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Entlastung der vierten Armee an. Diese wurde durch Funk-
spruch (ab 11,15 Uhr vormittags) davon benachrichtigt.
Die Zusammenstöße mit dem Feind am Vormittag hatten
die Lage hinreichend geklärt. Das Auftreten von Teilen
des französischen IX. Armeekorps und des Kolonialkorps,
welche bisher der deutschen vierten Armee gegenüber ge-
fochten hatten, mußte bereits zu merklicher Entlastung dort
geführt haben. Das Oberkommando der dritten Armee
befahl deohalb 12,30 Uhr nachmittags:
Das XII. Reservekorps soll bei Wasigny Flanke und rück-
wärtige Verbindungen der dritten Armee sichern, das XII.
Armeckorps auf Bouvellemont, das XIX. Armeekorps auf
Singly vorgehen, um am 30. August die Bewegung fort-
zusetzen und den geschlagenen Feind zu verfolgen, im Süden
bis zur Aione, im Osten soweit die Kampfkraft der Truppe
angt.
Im Laufe des frühen Nachmittags liefen auch Meldungen
des XII. Reservekorps und Mitteilungen der Fliegerauf=
klärung ein, aus denen das Oberkommando der dritten Ar-
mee erkannte, daß der Gegner südlich der Linie Marle—
Montcornet in einzelnen Kolonnen aller Waffen im Abzug
auf Laon sich befand.
Während so alle Gedanken darauf gerichtet waren, mit
äußerster Kraftanstrengung nach Südosten zu eilen, um
der vierten Armee zu helfen, traf 4 Uhr nachmittags ein
Funkspruch der zweiten Armer (ab dort 12, 54 Uhr nach-
mittags) ein, daß auch sie seit 28. Mugust in heftigem
Kampfe stehe und zwar mit linkem Flügel in Linie Guise—
Etréaupont und daß ein baldiges Eingreifen der dritten
Armeei in Nichtung Vervins sehr erwünscht wäre. (Skiöze S.)
So stand das Oberkommando der dritten Armee wieder
vor einer folgenschweren Entscheidung. Es entschloß sich,
mit Rücksicht auf die ernste Lage der vierten Armee um
diese Zeit von der Befolgung des Hilferufes der zweiten
Armee abzusehen und setzte die Südostbewegung fort.
Was war inzwischen vor der Front der deutschen ersten
und zweiten Armee vorgegangen? Die Engländer und die
Hauptkräfte der französischen fünften Armee waren nach
der Niederlage im Sambrebecken nach Süden zurückge-
strömt. Sie hatten vermieden, sich in der Festung Mau-
beuge, wo alle englischen Kriegsvorräte lagerten, einschließen
zu lassen. Nur 20 Ooo Mann hatten sich in die Festung
hineingeworfen, welche vom deutschen VII. Reservekorps
alebald angegriffen, am 7. September ihre Tore öffnen
sollte.
Die Engländer zogen eine am 23. August in Le Havre
ausgeschiffte Ersatzdivision rechtzeitig heran und versuchten,
durch zwei französische Reservedivisionen verstärkt, am
25. August bei Le Cateau nochmals Stand zu halten.
Vor der zweiten Armee machte gleichzeitig die französische
fünfte Armee im Oisebecken bei Guise wieder Halt. Ge-
neraloberst von Bülow griff mit vier Armeekorps unver-
weilt in der Front an, Kluck umfaßte mit zwei Divisionen
des Feindes linken Flügel. Nach dreitägigem, blutigem
Kampfe wich die französische fünfte Armee auf den Straßen
über La Fere und Laon südwärts.
Eine Unterstützung durch die dritte Armee war nicht
notwendig geworden. —
Kaum war das Anliegen der zweiten Armee zur Er-
ledigung gebracht, als 6,20 Uhr nachmittags drei Tele-
gramme der vierten Armee einliefen, von denen
das erste (aufgegeben 12,23 Uhr nachmittags) die Be-
setzung von Mezidres durch die vierte Armee,
das zweite (ab 1,40 Uhr nachmittags) den Abmarsch
des Feindes über Vendresse —Sauwille nach Westen, an-
scheinend gedeckt durch dortigen Gegner, mitteilte,
das dritte (ab 2,30 nachmittags) lautete: „Feind Rückzug
von Vendresse—Busaney binter Attignn—Grandpré. Bei
Vorstoß gegen Nethel-—Attigny winkt grosser Erfolg.“
So mußte denn die dritte Armee abermals die Hoffnung
auf Lohn für ihr selbstloses Vorwärtseilen zunächst auf-
geben. Es blieb nur übrig, ein weiteres Vorgehen in der
nunmehr wirkungslos gewordenen Richtung sofort anzuhal-
ten und dann (8,30 Uhr abends) den Befehl zu geben, am
30. August in südlicher Richtung weiter zu marschieren,
um den vor der vierten Armee zurückgehenden Gegner zu
verfolgen und ihm den Weg nach Westen zu verlegen.
Ein eigenartiges Geschick wollte es, daß es der dritten
Armee in der ganzen Zeit nicht gelingen sollte, einen großen
sichtbaren Erfolg selbst zu erringen, trotz der größten An-
strengungen der unterstellten Armeekorps, die seit Ausladung
aus der Eisenbahn durch schwieriges Berg= und Wald-
gelände täglich große Märsche zurückgelegt und seit dem
Erscheinen vor Dinant täglich Gefechte mit feindlichen
Nachhuten bestanden hatten. So auch jetzt wieder.
Der Rückblick auf die gemeinsamen Heeresbewegungen
der dritten und vierten Armee gegen die französische vierte
Armee im Raume südlich von Sedan führt wiederum zu
der Feststellung, daß eine gemeinsame, straffe Leitung der
Nachbararmeen — diesmal der dritten und vierten Armee
— durch eine übergeordnete Stelle (Heeresgruppe) ganz
andere Ergebnisse hätte erzielen können.
Das mannhafte, dreitägige Ausharren der französischen
vierten Armee südlich von Sedan schuf für die beiden
angreifenden deutschen Armeen die günstigsten Vorbedingun-
gen zu einer Einkreisung oder wenigstens zur Abdrängung
nach Osten oder Südosten. Dort wäre die französische
vierte Armee in schwierigem Gelände auf die rückwärtigen
Verbindungen der französischen dritten Armee geraten.
Statt dessen entzogen sich frontal die französischen Ein-
zelheere den ihnen gegenüberstehenden deutschen Heeren. Bis
Ende August gelang es der französischen Heeresleitung so-
gar, vor dem Stoßkeil der ihr besonders bedrohlich erschei-
nenden dritten Armee genügende Neukräfte an der Aisne
aufzubauen. Dadurch wurde das weitere Abfließen der
französischen Einzelarmeen nach dem geplanten Widerstands-
raum ermöglicht.
General Joffre hatte nach dem Zusammenbruch der fran-
zösischen Offensive aus der Linie Verdun —Maubeuge sich
zum strategischen Rückzug in die Linie Verdun—Paris ent-
schlossen. Die französische Heeresleitung fühlte sich durch-
aus nicht besiegt. Der Rückzug vollzog sich planmäßig.
Joffres Befehl für die Neugruppierung des Feldheeres vom
25. August sah die Versammlung für die dritte bis sechste
Armee, für die neu zu bildende neunte Armee (vor der
deutschen dritten Armee) und für die Engländer auf der
stark zurückgebogenen Linie Verdun —Paris mit gewaltigen
Stoßmassen auf beiden Flügeln vor.
So war auch der hartnäckige Widerstand, auf den die
dritte Armee an der Aione am 30. und 31. August stieß,
französischerseits nur ein Kampf um JZeitgewinn. Außerst
geschickt ließen sich die starken französischen Nachhuten von
einem Geländeabschnitt zum nächsten zurücktragen.
Die Schlacht an der Aisne am 30. und
August
Der 30. August
Der Armeebefehl für den 30. August wies dem XII. Re-
servekorps (ohne 24. Reservedivision) Chäteau-Porcien,
dem XII. Armeekorpo Rethel und östlich, dem XIX. Armee-
korps Attigny und östlich als Marschziel zu.
Vor der Front des XII. Reservekorps war der Feind bis
zur Aione infolge der rastlosen Verfolgung nicht zum
Stehen gekommen. Auch am 30. August leisteten bei Ecly
und Chäteau-Porcien nur französische Nachhuten geschickten