser 
kaum bis über die Badehose reicht. 
Fünf stehen noch droben. Gelächter und höhnische Zu- 
rufe begrüßen sie. Das vertragen drei nicht. Mehrmaliges 
unentschlossenes Wippen in den Knien, und auf Tod und 
Leben geht es noch nachträglich hinunter. Einem frei- 
lich hat die plötzliche Abkühlung den Atem so versetzt, daß 
er einige Zeit braucht, unter Stöhnen, Keuchen, Pusten 
und Spucken zu sich zu kommen. Ein anderer hat sich durch 
die Nässe und Frische des Wassers ganz erschreckt mit äußer- 
ster Gelenkigkeit sofort wieder auf das rettende Brett zu- 
rückgeschwungen. Er besinnt sich aber rasch und macht 
den Sprung zum zweiten Male. 
Aber nun unsere letzten zwei. Gütliches, scherzhaftes, 
mahnendes Zureden überwinden bei dem einen doch noch 
die Schwierigkeiten. Zum Springen läßt er sich aber nicht 
bewegen. Er setzt sich behutsam auf das Brett, baumelt 
probeweise ein wenig mit den Beinen im Wasser und 
steigt dann mit Seelenruhe und äußerst vorsichtig hinein, 
ängstlich bedacht, ja nicht zu weit herauf naß zu werden. 
Doch der Letzte. Da ist heute nichts zu wollen. Die 
Kameraden möchten am liebsten in handgreiflicher Weise 
nachhelfen. Aber Stoßen und Schupsen ist bei sofortiger 
Entfernung vom Bade verboten. Der arme Kerl zittert 
an allen Gliedern, weint schließlich die bittersten Tränen 
und wird zuletzt gar — seekrank. Er hat erst kurz vorher 
gegen die Vermahnung sein Frühstücksbrot verzehrt. Heute 
ist also mit ihm nichts zu erreichen, darum wieder in die 
Kleider. Er ist aber trotz des mißglückten ersten Versuchs 
regelmäßig zum Unterrichte gekommen und hat noch ganz 
leidlichen Erfolg erzielt. 
Neue Bilder zeitigt der nächste Befehl: „Taucht und 
legt euch in den GurtI“ Bei einigen dauert es eine ge- 
raume Zeit, ehe sie beim Tauchen den Kopf vollständig 
unter Wasser bringen, mit den Füßen den sicheren Boden 
aufgeben und in die horigontale Lage übergehen. Der eine 
oder der andere — nur ganz verschwindend wenige — 
kommen trotz aller Bemühungen zur Verzweiflung des 
Lehrers überhaupt nicht zum ordentlichen Tauchen. Oft 
sind es gerade große, kräftige Jungens, die einen solch be- 
dauerlichen Mangel an Mut und Entschlossenheit zeigen. 
Dic erste Ubung an der Angel bereitet die größten Schwie- 
rigkeiten und erfordert bei verschiedenen eine ganz gehörige 
ÜUberwindung. In erhöhtem Maße lassen sich dieselben 
Beobachtungen in der Mädchenabteilung machen. Auch 
hier zeigt sich, wie mannigfaltig die Naturen geartet sind. 
Neben keckem Drauflosgehen und mutigem Entschlossensein 
äußern sich allzu große Vorsicht, Bedächtigkeit, Zimper- 
lichkeit, Angstlichkeit und Verzagtheit neben reichlich viel 
Gelächter und Gekreisch. 
Das Schwimmen drüben im größeren und tieferen Ab- 
teil mit Hilfe des Korkgürtels geht schon rascher und 
besser, wenn es auch hier anfangs nicht an komischen 
Szenen mangelt. Die meiste Mühe bereitet die richtige 
Dehyythmische Atemführung. 
Schon in der zweiten Unterrichtsstunde steht ein schlan- 
ker, am ganzen Körper feingebräunter Bursche vor mir. 
„Herr 3., kann ich's mal ohne Gürtel versuchen?“ 
„Na, mal los, mein Junge! Dem Mutigen gehört 
die Welt. Wer wagt, gewinnt!“ Und richtig, er schwimmt. 
Mit langen, kräftigen Stößen durchmißt er einen großen 
Teil des Bades, so daß der Verdacht berechtigt erscheint, 
er habe sich als Schwimmer eingeschmuggelt. Es siellt 
sich aber heraus, daß dem nicht so ist. Bei ihm hat es also 
nur der Anleitung bedurft. Allerdings gehört er zu denen, 
die vorher schon das Bad regelmäßig besuchten. Ein Mutter- 
söhnchen ist er gewiß nicht. 
berhaupt finden Langeweile und Schlafmätzigkeit bei 
uns keine Statt. Dafür sorgt schon jenes drollige Kerl- 
chen mit seiner Zutraulichkeit und einem leichten Grade 
naiver Frechheit, mit seinem natürlichen Witz und seiner 
Firigkeit. Seine Gemütaruhe grenzt ans Fabelhafte. Er 
gehört nicht zu den erfolgreichsten Schülern, doch kann 
man ihm beim besten Willen nicht böse sein. Sein Humor 
geht ihm nie aus, selbst nicht an kalten Tagen, an denen 
der Aufenthalt im Bade nicht gerade zu den Annehmlich= 
keiten des Lebens gehört. Er sorgt immer für Stimmung. 
Der erste Schwimmer ist etwas wert. Er bedeutet für 
den Schwimmlehrer eine wesentliche Hilfe. Er ist ein 
lebendiges Beispiel für die anderen und regt zur Nach- 
eiferung an. Er liefert den Beweis, daß das Schwimmen- 
lernen bei etwas Mut und Geschicklichkeit gar nicht so 
schwer ist. Er schwimmt auch bald, von den Kameraden 
bewundert und beneidet, gegen den Strom. Groß ist die 
Freude und unverkennbar der Stolz, wenn er zum ersten 
Male ohne Unterbrechung oben ankommt, die geforderten 
36 m gegen den Strom bezwingt und als erster „Frei- 
schwimmer“ in die Aste eingetragen wird. Um ihn sammelt 
sich bald ein Kreis solcher, die eo ihm nachtun möchten. 
Sie gehören zu den fleißigsten Besuchern des Ubungs- 
bades an den unterrichtoöfreien Tagen. Einen derartig 
geförderten Schüler kann der Schwimmlehrer den einen 
oder anderen schwächeren und ungeschickteren Genossen 
zur Hilfeleistung anvertrauen und ihm dadurch seine be- 
sondere Anerkennung beweisen. 
Stark sinken Stimmung und Begeisterung bei unfreund- 
lichem Wetter. Die Sonne ist eine treue Bundeogenossin. 
Von Lehrern und Schülern wird sie mit gleich lebhaftem 
Bedauern vermißt, wenn sie es vorzieht, hinter grauen 
Wolkenschleiern versteckt zu bleiben. Es besteht eine strenge 
Bestimmung, bei jeder Witterung am Bade zu erscheinen, 
gleichgültig, ob es nebelt, regnet oder stürmt. Wenn es 
nicht ganz arg ist, wird wenigstens ein kurzes Bad ge- 
nommen, denn der jugendliche Körper muß abgehärtet 
werden. Im allgemeinen werden 14°9 K Wasserwärme als 
Minimum für das Unterrichten eingehalten. Steht die 
Quecksilbersäule tiefer, so gibt es Kinder, die sich durchaus 
nicht herbeilassen, auch nur auf einen Augenblick in das 
Wasser zu geben, wie ja der erste Augenblick überhaupt der 
schwerste ist. Zwang wird in diesem Falle auch nicht aus- 
geübt. Doch gibt es hier ebenfalls wieder Ausnahmen, die 
selbst bei bedeutendem Temperaturrückgange keine Grenze 
kennen. Trotzdem sie am ganzen Körper schlappern und 
rot und blau anlaufen, wollen sie nicht wieder heraus. 
Diesen Ubereifrigen und Ehrgeizigen kann nur durch ein 
Machtgebot Einhalt getan werden. Auch hier unterscheiden 
sich die Mädchen nicht von den Knaben. 
So vergeht die kurzbemessene Zeit. Die vierundeinehalbe 
Woche der Sommerferien sind rasch um und müssen sorg- 
fältig ausgenützt werden. Es gibt Arbeit, aber auch viel 
Freude für Lehrer und Schüler. Endlich erscheint der große 
Tag des Prüfungsschwimmens. Nicht alle Kinder konnten
	        
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