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Belagerung durch Handstreich in Besitz zu nehmen. Deut-
scherseits war eine Verteidigung der Festung, welche Mil-
liardenwerte unnötigerweise vernichtet hätte, nicht beab-
sichtigt. Die Nachhutdivisionen gingen deshalb auch schon
bald bis zur Kanallinie südwestlich der Stadt Lille zurück.
Nur ihre Vorposten hielten bis Mitte Obtober das Vorfeld
westlich des Kanals bis zur Fortslinie. Am 17. Oktober
wurde die Kanalstellung kampflos geräumt und der Ab-
marsch auf Tournai angetreten. Nur Offizierspatrouillen
blieben am Feind, dessen Versuch, rasch nachzudringen,
wurde dauernd vereitelt.
In Tournai übergab die Dioision dann ihre bisherige
Aufgabe an die 2. Garde-Reservedivision. Sie selbst wurde
zur 4. Armee auf Renaixr beschleunigt in Marsch ge-
setzt. Die Truppen waren bei den Kämpfen der letzten
Tage nicht zur Ruhe gekommen. Nun wurden sie nach
einem Marsch von 26 Kilometer in Renair auf Lastkraft-
wagen nach Audenaarde als Armeereserve der 4. Armee
herangezogen.
Dort sollten sie in der Nacht zum 23. Oktober die 40.
Infanteriedivision und die 7. Kavallerie-Schützendivision
ablösen. Aber schon am 22. mußten beide Regimenter 102
und 302 westlich von Audengarde gegen die über Bichte
vordringenden Engländer eingesetzt werden. Sie traten dabei
mit der rechts davon kämpfenden 40. Infanteriedivision in
Verbindung. An diesem Tage stießen auch die Reste des
Grenadier-Reserveregiments lo# wieder zur Division. Zur
Auffüllung ihres Bestando blieb weder geit noch Ersatz
verfügbar.
In der Nacht zum 24. Oktober löste die Division die
b. bayerische Reservedivision und die 30. Infanteriedioision
im Abschnitt westlich von Audenaarde ab. General Francke
übernahm die Führung des X. Reservekorps, der Artillerie=
kommandeur, General Neubauer, für ihn die Führung der
23. Reservedivision. Am 25. Oktober leitete von 10 Uhr
vormittags ab Trommelfeuer mit zahlreichen Gas= und
Nebelgranaten den feindlichen Angriff ein, der sich mit dem
größten Nachdruck gegen Ansegem wendete. Doch hielt sich
die Division auch noch bis Monatsende vorwärts der Schelde.
Am 31. Oktober machte der Feind wieder einen großange-
legten Angriff. Ansegem in der Mitte wurde gehalten, am
linken Flügel der Division drang der Feind bis Caster nahe
der Schelde vor. In der folgenden Nacht erfolgte dann
der Abmarsch über Audenaarde. Der Feind drängte nicht
nach. Die Ablösung von ihm erfolgte planmäßig und un-
gestört, sogar alle Pontons wurden nach beendetem Schelde-
übergang aufgeladen und abgeführt. Die Division wurde
für die nächsten Tage Eingreifdivision für die 39. und 40.
Infanteriedivision. II. Reserve-Infanterieregiment 102 trat
zur stark geschwächten 30. Infanteriedivision. Die Division
belegte die Gegend von Nederbrakel. Dort suchte sie am
4. November zum letzten Male der Kaiser auf, dankte den
braven Sachsen für ihre zähe Ausdauer und verteilte die
letzten Ehrenzeichen an zahlreiche Tapfere. Tags darauf
wurde der Rückmarsch in die Antwerpen-Maasstellung fort-
gesetzt. Die Bestimmung der Division änderte sich mehr-
fach. Am 8. November erreichte sie den Denderkanal süd-
lich von Alost und am 9. November Merchtem, = Kilometer
östlich Alost. Die Märsche waren, trotzdem der Feind nicht
drängte, sehr anstrengend durch die schlechten Wegeverhält-
nisse und die Marschstockungen der mit Trains und Ko-
lonnen zusammen abziehenden Truppen.
Am 11. November mittags trat auch hier die Waffen-
ruhe ein. Nachmittags kamen Soldatenräte aus Brüssel
und hielten Reden. Geschütze und Maschinengewehre wurden
im benachbarten Wolwergem zur Übergabe an den Feind
gesammelt und der Abmarsch zum Gardekorps am 13. No-
vember angetreten. Über Mecheln durch das nördliche Bel-
gien mit Garde= und Marinekorps marschierend, erreichte
die Divisklon am 18. November die Maas unterhalb von
Lüttich. Die Infanterie wurde am 20. November von
Aachen aus mit der Bahn nach Krefeld zum Schutz der
dortigen Heeresvorräte vorausbefördert, der Rest der Di-
vision marschierte unter General Neubauer. Nach anfäng-
lichem Streuben des Krefelder Soldatenrats, meist Ma-
trosen, wurde dem Divisionskommandeur doch die Obhutüber
die Heeresvorräte übergeben und von der 3. Infanteriedivision
am 25. November weiter übernommen. Die Division setzte
dann die Fahrt über Wesel—Münster—Halberstadt nach
Sachsen fort und erreichte zwischen 6. und 12. Dezember
Dreöden, ihren Demobilisierungsort.