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auszuüben früher das unbestrittene Vorrecht der Männer
war.
Und noch ein anderes! Es ist ein Irrtum, anzu-
nehmen, daß durch die Ermöglichung einer tatenlosen
Lebensführung den Kriegsbeschädigten der beste Dank ent-
gegengebracht wird. Aus der Geschichte der Invalidenfür=
sorge der Vereinigten Staaten von Nordamerika entnehmen
wir z. B., daß verschiedene Insassen der nach jeder Nich-
tung hin vorbildlich eingerichteten und geleiteten, land-
schaftlich herrlich gelegenen Invalidenheime im Staate Kali-
fornien ihrem Leben freiwillig ein Ende bereiteten, weil
sie nicht mehr imstande waren, ihre Tage zweck= und ziel-
los zu verbringen. Wir brauchen uns ferner nur vor
Augen zu halten, daß unsere hervorragendsten Zeitgenossen
bis ins hohe Alter hinein, wenn nicht bis an ihr Lebens-
ende, sich nicht von ihrer gewohnten Arbeit trennen konn-
ten. Ohne zielbewußte Tätigkeit ist das Dasein rückgrat-
los. „Im Schaffen liegt das Glück des Lebens!“ Die
Wahrheit dieses Spruches in die Tat umzusetzen, muß das
erstrebenswerte Ziel, und den am Leibe geschädigten deut-
schen Brüdern den Weg dahin zu ebnen, eine Aufgabe der
Kriegobeschädigtenfürsorge sein.
Um aber den Kriegsbeschädigten den Übergang ins
bürgerliche Leben zu erleichtern und in vielen Fällen über-
haupt zu ermöglichen, ist es notwendig, daß schon im
Lazarett der körperliche Zustand des Kranken auf seine
mutmaßliche spätere Beschaffenheit hin geprüft und das
Leben des Genesenden entsprechend geregelt wird. Dabei
ist gar bald zu bemerken, daß Ruhe und Untätigkeit allein
durchauc nicht die besten Heilmittel sind. Der Verwundete
empfindet täglich mehr die Wirkung des fortgesetzten Nichts-
tuns und sucht ihr nach Möglichkeit zu begegnen. Daß er
zur Jersireuung zunächst gern Karten spielt und Tabak
raucht, ist leicht erklärlich, wenn auch weniger erfreulich.
Es sind ja dies die am leichtesten erreichbaren „Genüsse“,
zu denen sich manch verschwiegenes Gläschen Bier gesellt.
In den ersien Monaten des Weltkrieges glaubten man,
den Verwundeten den besten Dienst dadurch zu erweisen,
daß man sie mit äußerlichen Zerstreuungen förmlich über-
schüttete. Man veranstaltete regelmäßig Konzerte, führte
die Krieger in die Oper und das Schauspiel, empfing sie
zum Tee und Kaffee — kurzum, man suchte ihnen alle
gesellschaftlichen, feineren Genüsse zu bieten, die gar viele
nur vom Hörensagen kannten. Es mag dahingestellt sein,
ob ein derartig plötzliches Versetzen in Gesellschaftskreise
und Lebensverhältnisse, in denen sich doch die einfachen
Krieger naturgemäß nie heimisch fühlen können, nicht vom
sozialen Standpunkt als etwas bedenklich zu bezeichnen
sind. Welcher Mensch wäre nicht schnell zu Vergleichen
bereit, ohne die Voraussetzungen erst eingehend zu prüfen?
Die Wahrheit des Wortes, daß der Mensch alles besser
ertragen kann, als eine Reihe von schönen Tagen, zeigte
sich gar bald. Man konnte unschwer feststellen, daß die
meisten Lazarettinsassen auf die Dauer gehaltvolle Musik
ablehnten, daß ihnen blassische Schauspiele nicht den er-
warteten Genuß brachten, daß sie die Kaffee= und Tee-
abende nur von der „realen“ Seite betrachteten, bei Vor-
trägen nur den begleitenden Lichtbildern Interesse ent-
gegenbrachten, ja sogar beim Lesen im großen und ganzen
nur flüchtigen Unterhaltungostoff wählten.
Den Einsichtsvollen kann das nicht wundernehmen.
Die Untätigkeit beim Zuhören von Konzerten und aller-
hand Aufführungen kann den an Arbeit gewöhnten Men-
schen nur dann befriedigen, wenn sie in steter Wechsel-
beziehung zum eignen Schaffen steht. Und wissenschaft-
liche Vorträge und gehaltvolle Bücher müssen erarbeitet
werden, um wahren Genuß und Gewinn zu bringen.
Das Spielen endlich — auch wenn wir nicht an den un-
vermeidlichen Skat denken — ist doch nur als eine vor-
übergehende Ablenkung, günstigenfalls als eine Auffrischung
der Kräfte zu betrachten, dabei immer in der Voraus-
setzung, daß ein Ausgleich gegenüber einer anderen Tätig-
keit stattfindet.
Das führt zu dem Ergebnis, daß wir den Lazarett-
kranken weniger „passiv“ aufnehmend, als „aktiv“ han-
delnd heranziehen müssen. Und damit kommen wir zu
dem wichtigsten Heilmittel, der werktätigen Arbeit.
Selbstverständlich können wir hierbei naturgemäß nur von
den allereinfachsten Handbetätigungen ausgehen. Ihr
Wert aber darf in mehrfacher Beziehung nicht zu niedrig
eingeschätzt werden. Während das Spiel in der Regel
sein Ziel innerhalb der eignen Grenzen zu suchen hat,
winkt der Arbeit darüber hinaus der Lohn. Sie kann alle
Voraussetzungen des Spiels erfüllen, geht aber dabei in
der Zielsetzung erheblich weiter. Denn der Arbeitende wird
nicht nur über die Langeweile der Stunden geführt. Das
ist eine ganz nebensächliche Begleiterscheinung. Wichtig
ist vielmehr, daß der Zweck der Arbeit meist bel ihrer Voll-
endung noch nicht erschöpft ist. Darum wirkt sie auch nach-
haltiger, erfrischender als jedes Spiel. Und wenn die
rechte Form gewählt wird, geht sie „spielend“, d. h. es
ist kein Zwang zu verspüren, der ja der Arbeit an sich das
ihr eigene Gepräge verleiht. Das Angeführte würde schon
allein genügen, die genesenden Verwundeten, sobald es
ihr körperlicher Zustand nur einigermaßen zuläßt, zu werk-
tätiger Arbeit heranzuziehen.
Der Arzt verfolgt aber noch andere Interessen. Für ihn
ist es einmal wichtig, daß der Kranke durch die Arbeit
vom zwecklosen, schwermütigen Nachdenken, vom Grübeln
abgelenkt wird, daß sein seelischer und damit der körper-
liche Zustand sich bessert.
Man beschäftigt deshalb die Kranken schon im Bett
mit leichten Arbeiten, wie z. B. Flechten, Knüpfen u. dagl.
Mancher Krieger, der zuerst dieses „weibische Hantieren“
verlachte und bespöttelte, hat den Segen einer derartigen
Tätigkeit am eigenen Leibe gespürt. Viele haben überhaupt
erst erfahren, was gute, ehrliche Handarbeit heißt und
wodurch sie sich von der oberflächlichen Fabrikarbeit unter-
scheidet. Wenn hier demnach halb unbewußt der Sinn
für geschmackvolle Formgestaltung geweckt wird, so ist das
eine an sich zwar nebensächliche, aber nicht zu gering ein-
zuschätzende Erscheinung. Bei dem Umfang, den diese
Art der Lazarettbeschäftigung im Laufe der letzten Jahre
angenommen hat, ist es sicher mit Freuden zu begrüßen,
wenn man an vielen Orten eine Erziehung zur geschmack=
lichen Bildung, zur Festigkelt im Handeln und Ur-
teilen den Erzeugnissen des Handwerks und Gewerbes
gegenüber damit verbindet. Das darf natürlich nicht auf-
dringlich, nicht schulmeisterlich (im üblen Sinne des Wor-
tes) sein. Die Beeinflussung muß ganz unmerklich ge-
schehen, der Kriegsbeschädigte darf kaum merken, daß er
erzogen wird. Wenn der oder die Unterrichtende geschickt
auf die Einzelwünsche, oft auch nur scheinbar, einzu-
gehen versteht, wird der Erfolg nicht ausbleiben. Vor
allem dürfen die Ansprüche nicht zu hoch gestellt,
beinerlei Vorbildung vorausgesetzt, überhaupt nur
das Mögliche verlangt werden. Auch ist das Haupt-
gewicht auf kleinere Arbeiten zu legen, die mit wenig
Mitteln in kurzer Zeit zu vollenden sind. Damit soll aber
beineswegs einer oberflächlichen, liederlichen Durchführung
das Wort geredet werden. Im Gegenteil! Auch das ein-
fachste, bescheidenste Werkstück kann in seiner Art eine
Qualitätsarbeit bedeuten, wenn die Form des Gegenstandes
zweckentsprechend ist, das Material sinngemäß behandelt
und vor allem jeder begleitende Schmuck bescheiden und
werkgerecht auftritt. Aus diesen Gründen empfiehlt es
sich, in erster Linie Gebrauchsgegenstände oder Spielsachen
berstellen zu lassen, da hier die Gefahr weniger nahe liegt,