Full text: Sachsen in großer Zeit. Band II. Die Kriegsjahre 1914 und 1915. (2)

  
obiger Weisung entsprechend, setzte die erste Armee 
in den folgenden Tagen den Marsch nach Süd- 
osten, gegen Paris nur durch das IV. Reserve- 
korps westlich des unteren Ourcq gesichert, fort 
und strebte mit 4 Armeekorps in breiter Front 
dem Grand-Morin zu, vorauf das Kavalleriekorp# 
von der Marwitz. In Richtung auf Nogent an 
der Seine winkte der Endsieg, das große Halali 
im Wettlauf der Armeen um den Kaiserpreis. 
Wer wollte da fehlen! — 
Merkwürdigerweise ging die Weisung der Ober- 
sten Heereslenung vom 3. September dem Ober- 
kommando der dritten Armee nicht zu. Es be- 
fahl lo, 3o Uhr abends, ganz im Sinne des 
Schlußsatzes dieses Befehls der Obersten Heeres- 
leuung, daß das XlI. und XIX. Armeekorps am 
4. September an der Marne aufschließen und die 
Eisenbahn nördlich von Fere-Champenoise, südlich 
Sommesous jowie südlich von Vitry-le-Frangois 
unterbrechen sollten. — 
Am 3. September erreichte die 24. Reserve- 
division abends die Gegend von Liart. Ihr war 
nach dem Fall von Gwet (am Vormittag des 
1. September) vom Oberkommando der dritten Armee die 
Wegnahme des alten Sperrforts von Hirson als nächste 
Aurgabe übertragen worden. Diese fiel nach Weisung der 
Obersten Heereoleitung der dritten Armee zu. Auch nach 
Neuregelung der rücwärtigen Verbindungen, wobei der 
zweiten Armee diejenige über Hirson zufiel, hatten noch 
am 2. September Oberste Heeresleilung und Oberkommando 
der zweiten Armee daran festgehalten, daß die Wegnahme 
von Hirson Aufgabe der dritten Armee sei. 
Die 24. Reservedivision fand Hirson bereits im Besitz 
der zweiten Armee. Die Franzosen hatten es bereits am 
1. September geräumt. Das Oberkommando der dritten 
Armee wurde nicht davon in Kenntnis gesetzt. 
Auch wegen Reims entstand mangelo Weisung der 
Obersten Heeresleitung, in wessen Vormarschstreifen es ge- 
hörte, Unstimmigkeit zwischen der zweiten und dritten 
Armee. In den „allgemeinen Anweisungen“ vom 27. August 
war Neimo als fester Platz angenommen worden, für dessen 
Wegnahme das erforderliche Belagerungsgerät in Auslicht 
gestellt wurde. 
Nach dem geglückten Handstreich auf Reims beließ die 
23. Reservedivihion am folgenden Morgen (4. September) 
dort das Reserve-Infanter.eregiment 101 unter Oberstleut- 
nant v. Kiesemvetter (ohne III) als Besatzung zur Bergung 
des eroberten wertvollen Kriegomaterialg. Mutagos wurde 
Reimo von der 2. Garde-Insanteriedivision mit Artillerie 
beschossen. Von Westen kommend, hatte sie Unterhändler 
in die Stadt# geschickt, die nicht zörückgekeyrt waren. Wie 
en scheint, harten sie in einer Vorstadt Aufenthalt erfahren 
und waren umgekehrt. 
Das Oberkommando der dritten Armee verblieb am 
3. September in dem alten berühmten Schlosse von Thugny, 
sehr zu seinem Schaden. Das Sch.oß war bis dahin fran- 
zösisches Lagarett gewesen. Sämtliche Oefiziere des Ober- 
kommandos erkrankten danach mehr oder weniger stark, 
insbesondere der Oberbefehlhaber Generaloberst Freiherr 
v. Hausen, bei dem in den folgenden Tagen schwere Nuhr 
festgestellt wurde. 
Der 4. September 
Dichter Nebel hatte bei Tagesanbruch einheitliche größere 
Gefechtshandlungen verhindert. Im Laufe des Vormittags 
wurden die Marncübergänge kampflos erreicht. Der Ein- 
druck verstärkte sich, daß der Rückzug des Gegners ein 
durchaus geordneter gewesen sein mußte. 
  
Schloß Thugny an der Aisne 
Acmeeoberlommando III, 2.—4. September 19144 
Das XII. Armeekorps erreichte mit seiner 23. Infanterie= 
division nach erbittertem Nachtgefecht bei Liory in den 
Morgensiunden den Südrand des Waldgeländes südwest- 
lich von Grandes Loges und mit der 32. Infanteriedivision 
nach anstrengendem Nachtkampf gegen 7 Uhr vormittags 
am 4. September die Linie Bouy—Ambonnay. Dort blieb 
das XII. Armeekorps am 4. September stehen, setzte sich 
in den Besitz der vorliegenden Kanal= und Marneübergänge 
und schob Sicherungen in die Linie Athis—Auinay vor. 
Die Marne= und Kanalbrücken waren sämtlich unversehrt. 
Das XIX. Armeekorps drang am 4. September bis Cha- 
lons vor und besetzte widerstandslos die Stadt. Truppen- 
abtransporte hatten mit der Bahn nach West und Süd 
noch bis in die letzten Stunden stattgefunden. 
Auch das XII. Reservekorps hatte trotz der Nachtunter- 
nehmung auf Reims am Morgen des 4. September den 
Vormarsch auf Reims mit den stark ermüdeten Truppen 
wieder aufgenommen. 
Das Oberkommando ging nach Bethéniville. Die am 
Spätabend von den Generalkommandos eingehenden Mel- 
dungen ließen erkennen, daß Führer und Truppen infolge der 
zwanzigtägigen ununterbrochenen Märsche und Kämpfe, ver- 
bunden mu der auperordentlichen Schwierigkeit des Nach- 
schubs an Munition und Lebenomitteln, an der Grenze 
sowohl ihrer geistigen Spannkraft wie auch ihrer körper- 
lichen Leustungofahlgkeit angekommen waren. Es war zu 
besorgen, daß bei eimnem envaigen ernsten Zusammenstoß 
mit dem Femde die Kampfkrast der Truppen nicht mehr 
ausreichen würde. Der Oberbefehlshaber entschloß sich da- 
her, der Armee am §. September einen Ruhetag zu gönnen, 
der vor allem dazu ausgenutzt werden sollte, den Truppen 
die unbedingt notige Munition zuzuführen. 
In der Tat zählen die Leistungen der Truppen in der 
voraucgegangenen Marsch= und Gesechtsze.t sen ihrem Auf- 
bruch aus dem Versammlungogebiet zu den stolzeiten Lei- 
stungen der Kriegogeschichte. Lrotz der Anstauung gewal- 
tiger Massen auf engstem Naume, trotz der Schwierigkeit 
und Armut des Durchzugslandes, inobesondere der Ar- 
dennen, trotz der feindseligen Haltung der Bevölkerung 
und trotz meist entsetzlich beißer Märsche auf teilweise sehr 
schlechten Nebenstraßen, trotz der mangelnden Nachtruhe 
und des beständigen Kampfes hatten die sächsischen Truppen 
vom 18. August bis 4. September rund 400 km zurück- 
gelegt. Das macht für den einzelnen Tag im Durchschnitt 
20 km. Für die marschierende Truppe steigert sich durch
	        
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