Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

40 Kilometer, von der zerstörten Telerewbrücke ab, zu Fuß 
marschierend. Mittlerweile war die Kavallerie mit Panzer- 
kraftwagen weiter auf Shitomir geeilt. 30 Kilometer östlich 
davon wurde ein Tschechenbataillon, das sich in seinem 
Deutschenhaß den Bolschewisten angeschlossen hatte, gestellt 
und nach verzweifelter Gegenwehr zersprengt. Doch Banden 
von Arbeitern aus dem Industriegebiet verstärkten die Bol- 
schewisten täglich mehr. Das Eisenbahnmaterlal wurde ent- 
führt, der Schienemweg unterbrochen. So galt es zu eilen, 
wollte man Kiew erreichen, ehe es ein Bolschewisten-, 
Tschechen= und Arbeiterheer besetzte. 
„Bereits am 28. Februar fuhr ein sächsisches Bataillon, 
das tapfere II. 350 (Major Tröger), mit einer Batterie bis 
15 Kilometer an Kiew heran. Am 1. März fuhr dieses Batail- 
lon kurz entschlossen weiter in die zurzeit gegen eine Million 
Einwohner zählende große unbekannte Stadt hinein. Der 
Bahnhof wurde rasch besetzt, ohne daß die völlig überraschten 
russischen Soldaten Widerstand zu leisten wagten. Doch 
das genügte dem Bataillon noch nicht. Quer durch die ganze 
Stadt hindurch marschierten die schwachen Kompagnien 
weiter, um schnell die wichtigen Onjeprbrücken in Besitz zu 
nehmen. Es war ein außerordentlich gewagtes Unternehmen, 
die mit Tausenden von bolschewistischen Russen dicht an- 
gefüllten Straßen zu durcheilen, aber es gelang ohne jeden 
Zwischenfall. Erst an den Brücken fanden die Kompagnien 
Widerstand; wiederum waren es tschechische Truppen, die 
den Sachsen den Ubergang über den Onjepr verwehrten. 
Trotz des erheblichen feindlichen Feuers, auch sogar von 
schwerer Artillerie, gelang es dem Bataillon doch, über 
die Brücke vorzustoßen und das östliche DOnjeprufer in Be- 
sitz zu nehmen. Die ganze Nacht hindurch hielt das eine 
sächsische Bataillon allein die große Stadt und die Brücken 
besetzt. Die Tschechen wagten keinen Angriff mehr und 
zogen gegen Morgen in östlicher Richtung ab.“ 
So lautet der Bericht des Generalleutnants Groener, des 
damaligen Stabschefs des Oberkommandos, über diese 
Sachsentat. 
Am 2. März trafen dann weitere Truppen ein. Kiew. 
war in festem Besitz der Deutschen, obwohl die Bevölkerung, 
die doch monatelang um Besitz und Leben gezittert hatte, 
nichts für die Deutschen übrig hatte. Man konne sich nicht 
daran gewöhnen, den furchtbaren Feind von dreieinhalb 
Jahren nun als Befreier und Beschützer anzusehen. 
Inzwischen war auch weiter nördlich der Vormarsch auf 
den Bahnlinien über Sarny und Luniniec erfolgreich gewesen. 
Nur westlich von Mosyr hatte Feind aller Waffen heftigen 
Widerstand geleistet, den die 224. Infanteriedivision schnell 
brach. Bereits am 28. Februar war Rieschitza, der wichtige 
Dnjeprübergang, in ihrer Hand. Viele Vorräte wurden er- 
beutet, ebenso die Flußflotille des Pripet. Tags darauf 
wurde das wichtige Gomel erreicht und nach Abwehr feind- 
licher Gegenstöße gehalten. Nunmehr schlossen die deutschen 
Kräfte bei Kiew und Gomel zunächst auf. Bahnzerstörungen 
und Mangel an rollendem Material verzögerten dies er- 
beblich. Nach Gomel rückte die sächsische 47. Landwehrdivi- 
sion nach. 
Inzwischen hatten auch die Österreicher, die sich ange.ichts 
der deutschen Erfolge nun doch zum Einmarsch in die Ulraine 
bequemten, den Bahnvormarsch auf Odessa zu angetreten. 
Gegen die Häfen des Schwarzen Meeres wandte sich auch 
ein Teil der in Rumänien stehenden Heeresgruppe Macken- 
sen. Von dieser wurde die sächsische 212. Infanteriedivision 
zu Schiff etwa einen Monat später nach Odessa und Niko- 
lajew gefahren, um diese Häfen neben den Österreichern für 
deutsche Zwecke zu sichern. Mit dem Hauptteil ihrer Trup= 
pen besetzte die Division dann die herrliche Landschaft Tau- 
rien. Sie unterstand dabei dem Generalkommando der Krim in 
Simferopol (LII. Armrekorps — 212., 217. Infanterie- 
227 
division, 15. Landwehrdivision, Teile der bayerischen Ka- 
valleriedivision). Dies im voraus. 
Der Zweck der nächsten deutschen Bewegungen war An- 
fang März Sicherung des Getreidegebiets von Poltawa. 
Das machte die Besetzung von Charkow nötig, um den Al- 
schub der reichen Vorräte aus Taurien und des rollenden 
Bahnmaterials nach Großrußland zu unterbinden. 
An dem zuge nach Charkow nahm die 45. Landwehr- 
division weiterhin Teil. Eine ihrer Seitenabteilungen hat!e 
dabei in der Nähe von Krementschug ein heftiges Gefecht. 
Am 8. April wurde Charkow nach ernstem Widerstand von 
der 45. Landwehrdivision im Verein mit der 91. Infanterie- 
division und 2. Kavalleriedivision genommen. Eine erhebliche 
Beute, vor allem reichliches Bahngerät, seel dabei in deutsche 
Hand. 
Kurz vorher war auch weiter nördlich, von Gomel her, 
von den Deutschen Bachmatsch erreicht worden. Dort zeigte 
sich die Bevölkerung feindlich gesinnt. Das spürte besonders 
auch die sächsische 47. Landwehrdivision, die östlich von Go- 
mel den Grenzschutz gegen Großrußland nunmehr über- 
nahm. Das nähere darüber enthält der Abschnitt „Die 
47. Landwehrdivision“. Die Division bildete fortab zugleich 
den linken Flankenschutz für die deutsche Ukrainearmee. 
Das Eisenbahnmaterial, das man in der Ukraine erbeutete, 
reichte bei weitem nicht aus. Aus Deutschland konnte wegen 
der größeren russischen Spurweite keins herangezosen wer- 
den. So drehten sich die nunmehr einsetzenden Kämpfe an 
der Ostfront um die Beschlagnahme von möglichst viel Bahn- 
gerät, das die Bolschewisten andererseits bestrebt waren, 
nach Großrußland zu retten. 
Am 2. April übernahm Generalfeldmarschall von Eich- 
horn den Oberbefehl über die Heeresgruppe. Mit der Donau- 
monarchie war vereinbart worden, daß dieser die Besetzung 
von Stidwolhynien, Podolien, Jekaterinoslaw und Cherson 
zufiel. Das Gebiet nördlich und östlich davon bildete den 
deutschen Besatzungsbezirk. Dementsprechend wurde von April 
ab die deutsche Besitzuahme von Taurien (sächsische 212. In- 
fanteriedivision) und der Krim und des Gebiets bis über den 
Don an seinem Unterlauf durchgeführt. Dabei kam es noch 
mehrfach zu ernsten Kämpfen, an denen aber Sachsen nicht 
beteiligt waren. Am 1. Mai zog das deutsche Korps Kosch 
von der Mackensenarmee, zu dem auch die sächsische 212.In- 
fanteriedivision gehörte, in Sebastopol ein. Eine ungeheure 
Beute fiel in seine Hand. Damit war der Feldzug in der 
Krim beendet. Auch das Kohlengebiet am Donez war bis 
dahin besetzt worden. Dieses sicherte bei Taganrog das Korps 
Knoerzer. Die 45. Landwehrdioision blieb um Charkow als 
Hauptreserve für die im Grenzschutz in weitem Bogen öst- 
lich davon aufgestellten deutschen Divisionen, an die nord- 
westwärts die 47. Landwehrdivision als Flankenschutz an- 
schloß. Diese letztere stieß auf besonders hartnäckigen Wider= 
stand. Alle Bahnen waren nachhaltig im Gebiet öst ich von 
Gomel zerstört. So mußte sie im Fußmarsch die Sicherungs- 
linie Nowgorod—Starodub—MRobczik erreichen. 
Mit Großrußland wurde eine neutrale Zone von drei 
Kilometer Tiefe vereinbart. Die feindlichen Banden hielten 
sich aber nicht daran. So war der Sicherungsdienst auch 
fernerhin sehr anstrengend. Immerhin war in vier Monaten 
ein Land, größer wie Deutschland, besetzt und von seinen 
Bedrlückern befreit worden. 
Deren Hauptmasse hatten Bolschewistenbanden und die 
roten Garden der Sowjetregierung gebildet, entlassene russi- 
sche Soldaten, Matrosen, Fabrikarbeiter und besitzlofe 
Bauern, die nichts zu verlieren hatten, und die der hohe 
Sold und das freie Näuberleben lockten. Sie unterstanden 
selbstgewählten Führern, meist Matrosen, ohne taktische 
Kenntnisse, aber meist schneidige, energische Naturen. Ihr 
Hauptkampfmittel waren Panzerzüge und Maschinengewehre. 
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