Full text: Sachsen in großer Zeit. Band III. Die Kriegsjahre 1916-1918. (3)

trotz braver Haltung der Sachsen infolge der Zersprengung 
des rechten polnischen Flügels geschlagen, so daß auch 
Krakau nicht mehr zu halten war. 
Eine kraftvollere Kriegführung in Polen wurde dem 
König August dadurch erschwert, daß er sich veranlaßt sah, 
einen Teil seiner Truppen zum kaiserlichen Heere, das in 
Oberdeutschland (bei Neuhaus, Vilshofen, Höchstedt) gegen 
die Bayern und Franzosen kämpfte, zu entsenden. Kleine 
Gefechte bei Pultusk am 1. Mai 1703, bei Posen am 
19. August 1704, bei Kalisch und Punitz am 6. und 
7. November 1704 verliefen zum Teil günstig, zum Teil 
ungünstig für die Sachsen. Von Warschau war König 
August am 28. Oktober abmarschiert, von der Warthe aus 
zog er nach Krakau, der Generalleutnant Johann Matthias 
Graf von der Schulenburg sollte die Infanterie 
(24 Bataillone Sachsen, Russen und Polen) und 300 Reiter 
über Kalisch nach Sachsen führen, hart verfolgt von 
stärkeren schwedischen Kräften, besonders Kavallerie, die 
Karl selbst führte. Das Nachhutgefecht bei Kalisch ermög- 
lichte ihm, teilweise mit Nachtmärschen bis Punitz (nahe 
der schlesisch-posenschen Grenze, südöstlich von Lissa) zu ge- 
langen. 8 Bataillone Russen waren nicht herangekommen, 
4 Bataillone Polen waren abkommandiert, so daß nur 
12 Bataillone Sachsen und 300 Reiter verfügbar waren, 
als Karl am Spätnachmittag des 7. Novembers sogleich 
zum Angriff überging. 8 Bataillone bildeten auf einer 
bleinen Anhöhe außerhalb des Ortes die erste, 4 Bataillone 
die zweite Linie; sie sollten auf die schwedische Reiterei nach 
Schulenburgs Ausdruck erst feuern, wenn der Pulverdampf 
den Pferden die Nasenlöcher versenge; er gab ihnen sein 
Wort, daß er sie aus der Notlage herausbringen wolle, 
wenn sie Fassung und Selbsivertrauen bewahrten. Die 
wenigen sächsischen Relter wurden zersprengt, auch 2 Ba- 
taillone Infanterie erschüttert, die andern standen und 
feuerten ruhig, so daß der feindliche Ansturm zurückflutete. 
Diese Pause benutzte Schulenburg, seine Leute ein Stück 
seitwärts zurück hinter einen kleinen Graben zu führen, 
wo ein zweiter Angriff ebenso zerschellte; nun ließ er aber 
ein längliches Karree, j# 4 Bataillone an der Front und 
im Rücken, je zwei an den Flanken, formieren und er- 
wartete weitere Angriffe. Bald war das Karree auf allen 
Seiten umringt und heftigen Stürmen ausgesetzt. Es ge- 
lang sogar einigen schwedischen Eskadrons, durch eine Lücke 
in das Innere einzudringen, die Sachsen standen aber un- 
entwegt, die Lücke wurde geschlossen, sämtliche Ein- 
gedrungene niedergemacht, während draußen der dritte An- 
griff das Karree umbrandete. Ee folgten schließlich noch 
zwei schwedische Angriffe, alle mit dem gleichen Miß- 
erfolg. Da es inzwischen dunkel geworden war, zogen sich 
die Schweden nach Punitz zurück, die Sachsen hatten das 
Schlachtfeld behauptet. Im Kampfe selbst war nur eins 
der acht Geschütze verloren gegangen, die andern mußten 
lediglich wegen der Unmöglichkeit des Transports zurück- 
gelassen werden, da die Bespannung erschossen war. Nach- 
dem Schulenburg noch vier Stunden auf dem Kampfplatz 
stehen geblieben war, setzte er in Karreeform und Schlacht- 
ordnung, solange noch ein Nachstoßen zu fürchten war, 
seinen Abmarsch fort, kam aber unbehelligt bis nach Guh= 
rau in Schlesien, von wo er durch ausgeschickte Offiziere 
schon die Vorkehrungen für den Oderübergang treffen liest. 
Seine Lage blieb aber höchst bedrohlich; er hatte keine Mel- 
dung vom Feinde, seine Reiter waren zerstreut, die meisten 
Offiziere hatten ihre Pferde im Kampfe eingebüßt; mit 
Mühe konnten Offizierspatrouillen Kunde von dem Heran- 
nahen des Feindes bringen. Es gelang aber glücklich, die 
Bartsch und dann die Oder selbst auf einer schmalen Lauf- 
brücke in Breite von nur zwei Mann zu übberschreiten; 
Schulenburg wartete auf dem rechten Ufer, bis der letzte 
Mann hinüber und die Brücke abgebrochen war, dann erst 
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folgte er selbst in einem Kahn, obwohl er im Kampfe 
durch zwei Streifschüsse an der Brust und außerdem schwer 
an der rechten Hand verwundet war. Wie sehr er sich aus- 
gesetzt hatte, zeigt auch die Tatsache, daß seine Kleider 
und sein Hut sechs Schüsse aufwiesen. Am H0. November 
früh war man in Sicherheit, Karl zog ergrimmt nach 
Polen zurück. Der Kampf von Punitz und die glänzend 
durchgeführte Zurückbringung der sächsischen Infanterie, 
die schon damalo selbst bei Kennern, wie dem Prinzen Eugen 
von Savoyen, hohe Anerkennung fand, lieferten einen rühm- 
lichen Beweis von Schulenburgs hervorragender Befähigung 
und den glänzenden Leistungen seiner abgematteten, aus- 
gehungerten, aber dennoch siegreich ausdauernden Truppen; 
sie zeigten, welch gutes Soldatenmaterial die sächsische 
Armee besaß, das nur der rechten Führung bedurfte, um selbst 
unter den ungünstigsten Verhältnissen Treffliches zu leisten. 
Die Kämpfe in Polen während des Jahres 1705 brachten 
keine Entscheidung des Krieges. In Sachsen wurde die 
Armee, so gut es bei der Geld= und Materialknappheit 
ging, neu ausgerüstet, im Februar rückte sie durch Schle- 
sien nach Polen vor; bei Fraustadt (nordöstlich von Glogau) 
kam es am 13. Februar 1706 zum Kampfe zwischen den 
Sachsen und den mit ihnen verbündeten Russen unter 
Schulenburg und den Schweden unter Rhenschild. Die 
sächsische Reiterei, die auf beiden Flügeln stand, hielt sich 
großenteils schlecht; sie verließ ohne ernste Gegenwehr 
flüchtig das Schlachtfeld; ein wuchtiger Stoß der Schwe- 
den, der die russische Infanterie auf dem linken Flügel 
traf, erledigte diesen Flügel in wenigen Minuten, da die 
Russen nur eine einzige Salve abgeben konnten und keine 
Zeit und Möglichkeit zu einer zweiten hatten. Nun konnte 
die sächsische Infanterle, von der auch mehrere Truppen- 
teile versagten, das Schieksal des Tages nicht mehr wenden; 
umsonst bemühten sich die Offiziere und Schulenburg selbst, 
der an der Hüfte verwundet wurde, die von unglaublicher 
Angst erfüllten Leute zum Standhalten zu bringen. Das 
Heer wurde vollständig geschlagen, viele gefangen, alle Ge- 
schütze gingen verloren; während die Kavallerie infolge ihrer 
überstürzten Flucht leidlich davongekommen war, retteten sich 
von der Infanterie nur Trümmer nach Sachsen. Schulen- 
burg selbst mußte sein Urteil in die Worte zusammenfassen, 
„die Armee habe ihre Schuldigkeit nicht getan““; nach dem 
rühmlichen Kampfe bei Punitz mußte ihn diese unfaßbare 
Kopflosigkeit und erbärmliche Haltung um so tiefer schmer- 
zen; durch Spruch des Kriegsgerichts büßten über zwanzig 
Offiziere und Mannschaften der schlechten Kavallerieregi- 
menter ihre Schuld mit dem Tode, andere mit Kassation 
und Einsperrung. 
Versuche, ein neues Heer aufzustellen, als Landesschutz 
die in Verfall geratene Einrichtung der Defensioner neu 
zu organisieren, blieben erfolglos; im September rückte 
ohne Widerstand Karl XII. mit über 15000 Schweden in 
das Kurfürstentum ein, Schulenburg hatte nur, und noch 
dazu in bläglicher Verfassung und ohne rechte Disziplin, 
etwa 2800 Mann sächsische Infanterie, 1300 Reiter und. 
1200 Russen zur Verfügung, die er, um sie zu retten, 
zur Verstärkung der sächsischen Abteilungen bei der Reichs- 
armee durch Thüringen nach Westen führte. Die Tatsache 
der Besetzung Sachsens beleuchtet in drastischer Weise den 
Umschwung, der im Kriegswesen in den zwei Jahrhunderten 
seitdem eingetreten ist: ein nach heutigen Begriffen kleines 
Heer von etwas über 15 000 Schweden genügte damals 
zur widerstandslosen Besetzung und festen Niederhaltung 
eines Staates, der beträchtlich mehr als doppelt so groß 
war als der heutige Freistaat Sachsen. Kursachsen geriet- 
fast völlig in Feindeshand und Augusts Friedensunter= 
händler, der Kammerpräsident von Imhoff und der Geh. 
Referendar von Pfingsten mußten sich zu den harten Be- 
dingungen des Friedens von Altranstädt (vwestlich
	        
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